Der Bau in Italien war eine anspruchsvolle Herausforderung für Studio Alvise Stramare, denn es standen nur eineinhalb Jahre für Planung und Umsetzung zur Verfügung. Einfache Produktionsweisen und ein klares Raumkonzept waren deshalb im Fokus. Aus Nachhaltigkeitsgründen entschied man sich gegen den Abriss des in den 1960er-Jahren errichteten Bürogebäudes. Der Altbau wurde stattdessen renoviert und zu einem großflächigen Volumen ergänzt. Die Geometrie des Neubaus ergab sich aus der Differenz zwischen dem maximal zulässigen Volumen abzüglich der Kubatur des alten Gebäudes.
Um die Bauzeit trotz Herausforderungen wie dem temporären Mangel an Baumaterialien zu verringern, fokussierten sich die Architekten von Studio Alvise Stramare konsequent auf eine einfache Herstellung, Beschaffungswege und Materialverfügbarkeit. Die für das Projekt verwendeten Elemente stammen von Firmen aus einem Umkreis von 50 km um die Baustelle.
Interiors in Stahl und Aluminium
Da es in der Gegend viel metallverarbeitende Industrie gibt, wurden die Fassade und Teile des Interiors in Stahl und Aluminium ausgeführt. Dadurch verkürzten sich die Ausführungszeiten erheblich und die Planung wurde flexibler. Lokal hergestellte Metallgitter sind prägende Element der Fassade, das Sicht- und Sonnenschutz bietet.
Analyse der Arbeitsabläufe
Ausgangspunkt für den Grundrissentwurf waren die Menschen und ihre Arbeitsgewohnheiten, nicht abstrakte Büroabteilungen. Abläufe zwischen den Mitarbeitenden haben die Planer eingehend analysiert. Es sollte ein Ort entstehen, der auf die Bedürfnisse zu unterschiedlichen Zeiten reagiert: Kontakte knüpfen, in Teams arbeiten, sich abgrenzen. Das garantiert Abwechslung und Spontanität im Arbeitsalltag.
Der Entwurf von Studio Alvise Stramare interpretiert das 98 m lange, rechtwinklige Gebäude als zwei Vektoren, die auf der x-Achse von den ruhigsten zu den lautesten Aufgaben, und auf der y-Achse von den langsamsten zu den schnellsten Bewegungen verlaufen. So entstand ein Raumvolumen, das die Vorteile der Offenheit eines klassischen Großraumbüros mit denen der Privatheit einer kleinteiligen Zellenstruktur übergangslos verbindet.
Die Räume variieren von Gemeinschaftstischen über Bereiche für Brainstorming, Besprechungsräume für Videokonferenzen bis hin zu traditionellen Vier-Sitz-Tischkonfigurationen. Die Mitarbeiter suchen sich je nach Aufgabe und Arbeitsstil ihren idealen Arbeitsplatz. Orte der Konzentration sowie der Kommunikation und Interaktion werden so ganz individuell und variabel verfügbar.
Studio Alvise Stramare setzt auf flexible Nutzung
Das schlägt sich auch in den Entwürfen der Möblierung nieder. Die 5 m langen Aluminiumtische haben keine störenden Füße, um Nutzungsflexibilität und maximale Personenanzahl zu gewährleisten. Die Tischfläche besteht aus Aluminiumsandwichplatten, die von gefalteten Randpaneelen getragen werden. Der trapezförmige Kabelkanal dient dabei zugleich als versteifende Tragstruktur über die gesamte Länge. Eine ortsansässige Firma, die Leichtbauwände für den Schiffsbau produziert, stellte diese Konstruktion her.
Das von Studio Alvise Stramare entworfene Sofa kombiniert industrielles Stahlgitter mit hochwertigem Samt. Die Metallroste sind lediglich rückseitig verschweißt, sodass eine präzise Optik entsteht. Die farbigen Bezüge mit changierender Oberfläche bilden einen spannungsvollen Kontrast. Auch die Polsterung hat es in sich: Verschiedene Schaumstoffdichten sind so kombiniert, dass aktives Sitzen und entspanntes Ausruhen möglich ist.
Auch die Raumoberflächen wurden kostengünstig und dem Zweck angemessen umgesetzt. So ist der Boden industriell beschichtet, nur in akustisch ruhigen Zonen findet sich partiell Teppich. Die Rohdecke ist mit einer schallabsorbierenden, grau pigmentierten Spritzbeschichtung versehen, die zugleich als funktionale und sichtbare Oberfläche dient. Auf Anstriche hat man verzichtet.
Ruhige Besprechungszonen
Über speziellen Arbeitsplätzen sind zusätzlich gewellte Akustikpaneele aus Industriefilz montiert, der aus recycelten PET-Flaschen produziert wird. Mittels schallschluckender Vorhänge können temporär ruhige Besprechungszonen geschaffen werden.
Akustisch wirksam
Ein optischer Sensor steuert bei geschlossenen Vorhängen lokal die Belüftung. Die ruhigsten Räume sind als wabenförmige, schalldichte Kabinen in sich ganz abgeschlossen. Das Gebäude lotet auf konzeptionell schlüssige Weise neue Ansätze der Nachhaltigkeit aus. Das geschieht nicht nur aufgrund der Adaptivität im Grundriss, der Ressourcenschonung und der positiven Energiebilanz durch aufbereitete und lokale Bauteile und Materialien, sondern auch im sozialen Sinne. Denn die zukünftigen Nutzer des Projekts konnten in den verschiedenen Planungs- und Bauphasen mitreden und sich so langfristig mit ihrem Arbeitsort identifizieren.
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Fakten
Projekt: Bürogebäude in Norditalien
Ort: Mestrino (Pd), Italien
Architektur: Studio Alvise Stramare, Webseite des Büros
Fertigstellung: 2022
Größe: 2 700 m²
Lokale Architekten: Arch. Gianluigi Beato, Arch. Giuliano Pasuto
Generalunternehmer: Bilato Costruzioni Srl
Metallkonstruktion und Fassade: Cracco Srl
Elektrotechnik: Barzon e Dainese Srl
Lüftung und Sanitär: Tecnopiù Srl
Fassadenpaneele: Stahlgitter feuerverzinkt, Gittergröße 33 x 33 mm
Möblierung: Akustikpaneele ‚Mute Flow‘ von Devorm, Stühle ‚Physics‘ von Vitra; Sofas, Tische, Einbauten: Sonderanfertigungen, Entwurf Studio Alvise Stramare
Christiane Sauer. Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Materialentwurf an der Weissensee Kunsthochschule Berlin.
www.formade.com; www.dxm-berlin.de