Die tschechische Stadt Brno – auf Deutsch eher als Brünn geläufig – kennen Architekturbegeisterte vor allem durch Ludwig Mies van der Rohes Villa Tugendhat, die 1930 fertiggestellt wurde. Brünn ist die zweitgrößte Stadt Tschechiens und ein starkes Industrie-, Handels-, Kultur- und Verwaltungszentrum. Zudem ist sie ein wichtiger Forschungsstandort mit 13 Universitäten und über 60 000 Studierenden.
Dieser Mix aus Geschichte, Modernität und Lebendigkeit nahe der Grenze zu Österreich macht die Stadt für viele Start-ups interessant; ebenso für Scale-ups, die bereits Marktzugang und Kunden haben und mit ihrem Unternehmen wachsen oder sogar weltweit expandieren möchten.
Orientierungshilfen
Einen Partner für ihr Vorhaben finden sie im Südmährischen Innovationszentrum JIC, das sich mit seinem Hauptsitz in einem Industriegebiet im Norden der Stadt eingerichtet hat.
Die dort angesiedelten Firmen können auf Mentorenprogramme, Veranstaltungen und Hilfe für verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten zugreifen. Ebenso profitieren sie von einem wertvollen Netzwerk – das JIC das „Innovationsökosystem“ nennt.
Zunächst fällt die prägnante Farbgebung des Interiors ins Auge. Das mit dem Umbau und der Renovierung beauftragte Architekturbüro Kogaa versteht sie als Mittel, um die räumliche Gliederung zu unterstützen: Dort, wo eher Stille und konzentriertes Arbeiten gefragt sind, haben sich die Planer für kalte Farbtöne entschieden. So dominiert das blaue Spektrum die Büroräume sowie Arbeitsplatzzonen, zum Beispiel die Coworking-Sektion im Erdgeschoss und einige kleinere Räume zum separierten Arbeiten.
Rottöne im Foyer
Dagegen steht Rot für „aktives“ Arbeiten, also Interaktion. Es findet sich in den Bereichen für Gedankenaustausch und interne Kommunikation, aber auch in solchen für Besprechungen mit Gästen und Kunden. Als erste Anlaufstelle dient das Foyer im Erdgeschoss, weshalb hier einige Rottöne auftauchen – etwa an der Wand hinter dem Empfangstresen und beim organisch geformten Sofa. Gleiches gilt für die JIC-Lounge im Obergeschoss. Zwischen diesen Spektren changieren gelbe und orangefarbene Töne, die Zonen für konzentrierte Besprechungen kennzeichnen.
Besondere Wirkung entfaltet eine künstlerische Installation im Luftraum des Foyers. Sie besteht aus mehreren, farbigen Plexiglasscheiben, die eine sternartige Skulptur bilden. In ihrer Mitte hängen Stableuchten, wodurch das Gebilde selbst zu strahlen scheint und die verschiedenen Farbschattierungen zusätzlich auf die umliegenden Flächen projiziert. „Dadurch soll sich das Erdgeschoss visuell mit dem Obergeschoss verbinden“, erläutern die Projektverantwortlichen des in Brünn und Prag ansässigen Gestaltungsbüros Kogaa.
Bestandsumbau
Die geeignete Immobilie für ihre Wirtschaftsförderung fand JIC in einem bestehenden Bürogebäude mit ehemaligen Laborflächen.
Die Planer, die sich als „Experten für alternative Retrofit-Arbeitsplätze“ verstehen, sollten am JIC-Hauptsitz eine Vision einer nachhaltigen Bürostruktur entwickeln und umsetzen. Als gedankliche Leitlinien gab der Bauherr vor: Förderung der Zusammenarbeit sowie Vermittlung eines Gefühls von Offenheit und Kreativität.
Um bei diesem Unterfangen strukturelle und somit gestalterische Freiheit zu erhalten, entfernten die Architekten von Kogaa zunächst einen Großteil der nichttragenden Wände. Dadurch lösten sie das ursprüngliche, eher klassische räumliche System aus Mittelfluren mit Büros links und rechts nahezu vollständig auf.
Coworking-Zonen
Beim Füllen der nunmehr fast leeren Flächen gingen sie nach dem Prinzip vor, einzelne Bereiche möglichst klar zuzuordnen und zu definieren. Sprich, auf konzeptueller Ebene wurden den beiden Etagen zunächst sogenannte Kompetenzniveaus zugeordnet, die sich am aktuellen geschäftlichen Stand der jeweiligen Unternehmungen ausrichten.
Im wegen der leichten Hanglage nur halb so tiefen Erdgeschoss befindet sich der Eingang mit Foyer, das als Empfang und Verteiler zu den verschiedenen Bereichen und Zonen fungiert. Hier stehen außer dem großen, roten Sofa einige einfach gehaltene Plätze mit Tisch und Bank hinter raumhohen Vorhängen. Besucher und Tagesgäste melden sich am Empfangstresen an. Im angeschlossenen Bistro „Kancl“ gibt es internationale Gerichte für den kleinen Hunger.
Ein kompakter Veranstaltungssaal im hinteren Teil des Geschosses steht für Vorträge oder Präsentationen zur Verfügung. Gemäß der Einteilung nach Kompetenzniveaus stehen im Erdgeschoss Arbeitsplätze für Einzel- und kleine Unternehmen sowie Studierende bereit. Sie nutzen lange Tische in einem gemeinsamen Raum sowie eine Lounge-Sitzecke für informelle Gespräche.
Ins Obergeschoss gelangt man über ein Treppenhaus oder Fahrstühle vom doppelgeschossigen Foyer.
Organische Formen
Hier befinden sich, abgesehen von den Büros für das JIC-Team, die Räume für die bereits etablierteren Start-ups und die größeren Scale-ups, die mit mehreren Mitarbeitern operieren. Das Team von Kogaa hatte insgesamt die Grundidee verfolgt, die einst rechtwinkligen Räumlichkeiten durch organische Konfigurationen zu ersetzen.
Der so entstandene Raumfluss soll die Interaktion zwischen den Mitarbeitern der verschiedenen Unternehmen fördern. Das betrifft hauptsächlich die Gemeinschaftsbereiche, im Grunde genommen die vorherigen Flure, in denen es jetzt Angebote für unterschiedliche Teambesprechungen oder für zufälliges Zusammentreffen gibt. Wie transparente Bubbles liegen die Besprechungsräume im großen Flur. Gebogene Plexiglasscheiben dienen der akustischen Trennung.
Kurvenreiche Gestaltung
„Wir haben in erster Linie Materialien verwendet, die eine Gestaltung mit Kurven ermöglicht, sodass deutlich wird, wie verglaste Trennwände und vertikal gewellte, pulverbeschichtete Metallplatten die Räume formen“, betonen Tomáš Kozelský, Alexandra Georgescu und Viktor Odstrčilík.
Das Gründungstrio von Kogaa und sein Team unterstützte die geschwungene Abfolge durch die Verwendung von Vorhängen und Teppichböden. Diese Elemente verleihen den Zonen darüber hinaus eine gewisse Weichheit. Ebenso sorgen sie für die Schalldämmung oder verbessern zumindest die Akustik.
Nachhaltigkeitsgedanke
Die Besprechungsräume verfügen über diverse Größen für zwei bis zehn Personen. Sie sind eher spartanisch eingerichtet und besitzen zumeist eine eigene Klimatisierung. Mit Vorhängen lassen sie sich optisch abtrennen. Im Sinne der Weiterverwendung kamen viele Möbel, die Beleuchtung und einige Bodenbeläge aus früheren Büros wieder zum Einsatz.
Der Nachhaltigkeitsgedanke und seine innenarchitektonische Umsetzung unterstreicht den mit dem JIC-Hauptsitz verbundenen Anspruch, einen Ort der Innovation zu generieren, an dem Menschen arbeiten, die Veränderungen vorantreiben möchten. Dieser Ansatz passt zur Philosophie der Gestalter vpn Kogaa, die „fest an die Kraft inspirierender Räume glauben, die einen positiven Einfluss auf die Welt um uns herum haben“.
Das beziehen sie nicht nur auf die Revitalisierung einer einzelnen Bestandsimmobilie. Vielmehr komme dem JIC-Gebäude auch die Aufgabe zu, „die Umgebung städtebaulich zu transformieren und wirtschaftlich wiederzubeleben“. Dass leuchtende Farben diese Wahrnehmung verstärken, dürfte sogar beabsichtigt sein.
Studio Kogaa
wurde 2015 von Alexandra Georgescu (vordere Reihe Mitte), Tomáš Kozelský und Viktor Odstrčilík (oberste Reihe, 2. und 3. von links) gegründet. Es konzentriert sich auf die Revitalisierung von historischen Gebäuden und nachhaltigen Neubauten.
Fakten
Projekt: Hauptsitz des JIC in einem umgebauten Bestandsgebäude
Bauherr: JIC (South Moravian Innovation Centre)
Standort: Purkyňova, 621 00 Brno , Tschechien
Architekten: Studio Kogaa
Fertigstellung: 2023
Bruttogeschossfläche: 1 655 m²
Grafikdesign: Steezy
Ausstattung (Auswahl): Glaswände von Dexo, allgemeine und Deckenbeleuchtung von Hormen, Neonhinterleuchtungselemente von Happy Fish, Sitzsystem ‚Soft Work‘ von Vitra, Bank ‚Linear steel bench‘ von Muuto, Deckenleuchte ‚Haipot‘ von Dyberg Latsen, Hocker ‚Stool 60‘ von Artek
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