Ausgangspunkt der Überlegungen von Kentaro Kurihara und Miho Iwatsuki von Studio Velocity war, dass eine möglichst große, freie Fläche mit kleinem Budget geschaffen werden sollte – ein zusammenhängender offener Raum nur mit den allernötigsten Stützkonstruktionen und Wänden.
Keine gewöhnliche Holzkonstruktion
Flächen frei zu überspannen erfordert gemeinhin großformatige Konstruktionen aus Stahl, Beton oder Holz, die meist kostenintensiv in der Umsetzung sind. Um preisgünstig zu arbeiten, fiel die Wahl auf eine sehr besondere, eigens entwickelte gewölbte Geometrie, die die Bürofläche überspannt.
Herkömmliche hochformatige Leimbinder besitzen eine hohe Stabilität, sie sind aus vertikal gestapelten, laminierten Hölzern zusammengesetzt. Als Bogen verbessert sich die Tragwirkung noch.
Umgedrehte Wölbung
Im Radius gefräste oder geformte Bauteile sind jedoch aufwendig und teuer in der Herstellung. Deshalb ging das Team einen ungewöhnlichen Weg: Die eingesetzten Träger bilden keine stehenden Bögen, sondern werden als liegende Querschnitte verwendet und hängen aufgrund des Eigengewichtes zunächst durch.
Sie werden nun weiter in Bogenform gespannt, indem sie an statisch relevanten Punkten durch hölzerne „Zugstützen“ nach unten gezogen und befestigt werden.
Vorspannnung stabilisiert das Dach
Diese „Holzstützen“ können auf erstaunliche 5 x 5-cm-Profile minimiert werden, da sie keinerlei Druckbelastung aufnehmen müssen.
Die Vorspannung stabilisiert das Dach, das nun mit „umgedrehter“ Wölbung den Raum überdeckt. Die Konstruktion ist stabil, aber zugleich elastisch, sodass sie Einwirkungen wie Erdbeben oder Taifune gut überstehen kann.
Die äußere konkave Dachfläche steht den Mitarbeitern als Freiraum zur Verfügung. Durch die Belastung bei Benutzung verringert sich im Zusammenspiel der Kräfte die Zugspannung in den Stützen bis sie bei Maximalbelastung des Daches (150 Personen) gegen Null geht. Die Holzstützen müssen also nie im klassischen Sinne „tragen“, sondern halten nur die Vor- spannung der Fläche.
Präzisionsholz im Experiment
Ein solch eigenständiges Konzept lässt sich natürlich nicht nur am Computer entwickeln. Es wurden zahlreiche Experimente am und mit dem Material ausgeführt. Damit die horizontalen Holzträger elastisch genug für die Zugkonstruktion sind und nicht brechen, konzipierten die Architekten in Zusammenarbeit mit der ausführenden Holzfirma die von ihnen „Präzisionsholz“ getauften Träger in Handarbeit.
Sie testeten 1 100 Schnitthölzer auf ihre individuelle Festigkeit und bestimmten das jeweilige Elastizitätsmodul. Da Holz ein lebendiges, gewachsenes Material ist, fällt nicht jedes Brett in seiner Struktur und somit Tragfähigkeit gleich aus.
Die Laminatträger wurden so konzipiert, dass die stärksten Hölzer mit dem höchsten E-Modul im mittleren Bereich mit der größten Biegebelastung angeordnet sind, die Schwächeren im Randbereich.
Konstruktionselemente nutzen den Werkstoff Holz
So entstanden Konstruktionselemente, deren Materialstruktur individuell auf die Belastung maßgeschneidert ist und die die Eigenschaften von Holz als natürlich gewachsenem Werkstoff nutzen. Durch die materialminimierende Zugbelastung und letztlich einfache Konstruktionsweise konnten die Kosten gering gehalten werden.
Die eigentliche Dachfläche und auch die Wandflächen sind aus Sperrholz hergestellt, das mit einer wasserfesten Beschichtung als Anstrich versehen ist.
Fein in den Raum gezeichnet
Der auf diese Weise entstandene weitläufige und großzügige Arbeitsraum des Erdgeschosses wird durch äußerst filigrane Elemente charakterisiert, die fast wie in den Raum hineingezeichnet wirken: die feinen Holzstützen, die linearen Leuchten und die Bugholzmöbel, die mit ihren grafisch geschwungenen Formen eine ideale Ergänzung zum Gesamtkonzept sind.
Die verglaste Fassade öffnet sich nicht nur komplett zur Straße, sondern schließt auch drei Patios ein, die Natur, Licht und Luft in das Büro bringen. Diese Außenbereiche bilden zudem eine Sichtverbindung zur Dachterrasse.
Experimentelles Projekt: effizient, kostengünstig
Die Krümmung der Dachfläche wurde mittels 3D-Aufmaß des Bauplatzes so konzipiert, dass sie die Kubaturen der benachbarten Häuser berücksichtigt und zugleich einen private Atmosphäre schafft. Die Architekten vergleichen den entstandenen räumlichen Eindruck auf dem Dach mit einer Scholle, die sich unter dem Himmel erstreckt. Die Möblierung wirkt wie kleine Inseln oder Objekte, die auf dieser Fläche treiben.
Dieses experimentelle Projekt zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie mit einfachen Mitteln nicht nur Konstruktion effizient, kostengünstig und neu gedacht werden kann, sondern auch, wie dadurch außergewöhnliche Räume entstehen, die gedankliche und bauliche Horizonte verschieben können.
Die perfekte Umgebung für ein Architekturbüro. Hier können die Mitarbeiter von Velocity weiterhin intelligente und ungewöhnliche Ideen und Projekte kreieren.
Factsheet
Projekt: Sanno Office
Ort: Sanno-22–1, Okazaki, Aichi Präfektur/JP
Größe: 210 m²
Architekten: Studio Velocity, www.studiovelocity.jp
Material: Zugstützen: Hinoki Zypressenholz 5 x 5 cm; Dachträger: Leimbinder, horizontal eingesetzt; Dach: Konstruktionsholz 6 x 6 cm mit 9 und 12 mm Sperrholz beplankt, wasserfeste Beschichtung; Boden: Zementboden, Kunstharz vergütet; Trennwände innen: Sperrholz; Außenfassade: Beschichtung mit Galvalume®, einem Schutzanstrich aus Aluminium-Zink-Siliziumlegierung
Autorin Christiane Sauer
Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Materialentwurf an der Weissensee Kunsthochschule Berlin.
www.formade.comwww.dxm-berlin.de