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Clever ausgereizte Fläche

Umbau von Ratschko Architekten in Hamburg
Clever ausgereizte Fläche

Effiziente Raumnutzung in der Großstadt, das wünschen sich nicht nur Singles, sondern auch Familien. Ein Modernisierungsprojekt von Ratschko Architekten in einer ehemaligen Hamburger Arbeitersiedlung zeigt, dass Wohnqualität Platzbeschränkungen ausgleichen kann.

Autor Jörg Zinßer

Die Falkenried-Terrassen, eine Arbeitersiedlung im Hamburger Stadtteil Hoheluft-Ost, erlebten eine wechselvolle Geschichte. Sie mündete darin, dass die Gebäude heute einer städtischen Stiftung gehören. Diese verpachtete sie an eine Genossenschaft, die aus den Mietern der Wohnungen besteht. Und die wohnen gern dort.

Ihre Bleibe nicht verlassen wollte auch eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Doch wollte sie den vorhandenen Wohnraum besser an ihre Bedürfnisse anpassen. Das Hamburger Büro Ratschko Architekten brachte die Lösung, indem es zwei übereinanderliegende Wohnungen mit je 32 m² zu einer Maisonette mit 64 m² verband. Keinesfalls handelt es sich hier um ein Luxus-Upgrade. Vielmehr galt es, den recht beengten Wohnraum für eine variable Nutzung zu ertüchtigen – ohne üppiges Budget. Die Maisonette soll allen Bedürfnissen des täglichen Lebens gerecht werden. Zusammensein und Rückzug beispielsweise müssen keinen Widerspruch darstellen.

Keine leichte Aufgabe, doch Kai Ratschko gelang die Umsetzung so gut, dass er zu den 50 Projekten des „Best of Interior“-Jahrbuchs von Callwey gehört. Kern des Entwurfs war eine Umwidmung der bisherigen Raumfunktionen und ein behutsames Öffnen der Wände: Zwei Räume im Erdgeschoss wurden zu einem Ess- und Wohnzimmer, eine Durchreiche verbindet die Küche mit dem Essplatz.

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Treppe mit Lukendeckel

Eine ausgetüftelte Raumspartreppe aus unlackiertem Birkensperrholz führt von unten nach oben. Das Zimmer, das sie erschließt, lässt sich für Gäste nutzen und dafür abtrennen: durch einen Lukendeckel, der den Etagendurchbruch schließt, und durch Türen zum Kinder- beziehungsweise Elternschlafzimmer. Dabei nimmt die Treppe der Wohnfläche nicht mehr als 1 m² weg. Die millimetergenaue Konstruktion stammt von Ratschko Architekten, die professionelle Umsetzung vom Tischler. Die Klappe wird von zwei Seitenteilen gehalten und gesichert. Beim Verschließen werden die Seitenteile weggestellt. Beim Einbau kam die Treppe am Stück durch das Fenster zur Straßenseite.

Neben der familientauglichen Küche bietet die Wohnung zwei winzige, aber voll funktionstüchtige Badezimmer. Die Eingangstüren der ehemals getrennten Wohnungen blieben erhalten. Einen Keller gibt es nicht. Licht erhält die Wohnung von der Straße und der Gebäuderückseite, sodass nirgends ein Gefühl der Enge entsteht. Dazu trägt auch die niedrige Brüstungshöhe der Fenster bei. Und: „Die Bestandswohnungen überzeugen durch gut funktionierende Proportionen“, sagt Ratschko. Das lässt sie verhältnismäßig groß erscheinen.

Dem passt sich die Möblierung an. Ein Beispiel: „Der Esstisch ist nur 70 cm tief, obwohl dort auch 80 cm hingepasst hätten“, betont der Architekt. Die Treppe folgt dem gleichen Gedanken. „Übliche, normal große Einbauten hätten die Proportionen insgesamt in ein Missverhältnis gebracht.“ Mit Respekt vor dem Bestand eine zukunftsoffene Nutzung ermöglichen, das war der Leitgedanke des Umbaus durch Ratschko Architekten: Die Kinder erhielten kombinierte Schrank-Hochbett-Möbel, die jeden Zentimeter aus dem knappen Raumvolumen herausholen.

Zerlegbare Möbelelemente

Sie sind modular und können, wenn die Kinder größer sind, zerlegt und anders zusammengesetzt werden. Ihr Spielhöhlencharakter kann durch Sollfugen in eine eher jugendgerechte Form überführt werden. Sobald der Nachwuchs eigene Zimmer braucht, kann das multifunktionale Durchgangszimmer, in dem die Treppe oben endet, durch eine Schiebetür in ein Jugendzimmer verwandelt werden.

Damit ist die Maisonette von Ratschko Architekten ein gutes Anschauungsobjekt dafür, dass die für vier Personen eher kleine Fläche durch geschickte Einbauten und Mehrfachfunktionen größer wirkt. Vielleicht dient sie mit ihrer flexiblen Nutzbarkeit auch anderen Mietern der Falkenried-Terrassen als Anregung für Umbaumaßnahmen.

Zugleich würdigt das Bauen im Bestand eine lokale Städtebau-Besonderheit. Der Spezialbegriff Terrassen meint folgendes: Ein Straßenblock erhielt eine Randbebauung in der üblichen bürgerlichen Stadtarchitektur, plus/minus fünf Stockwerke. Doch war der Raum hinter diesen Kopfbauten nicht mit Höfen oder Einzelgebäuden gefüllt, sondern mit mehreren Zeilen linearer Reihenhäuser in dreigeschossiger Bauweise; dazwischen eine schmale Passage, die die Wohngebäude erschloss und einen gemeinschaftlich genutzten Raum bildete – wie eine langgestreckte Piazza.

Zwischen damals und heute liegt eine Geschichte, die man zum Verständnis des Projekts von Ratschko Architekten kennen muss: Die Siedlung entstand zwischen 1890 und 1903. Ganze Familien bewohnten die winzigen Einheiten, aber mit viel Licht und Luft und angeschlossen ans Trink- und Abwassernetz.

Mitte der 1980er-Jahre standen die Häuser kurz vor dem Abriss. Schon um 1930, heruntergekommen durch die Weltwirtschaftskrise und mangels Instandhaltung, verfiel die Siedlung während der Nazizeit als linkes Arbeiterquartier noch mehr. Sie war nach dem Krieg teilweise zerstört, und wurde 1961 zum Neubaugebiet erklärt. Gemeinnützige Wohnbaugesellschaften erwarben das Areal im Auftrag der Stadt und ließen es weiter verfallen, um es abzureißen.

Dagegen begannen die Mieter aufzubegehren. Es entstand eine Art soziales Experiment, das bis heute andauert und den Falkenried-Terrassen internationale Aufmerksamkeit eingebracht hat – bei Architekten und Stadtplanern. 1973 hatte sich eine Mieterinitiative gegründet, die es bis 1985 schaffte, den Abriss zu verhindern und die Sanierung durchzusetzen. Sie profitierte vom gewandelten städtebaulichen Zeitgeist: Die Ära der Hausbesetzer war nicht ohne Wirkung geblieben.

Erhaltung statt Neubau

„Wir wollen hier wohnen bleiben.“ Das Motto der ersten Mieterinitiative gilt bis heute. Sicherlich liegt das auch am Dorfcharakter der Siedlung und ihrem Potenzial der städtebaulichen Nachhaltigkeit. Hier schließt sich der Kreis: Viele Arbeitersiedlungen hatten früher schon Grünanlagen oder Gemeinschaftsräume. Heute würden sie Shared Spaces heißen und eine Balance zwischen gemeinschaftlichem und individuellem Leben bilden. Ressourcen sparen durch Teilen. Das wird beim heutigen Bauen vielerorts wiederentdeckt – früher eher sozial motiviert, heute ökologisch.

Dass die Hamburger Falkenried-Terrassen nicht zum gentrifizierten Großstadtquartier gerieten, liegt auch an der Standhaftigkeit der Mieter. Und dem Genossenschaftsgedanken. Es gibt deshalb ein Plenum, einen Vorstand, einen Aufsichtsrat und ein Gremium, das über die Vergabe freier Wohnungen entscheidet. Wer einziehen will, benötigt einen Wohnberechtigungsschein.

Zu den Bewohnern, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben, kamen und kommen Migranten, Singles, die kleine, günstige Wohnungen schätzen, Familien, die wegen ihres Nachwuchses nicht wegziehen wollen. Ein ganzer Straßenblock wurde so dem freien Markt entzogen.


Fakten

Projekt: Umwandlung zweier übereinander liegender Bestandswohnungen in eine Maisonette
Standort: Falkenried 34, 20251 Hamburg

Bauherr: privat
Architekt: Ratschko Architekten, Hamburg, Webseite des Büros
Fertigstellung: 2020
BGF: ca. 67 m²
Materialien (Auswahl): Küchenschränke aus finnischem Birkensperrholz ‚Koskidekor‘ von Koskisen, Arbeitsfläche auf der Herdseite aus ‚Fenix‘-Plattenmaterial von Arpa, Sonderanfertigung der Möbelgriffe aus Messing, Treppe aus unlackiertem Birkensperrholz

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