Wer kauft einen fensterlosen Kirchturm aus Beton, dessen Seitenlängen 7,5 m betragen, bei einer Höhe von fast 22 m? Die Höhe eines solchen Aedificiums hat den Zweck, die darin hängenden Glocken möglichst weit und über alle Dächer hinweg erklingen zu lassen, damit auch jeder im Ort deren Geläut hört. Aber so ein betoniertes, himmelstürmendes Etwas, jahrzehntealt, zugemüllt und von Tauben verkotet, das will doch niemand haben. Oder?

Es gibt Menschen, die verwirklichen in der Architektur Projekte, die nur mit viel Leidenschaft funktionieren können. Ingrid Maria Buron de Preser ist Architektin, aber von der eher seltenen Sorte: Sie ist Filmarchitektin.
Am Objekt, das wir hier vorstellen, arbeitete sie innenräumliche Qualitäten heraus, die niemand außer ihr zu sehen in der Lage war. St. Elisabeth heißt das katholische Gotteshaus im Stadtteil Brühl in Freiburg, das 2006 profaniert wurde und seit 2007 über viele Jahre leer stand.
Neue Nutzung
Entworfen wurde die 1962 bis 1965 geplante und erbaute Kirche sowie der dazugehörige Campanile vom Karlsruher Architekten Rainer Disse, einem versierten Kirchenbauer mit einer ausgeprägten Vorliebe zum Béton Brut. Sie endete letztlich wie viele säkularisierte Häuser als Wohngebäude mit aufgestocktem Container. Viel spannender indes ist die Geschichte des danebenstehenden Campanile.
Weil das Immobilienunternehmen, das das Hauptgebäude aufstockte, keinen merkantilen Vorteil im Turm sah, schlug die Stunde von Ingrid Maria Buron de Preser, die den unter Denkmalschutz stehenden Solitär aus seinem Dornröschenschlaf wecken wollte.
Der mittlerweile funktionslose Turm, dessen alte Glocke eine neue musikalische Betätigung im fernen Tansania fand, war in einem trostlosen Zustand: Tauben hinterließen rücksichtslos ihren weißen Dreck und andere komische Vögel ihre sinnlosen Graffitis.
Unter dem Claim „Wohnen und Arbeiten auf Zeit“ erarbeitete Ingrid Buron in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg auf fünf Ebenen eine Abfolge von individuell zugeschnittenen Wohnungen. Ganz oben ist die ehemalige Heimat der Glocke, das heutige Himmelstorloft angesiedelt, mit einer Raumhöhe von 7 m.

Ingrid Maria Buron de Preser erklärt: „Mein Anliegen war und ist es, die ursprüngliche Bestimmung dieses Kulturdenkmals zu achten und diesem Bau neuen Geist einzuhauchen, um einen lebendigen Kraftort zu erschaffen, dessen wohltuende Energie für die Besucher und Gäste spürbar ist und sie in ihrem Leben inspiriert.“
Sanierungsmassnahmen
Der bildhauerische Ansatz, aus dem geschlossenen Betonkasten eine fein temperierte Abfolge von Lichtöffnungen herauszuschneiden, ist die augenfälligste Baumaßnahme. Natürlich mussten Problemstellen ausgebessert, freiliegende Stähle behandelt werden, aber dennoch bleibt die Wirkung des grob geschalten Betons so sichtbar, wie er vor fast 70 Jahren gegossen wurde.
Ein Jahr lang wurden in Handarbeit Schadstellen aufgestemmt, Bewehrungsstäbe freigelegt und entrostet, mit Korrosionsschutz versehen sowie mit Haftschlämme gestrichen und mit Reprofilierungsmörtel saniert. Fundstücke wie der vergessene Betonaltar, der über Jahre unter Schutt und Abfall verschüttet blieb, stehen heute wie selbstverständlich im Wohnraum.
Freude und Leid
Unter dem alten Linoleumboden fand sich ein Estrich, in den Naturstein-Bruchstücke eingearbeitet waren. Dieser wurde aufgearbeitet und versiegelt. Im Altarraum, auf Erdgeschossebene gelegen, waren die Bodenplatten aus Carrara-Marmor durch Schutt und Taubenkot stark angegriffen und wurden in liebevoller Handarbeit restauriert, geschliffen und versiegelt.
Auch Rückschläge blieben nicht aus, wie jener, der aus einem Handwerkerfehler bei der Dachabdichtung resultierte: Er führte zu einem riesigen Wasserschaden in zwei Geschossen sowie an der Fassade und kostete letztlich ein halbes Jahr zusätzliche Sanierungszeit.
„Ich habe mich mit diesem Ort und seinem Wesen vom ersten Moment an verbunden gefühlt und es war mir ein tiefes Bedürfnis, ihn wieder zum Leben zu erwecken und ihm erneut Würde zu verleihen“, erklärt Ingrid Maria Buron de Preser ihr Durchhaltevermögen.

Ingrid Maria Buron de Preser zeigt Liebe zum Detail
Die neuen Möbel mit ihrer dezenten Farbigkeit, ausgesuchte Kunst, die ziselierten Wandmalereien von Gaby Roter, die grazilen Geländer und die zahlreichen Sammlerstücke unterstützen die räumliche Wirkung dieses vertikalen Baus.
Die Sorgfalt, die in jedem Detail spürbar ist, lässt vergessen, dass es sich um lange vernachlässigten Bestand handelt.
Es passt zur Innenarchitektur, dass ein „Gast“ Einzug gehalten hat, der nur unwesentlich jünger ist als die Mauern. Der Kaminklassiker ‚Gyrofocus‘ von Dominique Imbert hängt heute dort, wo früher die Glocke mit dem schönen Namen Cecilia schlug.

Domizil auf Zeit
Sämtliche Kochbereiche sind an die jeweiligen Räume angepasst, in Abstimmung mit dem Denkmalschutz und mit Sichtbetonoberflächen nach einem Entwurf von Ingrid Buron. Wer als Leser Feuer gefangen hat und die schönen Räume einmal selbst sehen und bewohnen möchte, kann direkt bei der Filmarchitektin anfragen.
Alle Wohnungen im Turm sind als Domizil auf Zeit zu mieten und stehen auch für Fotoaufnahmen oder Präsentationen zur Verfügung. Übrigens kann man, in Richtung Frankreich und die Vogesen blickend, herrliche Sonnenuntergänge genießen, so, wie einstmals nur Cecilia.
Ein Interview mit der Architektin finden Sie hier
Ingrid Maria Buron de Preser
gründete das Büro Buronarchitecture 1995. Sie beschäftigt sich mit den Themen Architekturfilm, Innenausbau und Styling. Ihr Credo: Neues wagen.
Fakten
Projekt: Wohnturm
Standort: Offenburger Straße 52, 79108 Freiburg
Bauherr: Ingrid Maria Buron de Preser
Bauaufgabe: Konzeptentwicklung, Gesamtsanierung, Innenausbau.
Architektur: Buronarchitecture
Fertigstellung: November 2021
Geschosse: 5
Nutz-/Wohnfläche: ca. 200 m²
Leuchten: Frezoli Lightning, DCW Editions
Stauraummöbel: Kristina Dam
Hocker: Joe Sayegh, Sessel: Norr 11
Sanitär: Duravit ‚Luv‘, ‚Vero‘, ‚X Viu‘
Duschrinne ‚Drainline‘ von Tece
Türdrücker: ‚FSB 1257‘
Spiegel: Duravit ‚X Square‘, ‚Happy D.2.‘
Beleuchtung: Arcos ‚Light Puck‘, Nimbus ‚Cube‘
Hauskommunikation: Gira