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Kindertagesstätte/Familienzentrum von Bez + Kock Architekten in Miltenberg

Kindertagesstätte/Familienzentrum von Bez + Kock Architekten in Miltenberg
Offen und geschützt

Ein flacher Holzbau für eine Kita mit Familienzentrum wirkt dezent, signalisiert aber Zugänglichkeit. Im Innern ist die unbekleidete Holzkonstruktion überall sicht- und spürbar. Sie vermittelt Kindern und ratsuchenden Erwachsenen Geborgenheit.

Autor Achim Geissinger

Von außen unscheinbar, hinter hohen Mauern verborgen, entwickelt sich der Klostergarten des ehemaligen Franziskanerkonvents zu einer weiten Freifläche mitten im Miltenberger Stadtzentrum. Als gäbe es den riesigen Parkplatz jenseits der Mainstraße nicht, war die eingehegte Fläche lange Zeit vom ruhenden Verkehr belegt. „Wunsch der Bauherrschaft war es, diesen Ort für die Bürger zurückzugewinnen“, erinnert sich Martin Bez von Bez  + Kock Architekten. Zusammen mit Koeber Landschaftsarchitektur hatten er und sein Team den Planungswettbewerb für das Gelände gewonnen.

Im gemeinsamen Schulterschluss schufen Stadtverwaltung, katholische Kirche und Caritas, die nach der Auflösung des Konvents im Jahr 1983 dessen Gebäude bezogen hatten, dafür die Voraussetzungen. Sie beauftragten den Neubau einer Kindertagesstätte samt Familienzentrum und die Gestaltung der Außenanlagen.

Grüne Oase

Als eingeschossiger Holzpavillon konzipiert, sind die neuen Räumlichkeiten zwischen die historischen Klostermauern eingespannt. Den Garten zerteilen sie in einen kleinen, rundum geschützten Freispielbereich für die Kita und den weitläufigen öffentlich zugänglichen Freiraum vor dem historischen Klostergebäude. Als grüne Oase bietet er unter anderem Flächen für einen Nachbarschaftsgarten sowie einen Durchgang vom Main her durch den Altbau hindurch weiter in die Stadt hinein.

Das Thema Durchlässigkeit bestimmt auch den Charakter des flach gelagerten Neubaus, der vor allem im Eingangsbereich, außen wie innen, mit raumhohen Verglasungen für Transparenz und Übersicht sorgt. Eine vorgelagerte Pergola erzeugt einen weichen Übergang ins Gebäude, bietet Wetterschutz und überdachte Außenräume vor den Foyers, Speise- und Mehrzweckräumen. Ihr Gegenstück auf der „Spielseite“ kommt vor allem den Gruppenräumen als Außenspielfläche zugute.

Familienzentrum

In die Gebäudetiefe hinein entwickelt sich der Bereich des Familienzentrums, dessen Räume für Beratung, Seelsorge und Verwaltung um einen begrünten Lichthof herum gelagert sind. Der Flur, der diese Zonen vom Elterncafé aus erschließt, führt entlang der historischen Klostermauer aus rotem Sandstein. Deren Materialität und das damit verbundene Charakteristikum des Orts lassen sich hier sozusagen hautnah erleben.

Bauphysikalisch stellte die Integration der etwa 50 cm dicken Mauer in den Innenraum ein kompliziertes Unterfangen dar, bekennt Bez. Sie wurde saniert, ausgebessert, abgedichtet und mit einer elektrischen Begleitheizung versehen. Der hohe Dämmstandard des restlichen Baus kompensiert die an dieser Stelle fehlende Isolierung. Wichtig war es den Planern, dass durch die haptischen und atmosphärischen Qualitäten des Sandsteins ein Haus zum Anfassen und Begreifen entsteht. Darüber hinaus kommt das Schützende und Bergende der schweren Mauern zum Tragen.

Materialerfahrungen

Zum Anspruch, den Kindern möglichst viele angenehme Materialerfahrungen zu eröffnen, trägt auch die neutrale Holzsichtigkeit aller Rahmen, Wände und Decken bei. Die Nebenräume sind hier ausgenommen. Dagegen bringt der Aubergine-Ton des pflegeleichten Linoleumbodens eine gewisse Schwere ins Spiel, die die Holzwände umso heller und leichter erscheinen lässt.

Vor und in den Gruppenräumen entstehen viele Orte, die mit Licht, Farbe und unterschiedlichen Oberflächen subtil die Sinne ansprechen. Aufgeweitete Nischen im langen Flur nehmen die Garderoben auf und werden dankbar als zusätzliche Spielfläche genutzt. Großformatige Dachoberlichter akzentuieren diese innen liegenden Vorplätze mit Tageslicht. Leuchtende Filzkreise in leicht zuzuordnenden Primärfarben vermitteln Orientierung.

Räumlicher Zusammenhang

Jeder Gruppenraum verfügt über eine eigene Küchenzeile und einen direkten Zugang zur Pergola und weiter zum Garten. Kinder ab drei Jahren dürfen zusätzlich ein innen liegendes Treppenelement als Klettergerüst nutzen, das über eine Zwischenebene hinauf zu einem Ausguck führt. Von dieser Stelle aus kann der Blick über das Kräuterdach und den Garten hinweg bis zur Ortsmitte schweifen, denn: eingeschossig ist langweilig. Das fanden jedenfalls die Architekten und überzeugten damit die Wettbewerbsjury und die Bauherren. Als Absturzsicherung dient ein leichtes, eingezogenes Stahlnetz. Dadurch bleiben der Durchblick, das Verständnis für den räumlichen Zusammenhang und der Bezug zur restlichen Gruppe erhalten.

Große Einzelelemente

Darunter befindet sich eine mit Filz ausgeschlagene Höhle als Rückzugsort. Bewegen die Kinder die schweren Filzvorhänge, verändern sich die Helligkeit und Hörsamkeit. In die Holzlamellendecke eingelassenes schwarzes Vlies und Akustikmatten ergänzen die schallmindernden Maßnahmen. An lärmärmeren Stellen genügen in die Massivdecken eingefräste Nuten. Bemerkenswert ist der dezente Umgang von Bez + Kock Architekten mit künstlichem Licht: Die Linienleuchten in den Lamellendecken fallen noch weniger ins Gewicht als die langen Reihen schlichter Kellerleuchten mit Keramiksockel.

Eine Art farbigen Gegenpart dazu bildet der an zentraler Stelle gelegene, allseits mit rotem, hochflorigem Teppich ausgeschlagene „Raum der Stille“. Als klaren Bestandteil des baulichen Konzepts ließ der kirchliche Träger seine Nutzung und Ausgestaltung befreit von spirituellen Vorstellungen völlig offen. Würfelförmig, innenliegend, mit kreisrundem Oberlicht und ebensolcher Schiebetür steht er für einen weichen, flauschigen, gedämpften, zentrierenden, je nach Gemütszustand vielleicht sogar heilsamen Ort.

Nachhaltige und gesunde Bauweise

Für eine gleichermaßen nachhaltige wie gesunde Bauweise, bei der das Material spürbar bleibt, ergänzen vergleichsweise großformatige Einzelelemente den konstruktiven Holzbau. Sie kommen mit nur wenigen, unter den Abhangdecken unsichtbaren Verbindungsstücken aus und wurden über einer Ortbetonbodenplatte aufgerichtet. Tragende und trennende Teile sind eins, in Form von echten dicken, naturbelassenen Holzwänden.

Eine Holzrahmenkonstruktion bildet die Fassade. Bekleidet ist sie mit einer senkrechten Schalung aus unbehandelter Weißtanne. Diese Holzart weist nur wenige Astlöcher auf und vermittelt deshalb ein ruhiges Bild. Im Lauf der Zeit wird sie vergrauen. So wie das Gelände kaum merklich zum Main hin abfällt, zeigt das Gebäude von Raum zu Raum hinweg eine geringfügige Höhenstaffelung von wenigen Zentimetern. Im Innern überbrücken Rampen im Flur die verschiedenen Niveaus. So fügt sich das Haus wie selbstverständlich in die Topografie ein und entgeht dabei der Gefahr unnötiger Höhenentwicklung oder zu starken Auftrumpfens.

Individuelle Bauten

Martin Bez merkt dazu an: „So vielfältig die Aufgabenstellungen, so individuell sind die Häuser, die wir bauen.“ Überprüfen lässt sich das vor Ort: Das „Mainzer Tor“ von 2019 mit Räumen für das Stadtarchiv, Museumsdepot und Jugendhaus spricht mit präzise geschnittenen Sandsteinflächen, Profilglasfassaden und Metall eine andere Sprache.

Doch es kommt bei Weitem nicht nur auf die Optik an. Im Fall des Kita-Projekts freut sich der Architekt über weitere Details: „Die positivste Überraschung war, dass wir in einer Zeit immenser Baupreissteigerungen um etwa 3 % unterhalb des Budgetrahmens bleiben konnten.“ Damit signalisiert er, dass vielleicht noch nicht alle Potenziale des Elementholzbaus ausgeschöpft sind, aber der richtige Weg durchaus eingeschlagen ist.


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Porträt: Arne Hartenburg

Bez + Kock

Die Inhaber Martin Bez (rechts) und Thorsten Kock gründeten ihr Architekturbüro 2001. Derzeit beschäftigen sie 60 Mitarbeiter.


Fakten

Projekt: Kindertagesstätte mit Familienzentrum in Miltenberg (Bayern)

Standort: Mainstraße 19, 63897 Miltenberg

Bauherr: Stadt Miltenberg

Architekten: Bez + Kock Architekten BDA, Webseite des Büros, Generalplaner GmbH, Stuttgart; Martin Bez, Thorsten Kock

Landschaftsplanung: Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart

Fertigstellung: 2022

Bruttogeschossfläche: 2 133 m²

Baukosten: ca. 7,8 Mio. € brutto inkl. Neugestaltung des Klostergartens und Sanierung der Klostermauer

Ausstattung (Auswahl): Linoleumboden von Forbo, Fliesen von CE.SI. Ceramica di Sirone, Porzellansockelleuchten von Lindner Licht, Aluprofilleuchten von Cohausz, Kugelleuchten von Bega, Langfeldleuchten von Ridi und Regiolux, Sanitärobjekte von Duravit, Geberit, Varicor und Ideal Standard, Schalter von Gira, Beschläge von FSB Franz Schneider Brakel und VBH

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