1 Monat GRATIS testen, danach für nur 7,50€/Monat!
Home » Projekte » Büros, Objektbauten »

Wohn- und Geschäftshaus Balma von Kengo Kuma Associates in Vals/CH

Wohn- und Geschäftshaus Balma von Kengo Kuma Associates in Vals/CH
Leichte Schwere

Der im Bündner Bergdorf Vals traditionell abgebaute und vor Ort verwendete Valser Quarzit wird im Haus Balma von Kengo Kuma Associates neu interpretiert. Schwerelos erscheinende, an der Fassade hängende Steinpaneele prägen die Architektur von außen.

Autorin Nele Rickmann

Das Haus Balma an der gleichnamigen Straße in Vals ist das neue Geschäfts- und Wohnhaus der Truffer AG. Das 1983 gegründete Familienunternehmen hat sich auf den Abbau, die Fertigung und den Vertrieb lokaler Steine spezialisiert. Mit der sich ebenfalls im Ort befindenden Therme des Schweizer Architekten Peter Zumthor (1996) erreichte das Unternehmen ein breites internationales Publikum und wächst seither.

Mittlerweile vertreibt Truffer neben dem neu lancierten Valser Quarzmarmor den beliebten Valser Quarzit weit über die Schweizer Grenzen hinaus mit mehr als 50 % Exportanteil.

Konstruktive und technische Herausforderungen

Mit dem Bau des neuen Geschäftshauses wurde Kengo Kuma direkt beauftragt. Das Unternehmen lernte seine Arbeit während einer Chinareise kennen. Man hatte anlässlich einer Steinmesse im Jahr 2011 in seinem Hotel Opposite House übernachtet. Von der Architektur des Japaners war man begeistert, sagt Artemis Truffer. Sie ist gemeinsam mit ihrem Bruder in zweiter Generation im Unternehmen beteiligt. Im darauffolgenden Jahr legte Kengo Kuma Associates Zeichnungen und Visualisierungen vor, die der heutigen Erscheinung bereits weitestgehend entsprachen.

Bis zur Eröffnung vergingen zehn Jahre. Das lag an den konstruktiven und technischen Herausforderungen, die es zu bewältigen galt, erklärt Truffer. Diese ergaben sich vor allem an der hängenden Fassade und den im Treppenhaus befestigten großformatigen Steinplatten.

Gemeinsam habe man mit der Expertise unterschiedlicher Fachfirmen so lange Mock-ups gebaut, Konstruktionen entwickelt und diese wieder verworfen, bis man letztlich den Stein in seinen unterschiedlichen Anwendungen zur besten Geltung brachte. Neben Kengo Kuma Associates mit europäischem Sitz in Paris war das Flimser Architekturbüro Spreiter + Partner an der Bauleitung beteiligt. Mit seiner firmeneigenen Equipe übernahm Truffer die traditionelle Eindeckung der einzelnen Steindächer.

Leichte Hülle

Für die Konstruktion der Fassade tüftelte man lange mit Fachplanern an den Halterungsklemmen der Paneele. Diese waren anfangs viel zu klobig, sodass sich ein unruhiges Erscheinungsbild ergab. Tritt man nun näher an die Fassade heran, sind diese fast nicht mehr sichtbar. Sie verschwinden in den Quarzit- und Lärchenholzpaneelen.

Die sandgestrahlten Steinpaneele bestehen aus zwei einzelnen Platten, die zur Bruchsicherheit mit einem dazwischenliegenden Armierungsnetz verklebt wurden. Starke Stahlseile, die je für eine ½ t vorgespannt sind, tragen die über 1 000 Platten.

Ein farbliches Spiel der unterschiedlich langen Holzpaneele und grau-grün schimmernden Quarzitplatten prägt die Fassade und lässt mal mehr, mal weniger Aus- und Einblicke zu. Drei markante Vordächer ragen spitz zu den Seiten, das Hauptdach streckt sich an einer Gebäudeecke nach oben.

Schwerer Stein

Auch die Dächer des Hauses entsprechen der örtlichen Bauvorschrift, Steinplatten zu verwenden. Aufgrund der steilen Neigung gibt es jedoch einen Unterschied zur traditionellen Deckung: Einzelne Dachplatten sind an der Unterkonstruktion verankert, was sonst aufgrund ihres hohen Eigengewichts nicht notwendig wäre.

Die massiven Dächer des Gebäudes stehen im gewollten Kontrast zur restlichen Fassade, die sich aufzulösen scheint. Was die Entwurfsidee beeinflusste, erläutert Kengo Kuma so: „Aus der Ferne betrachtet, sieht Vals mit den Steinschindeldächern seiner Häuser aus, als würden Steine über dem Tal schweben. Dieses Bild wollten wir in einem besonderen architektonischen Detail aufgreifen.“

Auflösung von Materialität

Das Haus Balma gliedert sich aus der Ferne durch seine Farbigkeit und die kantige, pagodenähnliche Kubatur in das Valser Ortsbild ein, vermittelt jedoch aus der Nähe gleichsam ein vollkommen anderes, für Kuma typisches Materialverständnis: Das Thema der Auflösung von Materialität in eine filigrane, durchaus ambivalente Architekturerscheinung zieht sich durch sein Werk.

Bei diesem Projekt setzte er die Tektonik außer Kraft: Nicht gemauert, sondern mit Abständen gehängt, ist die tonnenschwere Steinfassade des neuen Truffer-Geschäftshauses licht- und luftdurchflutet. Die Materialität der Fassade – Valser Quarzit, Lärchenholz, Stahl und Glas – zeigt sich auch im Inneren des Hauses.

Leichtigkeit und Massivität

Im Unterschied zur Leichtigkeit der äußeren Hülle steht hier die Schwere und Massivität des Steins im Mittelpunkt. Herzstück ist das Treppenhaus, das wie ein Steinbruch anmutet. Als schmale Schlucht verläuft es über die ganze Länge bis unter das Dach quer durch das Haus und teilt es in zwei unterschiedlich große Bereiche: Im 1. OG liegen die Büroräume mit Teeküche, unter dem Dach im 2. OG befinden sich die größere familieninterne Wohnung und ein kleineres, extern zu vermietendes Loft.

Das Treppenhaus sei der Hingucker im Haus, deswegen verzichte man bewusst auf einen Aufzug, um den eindrücklichen Raum tagtäglich zu zelebrieren, verrät Artemis Truffer. Bis zu 14 cm dicke sowie 140 cm lange und je über 100 kg schwere Quarzitplatten hängen hier an beiden Wänden und verleihen dem Raum im durch das Oberlicht einfallenden Licht eine einzigartige Atmosphäre.

Raue Struktur

Ein spezielles Spaltverfahren wurde entwickelt, um dem Stein seine natürlich erscheinende raue Struktur zu verleihen. Einzelne Steinplatten weisen mächtige Bohrrillen auf, andere wirken durch die mit rauen Bruchkanten versehenen Oberflächen wie gerade aus dem Felsen gehauen.

Auch hier war Geduld gefordert, um den richtigen materiellen Ausdruck zu erlangen. Dabei überließen die Architekten nichts dem Zufall: Jede der 1 000 verwendeten Platten wurde fotografiert sowie nummeriert, um von den Planern vor der Montage nach Farbe, Struktur und Format digital zusammengesetzt zu werden.

Anwendungsmöglichkeiten erfahrbar machen

Zwei Handwerker waren daraufhin über ein Jahr lang damit beschäftigt, die Platten nach Plan zu hängen und zu verankern. Diesen Aufwand wollten die Bauherren bewusst treiben, um den Stein in Szene zu setzen. Man wollte ein Gebäude schaffen, das ihre Ambitionen und die Anwendungsmöglichkeiten des ortstypischen Gesteins im architektonischen Raum erfahrbar macht.

Im EG und UG erscheint der Valser Quarzit im Unterschied zu den mächtigen, rauen Wänden des Treppenhauses in einer anderen Qualität: Geschliffen, von einer feinen Maserung durchzogen und in den verschiedenen Grau- und Grüntönen glänzend sind hier Böden, Bäder und Küchen mit dem edlen Gestein bedeckt.

Schönheit des Steins

Auch der seltene lokale Marmor, der sich in seiner Beschaffenheit und der großflächigen Maserung vom Quarzit unterscheidet, präsentiert sich hier als Bekleidung. Dorfbewohner oder andere Interessierte können das als Eventraum fungierende UG mieten.

Das Gebäude ist für alle zugänglich, erklärt Artemis Truffer: „Denn wir wollen nicht exklusiv sein, sondern die Schönheit des Steins nach außen tragen.“ Vor allem im Juli und August sei die Nachfrage groß, wenn in Vals der Musiksommer veranstaltet wird und im Haus Balma unter anderem Konzerte stattfinden.


YUKI-IKEGUCHI_portrait.jpg

Yuki Ikeguchi

kam 2002 zu Kengo Kuma & Associates. Seit 2012 ist sie Partnerin und Executive Vice President von KKAA Paris. Yuki Ikeguchi leitet seither zahlreiche Großprojekte, mit Schwerpunkt auf öffentlichen und kulturellen Bauten in Europa.


Fakten

Projekt: Haus Balma

Standort: Balma 168E, 7132 Vals, Schweiz

Fertigstellung: Dezember 2021

Bauherr: Truffer AG

Bauaufgabe: Wohn- und Geschäftshaus

Entwurf: Kengo Kuma & Associates, Webseite des Büros

Projektplanung: Hans Peter Fontana & Partner

Ausführung/Bauleitung: Spreiter + Partner

Fassadenplanung: Reba Fassadentechnik

BGF: 1 365 m²

Materialien (Auszug): Valser Quarzit, Lärchenholz

Fotos: Naaro, Daniela Derungs

Weitere Projekte finden Sie hier

Anzeige
Top-Thema
Anzeige

Neueste Beiträge
Titelbild md 03-04
Ausgabe
03-04.2024 kaufen
EINZELHEFT
ABO

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de