Die Welt möge gerechter und nachhaltiger werden – das wünschen sich weltweit 86 % der Menschen von der Post-Covid-Ära. Das ist das überraschende Ergebnis einer Befragung von über 21 000 Menschen in 28 Ländern, die Marktforscher von Ipsos im Auftrag des Weltwirtschaftsforums im vergangenen Spätsommer durchführten.
Nachhaltige Materialien: vier verschiedene Wege
War nachhaltiges Denken und Tun schon vor der Pandemie ein bewegendes Thema, so wirkt das Virus wie ein Verstärker. Immer mehr Unternehmen fangen an, sich zu verändern, die einen zaghaft, die anderen entschlossen. Nicht einfach, denn eine Transformation im laufenden Betrieb ist riskant. Das Risiko freilich gilt als immanenter Teil der Veränderung, soll diese substanziell, also nachhaltig, in allen Facetten sein. Hier kommen vier Materialhersteller zu Wort. Sie verfolgen vier verschiedene Wege zum selben Ziel: nachhaltige Materialien.
Kreislauf von Hackschnitzeln
Im Sinne der Nachhaltigkeit steht bei Pfleiderer vor allem die Optimierung der Kreislaufwirtschaft sowie die Verbesserung der Leime und Emissionswerte im Vordergrund. „Unser Holzmix“, so Stefan Göldner, der das Thema Nachhaltigkeit betreut, „besteht aus zwei Frischholzpartien“. Etwa ein Drittel mache Koppelholz aus, Durchforstungs- und Restholz, Kapp- und Endstücke sowie Pre-Consumer-Material und Schwarten.
Diese Sägereste und -späne aus Sägewerken trügen zu 25 bis 30 % dazu bei, nachhaltige Materialien zu produzieren. Der Rest, 30 bis 40 %, bestünden aus Post-Consumer-Material, will heißen Hackschnitzel aus aufbereitetem Altholz der Güteklassen A1 und A2. Das Material sammeln und bereiten Altholzverwerter auf.
Der Kreislauf ist geschlossen
„Über unseren Einkauf ist dann der Kreislauf geschlossen.“ Die genauen Anteile hängen wiederum vom Plattentyp und der jeweiligen Verfügbarkeit ab. Verbundmaterialien mit Holzanteilen ermöglichen derzeit noch kein 100-prozentiges Recycling. „An Optimierungen wird jedoch stetig gearbeitet, bei den Altholzverwertern, Werkstoffproduzenten und den verschiedenen Branchenverbänden“.
An allen fünf Standorten erzeugt Pfleiderer mit eigenen Anlagen die Wärme für die Produktion aus Biomasse – auch für die Trocknung der Späne und Fasern. Drei Standorte nutzen die Kraft-Wärme-Kopplung, aus der zusätzlich Energie gewonnen wird. Wasser, so Göldner, führe man in geschlossenen Kreisläufen.
Pfleiderer ist seit 2007 nach FSC und PEFC zertifiziert. Den Blauen Engel kann das Unternehmen für melaminbeschichtete Platten, Rohplatten und einen Großteil des HPL-Programms vorweisen. Überdies tragen die Faserplatten ‚StyleBoard‘ den Nordic Swan. Ganz aktuell, im Oktober 2020, haben nachhaltige Materialien wie ‚LivingBoard‘, ‚PrimeBoard‘ sowie ‚DecoBoard‘ die Zertifizierung Cradle to Cradle erhalten. „Das hat große Bedeutung für unsere Kunden.“
PEFC-Akustikdecken
„Nachhaltigkeit bedeutet für uns, einen nachwachsenden Rohstoff zu verwenden, also Holz“, betont Ralf Harder von Lignotrend. Das aktuelle Akustikdeckensystem ‚Ligno Akustik Nature 3D‘ besteht zum Beispiel ausschließlich aus hölzernen Materialien – von den sichtbaren, in Breite und Höhe variierenden Deckleisten bis hin zur Tragstruktur und hinterlegten, schallabsorbierenden Faserplatten. Da Lignotrend auf die sonst gebräuchlichen Mineralfaserplatten verzichtet, entsteht so ein einstoffliches Produkt. Gehe es nicht um Oberflächen im Sichtbereich, so könne man auch Käferholz verwenden, das derzeit in großen Mengen anfalle und technisch gesehen auch für tragende Elemente geeignet sei, meint Harder: „Der Käfer ist ja längst draußen.“
Regenerative Energien, geringere Emissionen
Dass insgesamt nur zertifizierte Quellen mit PEFC-Zertifikat zum Einsatz kommen, verstehe sich von selbst. Auch für seine Produkte erhielt Lignotrend Auszeichnungen, etwa seit 2006 das Label „Natureplus“.
„Aus meiner Sicht denken bisher nur wenige Bauherren und Planer an den Rückbau von Holzbauteilen. Daher sollten wir nicht nur über die theoretische Kreislauffähigkeit sprechen, sondern daran arbeiten, dass es auch praktisch passiert.“
Dazu gehören auch andere Verbindungstechniken und biobasierte Bindemittel. Harder schränkt aber ein: „Bis dato entsprechen die Optionen nicht den notwendigen Anforderungen an Festigkeit und Dauerhaftigkeit. Hier einen nachwachsenden Rohstoff zu haben, wäre ein großer Fortschritt.“ Und die Produktion? „Wir arbeiten mit regenerativen Energien und verringern den Energieeinsatz und Emissionen.“
Biobasierte Additive
Im Fokus steht bei Continental die Verringerung des CO2-Fußabdrucks und des Treibhauspotenzials. Die wichtigsten Bausteine dafür bilden recycelte und damit ebenfalls nachhaltige Materialien. Zu den Bausteinen zählen das Upcycling im Rahmen der Circular Economy, der Einsatz biobasierter Rohstoffe sowie die Reduzierung des Energieverbrauchs bei der Herstellung. „Darüber hinaus setzen wir auf die Langlebigkeit der Produkte und damit auf die Vermeidung zusätzlichen Abfalls“, erläutert Dr. Gabriele Wittmann, Director Research & Development.
Neue Foliengeneration: Recyceltes PET
Aktuell untersucht das Team um Dr. Wittmann unter anderem Multischichtaufbauten im Hinblick auf deren Trennbarkeit. Das ist eine der Bedingungen für nachhaltiges, stoffliches Recycling.
Wie das gehen kann, veranschaulicht eine Continental-Fensterprofilfolie, die als Monomaterial gemeinsam mit dem Kunststoffprofil des Fensters bis zu sieben Mal recycelt werden kann. „Bei unseren synthetischen Bezugsstoffen ist es herausfordernd, einheitliche Materialverbunde zu schaffen, die leicht zu recyceln sind. Es fehlt noch das Angebot der Zulieferindustrie“, betont Wittmann. Doch werde an neuen Foliengenerationen gearbeitet, darunter eine Möbelfolie aus rPET, also recyceltem PET.
Die Maßgabe bei all diesen Entwicklungen für nachhaltige Materialien: Die Eigenschaften der Produkte müssen gleichauf mit jenen aus nativen Rohstoffen sein. „Das gilt auch für biobasierte Rohstoffe“, so Bruno Lehmann, Vice President Interior. „Die Gesamtperformance muss gewährleistet sein. Wir arbeiten aber intensiv daran, den Anteil petrochemischer Additive zu reduzieren und durch biobasierte zu ersetzen.“
Kantenbänder mit Recyclaten
Rehau ist seit 2020 Teil der Initiative „50 Sustainability & Climate Leaders“, in der sich Unternehmen zusammengefunden haben, die ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger gestalten. Das Familienunternehmen erstellt einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht, der auch soziale Aspekte in den Blick nimmt. Damit folgt Rehau einem umfassenden Ansatz.
In der Division Furniture Solutions bildet die Kantenbandproduktion eine tragende Säule. Dabei steigert Rehau den Anteil an Recyclaten, die aus der eigenen Produktion und externen Quellen stammen. In der Fertigung anfallende Kunststoffreste gelangen zum größtmöglichen Anteil in die Verarbeitungsprozesse zurück.
Wiedereinsatz von Rohstoffen
So besteht zum Beispiel der Gegenzug des Produkts ‚Rauvisio crystal‘ bis zu 72 % aus solchen Recyclaten. Der Prozess setzt sich fort. „Die stete Weiterentwicklung unserer Rezepturen und der Wiedereinsatz von Rohstoffen sind fester Bestandteil unserer Produktentwicklungen“, sagt Daniel Elfe-Degel, Head of Productmanagement Edgebands. „Die neue Linie ‚Raukantex eco‘ besteht aus 50 % externem Recyclat.“
Aktuell lanciert Rehau das Kantenmaterial ‚Raukantex evo‘. Es basiert auf nicht-fossilen Rohstoffen, bietet allerdings identische Verarbeitungs- und Nutzungseigenschaften wie derzeitige PP-Kanten. Als reine Funktionskante, die bei Wabenplatten die dünnen Deckschichten stabilisiert und zudem unter der eigentlichen Dekorkante liegt, dient das Produkt Raukantex ‚basic edge‘. Es besteht komplett aus Recyclat.
In der Forschungs- und Entwicklungsabteilung arbeiten die Spezialisten ebenso an der Optimierung der kundenseitigen Weiterverarbeitung: ‚Raukantex pro‘ verfügt über eine klebstoff- sowie lösemittelfreie Funktionsschicht. Laser-, Heißluft- oder Infrarottechnik aktivieren diese und verschweißen das Kantenband nahtlos mit der Platte.
Allen Herstellern dürfte klar sein, dass es zwingend in Richtung nachhaltige Materialien geht. Anders gesagt: Nachhaltigkeit ist nicht mehr nice to have, sondern need to have.
Video über die md-Fachveranstaltung „Zukunft von Sustainability“