English translation below
Wer auf den großen Konsumgütermessen unterwegs ist, weiß: Wir werden von massenproduzierten Dingen geradezu überrollt. Und doch scheint gerade ein Umdenken stattzufinden: weg vom überbordenden Konsum, hin zur Einsicht, dass gut gestaltete und sorgfältig hergestellte Produkte auf Dauer vielleicht doch die bessere, will heißen nachhaltigere Alternative sind. Das zeigen auch die zunehmenden Initiativen und Ausstellungen, die sich der Förderung des Handwerks verschrieben haben – „Homo Faber“, „Doppia Firma“ (beide organisiert von der italienischen Michelangelo Foundation) und „Radical Craft“ beispielsweise.
Wiederbeleben alter Handwerkstechniken
Spricht man vom Wiedererstarken des Handwerks, dann geht damit heute immer auch das Narrative einher. In Zeiten von Technisierung, Digitalisierung und gefühlter sozialer Kälte dreht es sich jedoch nicht mehr nur um das Authentische, den Reiz des Haptischen, den Fortbestand von handwerklichem Know-how und das Wiederbeleben alter Handwerkstechniken, sondern vor allem um das Geschichtenerzählen. Also um die Frage, wer das Produkt fertigt und wo es hergestellt wird.
Dabei gibt es Hersteller, die die Kunst des Narrativen besonders gut beherrschen. So verwebt das deutsche Label Ames die reiche Handwerkstradition und das Lokalkolorit Kolumbiens – der Heimat von Ames-Gründerin Ana Maria Calderón Kayser – mit zeitgenössischem Design und setzt dabei bewusst auf renommierte Gestalter wie Pauline Deltour und Sebastian Herkner. Wie bei gestalterischen Fragen sind auch beim Thema Handwerk High-End-Hersteller die eigentlichen Treiber der Branche.
Design-Handwerker und Manufakturen
Zeitverzögert folgen massenkompatible Labels, die dem Verbraucher jedoch meist nur „ein Gefühl von Handmade vorgaukeln“, wie die Berliner Designerin Anna Badur, die viel mit Porzellan arbeitet, kritisch anmerkt. Das Wiedererstarken des Handwerks ist mit dem Trend zur Individualisierung, neuen Technologien und Fertigungstechniken verknüpft wobei der Übergang zur Massenproduktion fließend ist, wie man gut am Beispiel Bulthaup sieht.
Der bayerische Küchenhersteller beschäftigt sogenannte Materialmeister, die verantwortlich sind für die Auswahl der Materialien, die präzise Verarbeitung und die Qualitätskontrolle. Der Furniermeister beispielsweise wählt die Furniere aus, während der Lackiermeister jedes Teil mit Lacken überzieht, von Hand schleift und beim Brillantlack auf Hochglanz poliert .
Der Reiz der Kleinserie
Was die (meist jüngeren) Gestalter an der Zusammenarbeit mit Manufakturen und Handwerksbetrieben reizt? Nun, die Gründe können ganz unterschiedlich sein. Vor allem ist es das Interesse der Designer, sich intensiv mit Materialien, ihren Eigenschaften und Verarbeitungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen – und diese einfließen zu lassen in ihre Entwürfe.
„Für kleinere Studios sind das Handwerk und die Kooperationen mit traditionellen Gewerken eine spannende Alternative zur Industrie geworden, denn sie ermöglichen experimentelle Prozesse und neue Produktionsstrategien fernab der Massenproduktion der Industrie“, sagt die Berliner Designerin Milena Kling und ergänzt, dass dadurch „innerhalb von Kleinserien und Editionen die Grenzen des Handwerks ausgelotet und verschoben werden“ können.
Und dann gibt es noch Gestalter, die vor ihrem Designstudium eine Ausbildung zum Handwerker gemacht haben. Diese Doppelbegabung spiegelt sich meist auch in ihren Entwürfen wider und kann ein echter Wettbewerbsvorteil sein. Der Südtiroler Designer Harry Thaler sagt dazu: „Ohne meinen Job als Goldschmied wäre ich nicht da, wo ich heute bin“ – und meint damit den vertieften Umgang mit Materialien, die exakte (handwerkliche) Ausarbeitung, den geschulten Blick fürs Detail.
Diese Herangehensweise wird zuweilen auch auf Produkte übertragen, die industriell gefertigt werden – wie Thalers ‚Pressed Chair‘ für Nils Holger Moormann, der ohne seine Kenntnisse in der Verarbeitung von Metallen gar nicht erst entstanden wäre. Thalers Zugang zum Handwerk ist vielfältig, so entwirft er als Art Director des Südtiroler Labels Pur Manufaktur auch Produkte aus Holz und Glas, die in Kleinserie von lokalen Handwerkern gefertigt werden.
Handwerkliche Produkte versus zeitgenössisches Design
Klemens Grund – ein anderer Designer mit einem Hintergrund im (Tischler-)Handwerk – meint, dass „das gut gestaltete handwerkliche Produkt im Kontext von Design eine gewisse Konjunktur hat“, aber für die breite Masse nicht bezahlbar sei. Er sieht den Aufschwung des Handwerks vor allem als „Repräsentationsbedürfnis urbaner Gutverdiener, das sich in einer von gesichtsloser Industrieware überschwemmten Gesellschaft abheben will.“ Für Christian Haas ist es indes gerade diese Nische, in der die Zukunft liegt.
Er gehört zu den Gestaltern, die beides können: Industriedesign und Handwerk. Das ist derzeit in einer Einzelausstellung im Concept Store von Andreas Murkudis in Berlin zu sehen: In schöner Eintracht werden dort serielle Entwürfe für Villeroy & Boch neben handwerklich gefertigten Glasarbeiten für die bayerische Manufaktur Theresienthal gezeigt.
Manchmal gibt Christian Haas auch Editionen unter seinem eigenen Namen heraus, um komplett unabhängig von Herstellerzwängen zu sein, wie er erklärt. Eines dieser Stücke ist eine Konsole aus Travertin und Birkenholz, die in Portugal handgefertigt wird.
An der Zusammenarbeit mit Manufakturen und Handwerksbetrieben schätzt Haas insbesondere die künstlerischen Freiheiten sowie die schnelle und unkomplizierte Umsetzung seiner gestalterischen Ideen.
Unser Fazit: Zwar werden handwerklich gefertigte Produkte schon aufgrund ihres höheren Preises immer Nischenprodukte bleiben. Doch sie haben eine Strahlkraft, die weit hineinreicht ins kommerzielle, industriell gefertigte Produktdesign. Dass das Handwerk auch in der industriellen Fertigung angelangt ist und mit ihr bisweilen zu verschwimmen scheint, macht es nur umso spannender.
Unclear boundaries between crafts and design
Quo vadis craftsmanship?
Regular visitors of consumer-good fairs know that we are being steam-rollered by mass products. And yet it seems that fundamental rethinking is taking place. Away from excessive consumption, toward the insight that well designed and carefully produced things will perhaps be the better, i.e. more sustainable alternative. This is underlined by increasing initiatives and by exhibitions devoted to the promotion of crafts – ‘Homo Faber’, ‘Doppia Firma’ (both organized by the Italian Michelangelo Foundation), and ‘Radical Craft’, to name but a few examples.
Storytellers
Talking about a revival of crafts, one should nowadays never forget the narrative aspect. However, in times of mechanization, digitalization and perceived social coldness the focus is no longer on things authentic, the allure of tactile sensation, the continued existence of manual know-how or the resurrection of old crafts techniques, but most of all on storytelling. In other words: about who makes the product and where is it manufactured.
There are of course manufacturers who have mastered storytelling perfectly. In its narrative, the German Ames label interweaves the rich craftsmen’s tradition and the local characteristics of Columbia, home country of Ames founder Ana Maria Calderón Kayser, with contemporary design. In doing so, she deliberately relies on renowned designers like Pauline Deltour and Sebastian Herkner. When it comes to questions of design, high-end manufactures are the real driving forces of the industry, and the same applies to the subject of craftsmanship. Mass-market-compatible labels will follow with a delay which “mislead the consumer and only pretend to be handmade”, as Berlin designer Anna Badur critically comments.
The revival of the crafts is closely linked with a trend toward individualization, new technologies and processing techniques. The transition to mass production is fluid, as becomes evident in the case of Bulthaup. This Bavarian kitchen manufacturer employs so-called material master craftsmen who are responsible for material selection, precise processing and quality control. The veneer craftsman, for instance, selects the type of veneer, while each element is coated with lacquer, finished by hand and, in the case of glossy lacquer, polished to a high gloss.
Designer craftsmen
What do the (in most cases younger) designers find so fascinating about cooperating with manufactories and workshops? Well, their reasons may be quite different. But most of all it’s because designers are interested in dealing intensively with materials, their characteristic features and processing options, and then include them into their designs. “For smaller studios, the crafts and cooperation with traditional trades are an exciting alternative to industrial production because they allow experimental processes and new production strategies far from industry’s mass production”, says Berlin-based designer Milena Kling. She adds that on this basis “the limits of the crafts can be explored and shifted in the scope of small series and editions”.
Over and above that there are designers who trained as craftsmen before studying design. In most cases, this dual talent is reflected in their designs and can turn out to be a true competitive advantage. South Tyrolean designer Harry Thaler comments:
“I would not be where I am now without having trained as a goldsmith first.” By this he refers to an in-depth handling of materials, exact (manual) execution and a well-trained eye for details.
Sometimes this approach will also be applied to industrially manufactured products – like the ‘Pressed Chair‘ designed by Thaler for Nils Holger Moormann. Without his know-how of metal processing this would not have been possible. Thaler’s access to craftsmanship is versatile. In his capacity as art director of the South Tyrolean ‘Pur Manufaktur’ label, he also designs products made of wood and glass, which are manufactured in small batches by local craftsmen.
A niche existence?
Klemens Grund is yet another designer with a craftsman’s background. The master carpenter thinks that “well designed, crafted products are upgraded in connection with design”, but they are not affordable for the masses. In his opinion, the revival of the crafts is most of all due to the “need of the well-off city population to showcase their wealth with an intent to stand out from the crowd in a society swamped with featureless, industrial goods”. And in the mind of Christian Haas it is exactly this niche that promises success in the future.
He is one of those designers who has mastered both elements: industrial design and craftsmanship. Proof of this can currently be observed in a solo exhibition at the concept store run by Andreas Murkudis in Berlin. In serene companionship you will find series production designs for Villeroy & Boch next to manually made glass objects for the Bavarian Theresienthal manufactory. Sometimes Haas works on products under his own name in order to preserve his complete independence from the market, as he says. One of these pieces is a console made of travertine and birch wood that has been manufactured in Portugal. According to Haas, one of the positive aspects in the co-operation between manufactories and crafts businesses is the scope of artistic license and the straight-forward realization of his design ideas.
Our conclusion is that crafted objects will always remain niche products due to the higher prices they incur. But there is a seductive appeal that has a vast impact on commercial, industrially produced product design. But all the more exciting is the fact that by now crafts have made it to industrial production and seem to be merging with it.