Autorin Diana Drewes
Immer mehr traditionelles Handwerk gerät in Vergessenheit: Eine Entwicklung, die im Zeitalter von industrieller Massenproduktion, schwimmenden Müllinseln in den Ozeanen und „Fridays for Future“-Demonstrationen bedenklich ist. Schließlich geht wertvolles Wissen über den nachhaltigen Umgang mit nachwachsenden Ressourcen und Naturmaterialien verloren.
Doch immer wieder lassen sich Designer in ihren Arbeiten von traditionellen Handwerkstechniken und nahezu vergessenen, nachhaltigen Materialien inspirieren. Sie haben das ökologische und gesellschaftliche Potenzial, das sich hinter den teils jahrtausendealten Erkenntnissen verbirgt, erkannt und transferieren es in zeitgenössisches Design. Ihr Hauptinteresse liegt darin, Materialkreisläufe zu schließen.
Man kann davon ausgehen, dass zukünftig pflanzliche Lebensmittel in oder im direkten Umkreis der Stadt angebaut werden und die Produktion von tierischen Produkten in ländliche Regionen gedrängt wird. Somit rücken Themen wie Kompostierbarkeit von Materialien und Produkten in den Vordergrund.
Zudem leben seit über zehn Jahren weltweit mehr Menschen in urbanen Strukturen als auf dem Land. Mit dem stetigen Wachstum der Städte scheint jedoch das Bewusstsein um den Ursprung von Lebensmitteln und natürliche Prozesse in einem funktionierenden Ökosystem zu schwinden.

Geschirr aus verbranntem Biomüll
Kosuke Araki, Designer aus Tokio, hat aus herkömmlichem Biomüll, der in einem privaten Haushalt anfällt, eine ungewöhnliche Geschirrserie entworfen. Für seine „Anima-Kollektion“, bestehend aus Tassen, Tellern und Schüsseln, hat er über zwei Jahre gut 315 Kilogramm Knochen, Eier- und Gemüseschalen gesammelt. Um den organischen Müll in einen neues und nachhaltiges Material zu transformieren, hat Araki zunächst die pflanzlichen Reststoffe zu Kohle verbrannt und im Anschluss pulverisiert. Gebunden wurden die Partikel mit klassischem Knochenleim, den er aus den tierischen Reststoffen wie Knochen und Haut ausgekocht hat.

Nach dem Formen und Austrocknen der Objekte wurde die Oberfläche mit Urushi, auch bekannt als Chinalack, versiegelt. Er wird in Japan seit Jahrhunderten als lebensmittelechte und wasserabweisende Beschichtung von Geschirr aus Holz oder Pappmache genutzt.
Genauso wie Knochenleim ist Birkenrinde ein in Vergessenheit geratendes Material. Ob zur Klebstoffherstellung in der Altsteinzeit, als Dachabdeckung oder als Baumaterial für Kanus: Birkenrinde war in weiten Teilen Skandinaviens, Kanadas und Russlands ein beliebter und reichlich verfügbarer Werkstoff.

Möbel und Vorratsdosen aus Birkenrinde
Aufgrund einiger faszinierender Materialqualitäten wie Langlebigkeit, Flexibilität, mechanischer Reißfestigkeit, Atmungsaktivität und antibakterieller Wirkung war die Birkenrinde vor allem im Mittelalter ein häufig genutztes Material. Erst mit der Erfindung von Kunststoff geriet sie in Vergessenheit, da sie sich industriell nicht rentabel verarbeiten ließ.

Dank der jungen Designerin Anastasiya Koshcheeva erlebt sie gerade ein fulminantes Comeback. So nutzt die gebürtige Sibirierin ihre samtartige Rückseite zur Herstellung von Möbeln oder Vorratsdosen zur Lagerung trockener Lebensmittel wie Keksen oder Nüssen. Durch ihre antiseptische Wirkung bleiben die Kekse selbst nach zwei Wochen noch knusprig und frisch.

Lautsprecher aus Lehm
Selbst in einer ressourcenintensiven Branche wie der Unterhaltungselektronik können traditionelle, nachhaltige Materialien Verwendung finden und helfen, Elektroschrott zu reduzieren. Das deutsch/chilenische Designduo um Philine von Düszeln und Pablo Ocqueteau verknüpft traditionelles Handwerk aus Chile mit der neuesten drahtlosen Audiotechnik aus Deutschland.
Der Resonanzkörper besteht aus Lehm, einem sehr dichten Werkstoff, der Schwingungen nur minimal aufnimmt und den Schall nicht verzerrt. Die Innenteile des getöpferten Lehmlautsprechers sind mit gefilzter Wolle und Leder isoliert, während die Kegel des Treibers aus heimischem Holz bestehen.

Bis zu 80 Prozent des Lautsprechers bestehen somit aus lokal verfügbaren Materialien. Die kugelförmige Erscheinung der „Mapuguaquén“-Lautsprecher vermeidet scharfe Resonanzen innerhalb des Gefäßes und glättet die Fokussierung des Gehäuses. Dies führt zu einer lebensechten Interaktion zwischen der Schallquelle sowie dem Raum und erweitert die Fläche des Sweet Spots. Die konkaven Holzkegel in den Zentren der Treiber optimieren zudem die Off-Axis-Reaktion von hohen Frequenzen. Also von wegen „von gestern“: Traditionsmaterialien haben Potenzial für die Zukunft.
Autorin Diana Drewes
ist Materialexpertin und Trendscout bei der Zukunftsagentur Haute Innovation in Berlin. Sie ist Co-Autorin des jüngst erschienenen Fachbuchs „Materials in Progress – Innovationen für Architektur und Design“.
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