Genau das geschah bei der Architektenreise ManufakTour am 26. und 27. September. 38 Leser hatten sich auf den Weg gemacht, um mit dem md-Team an drei Stationen hinter die Kulissen zu schauen und die Wiege von Designklassikern kennenzulernen.
Der eine blieb bei Maschinen hängen, der nächste streichelte Polster, der dritte nahm das Design unter die Lupe: Und genau darum ging es bei dem Event. Produkte, die einem im Planungsalltag dauernd begegnen, auf ganz neue Weise zu entdecken, zu begreifen, wie Qualität entsteht und zu lernen, an welchen Details man sie erkennt.
Möbelhersteller Cor in Rheda-Wiedenbrück
Den Auftakt der Architektenreise bildete Cor in Rheda-Wiedenbrück. Der geschäftsführende Gesellschafter Leo Lübke begrüßte die Teilnehmer, stellte kurz das Unternehmen vor und führte durch die Produktion.
Erste Station: Das Holzlager, in dem die Buchenholzbohlen lagern, die als Basis für die Holzgestelle der Sofas dienen. Mitarbeiter ließen sich geduldig über die Schulter schauen und ausfragen, während sie im Maschinenraum ‚Gestellbau‘ und ‚Grundpolsterei‘ aus den Buchenholz Möbelgestelle bauten, Gurte und Unterfederung einzogen und mit Schäumen beklebten.
Haarfeine Schnitte mit Wasserstrahl-Cutter
Das Bezugsmaterial für die grundgepolsterten Gestelle kommt wiederum aus dem Zuschnitt. Zum Einsatz kommen Textil oder Leder. Bis zu 6 m² misst eine Lederhaut, die mit einem hochmodernen Wasserstrahl-Cutter geschnitten wird. Vorher begutachten Mitarbeiter jede Haut und markieren Fehlstellen elektronisch, um sie beim Zuschnitt auszusparen.
Im Textillager warten 430 Stoffe auf ihren Einsatz
Auch beim Stoffzuschnitt kommen moderne Stoffcutter zum Einsatz. Trotzdem werden viele Stoffe noch mit der Hand zugeschnitten, da Muster, Laufrichtung und Rapport beachtet werden müssen. Da sind ein gutes Auge, eine ruhige Hand und viel Erfahrung nötig. In der Näherei werden aus den zugeschnittenen Stoff- und Lederflächen komplette Bezüge, die dann in der Polsterei auf den Möbelkorpus gepolstert werden.
Das Design des Sofas ‚Conseta‘ ist seit 1964 unverändert
Weiter ging es in das Cor-Haus, den Showroom, in dem alle Teilnehmer der ManufakTour ausgiebige Sitzproben machen konnten. Eine Teilnehmerin traf dort auf einen alten Bekannten: „Das ist doch das Sofa meiner Eltern!“
Gemeint war ein Sofa ‚Conseta‘, dessen Design seit 1964 unverändert ist und das heute als Designklassiker gilt. Es ist, wie viele andere Cor-Möbel auch, mithilfe von Einschlagkedern bespannt, sodass sich der Bezug verhältnismäßig leicht erneuern lässt.
Sanitärhersteller Bette in Delbrück
„Erneuern“ ist ein Wort, das bei der nächsten Station Bette eine andere Bedeutung hat. 30 Jahre Produktgarantie sprechen ihre Sprache. Der Spezialist für emaillebeschichtete Badewannen, Duschtassen und Waschbecken ist eine halbstündige Fahrt von Cor entfernt in Delbrück ansässig.
Stahlbleche werden mit der Kraft von 800 Tonnen fließend in Form gezogen
Wo Cor bei nahezu jedem Arbeitsschritt mit feinstem Handwerk brilliert, zeigt Bette, wie die Symbiose mit moderner, industrieller Fertigung gelingen kann. 5 000 Tonnen Rohstahl und 50 000 Rohprodukte warten in den Lagern auf Bearbeitung.
Blechweise stapeln sich gepresste Metalle in den Fabrikhallen, ehe sie in Form gezogen und mit 1 Liter Email je Quadratmeter veredelt werden. Darum hieß es bei der Architektenreise ManufakTour regelmäßig „Kopf einziehen“: Auf riesigen Laufbändern unter der Decke schwebten Badewannen, Duschtassen und Waschbecken in buntem Reigen durch die Hallen.
95% der verkauften Ware ist weiß – doch über 600 Farben sind möglich
Wo die vorherige Station der Architektenreise Materialvielfalt bot, hat Bette sich einzig mit emailliertem Titan-Stahl einen Namen gemacht. Das Finish ist hygienisch, wärmeleitfähig, kratz- und schlagresistent sowie unempfindlich für Chemikalien. Doch das bedeutet bei weitem nicht, dass formale Langeweile herrscht: Obwohl 95% der verkauften Ware weiß ist, sind über 600 Farbnuancen verfügbar.
Farben und Maßanpassungen erfordern besonderes handwerkliches Geschick
Sie sind es auch, die besonderes handwerkliches Geschick erfordern: Während Industrieroboter die weißen Badewannen und Co emaillieren, werden Farben von Hand aufgetragen. Zudem gibt es die hausinterne Manufaktur, die dafür sorgt, dass sich die Sanitärobjekte perfekt auf die Maße ihrer Umgebung anpassen: Von Hand werden beispielsweise Ränder verbreitert, Schürzen angeschweißt oder Ecken abgeschnitten.
Tür- und Fensterbeschlagshersteller FSB in Brakel
Fest in Menschenhand ist die Produktion bei FSB. Auch hier hantiert man mit Metall – allerdings mit Aluminium statt Stahl. So führen gänzlich andere Prozesse zu Türklinken und Fenstergriffen, die in den bekanntesten Architekturen der Welt zum Einsatz kommen.
Von Hand gegossenes Aluminium
Wo bei Bette automatisierte Schwenkarme Metallplatten bewegen, wird bei FSB noch viel von Menschenhand hergestellt und verfeinert. Mit geübten Handgriffen wird flüssiges Aluminium in Formen, sogenannte Kokillen, gegossen – und kaum ein Zischen später ist ein formvollendeter Türgriff entstanden, der jedoch nur zur Weiterverarbeitung kommt, wenn er dem kritischen und geschulten Qualitätsblick des Mitarbeiters genügt.
Ausschuss wird wieder eingeschmolzen
Da FSB höchste Ansprüche an seine Produkte stellt, entstehen schon hier Berge von Ausschuss. Sehr zum Verzücken einer Teilnehmerin, die als Dozentin tätig ist: Sie durfte einige Rohlinge mitnehmen, um ihren Studierenden die Arbeitsschritte vor dem versandfertigen Designobjekt zu zeigen.
Alle anderen aussortierten Rohlinge blieben vor Ort: Sie werden eingeschmolzen und haben eine zweite Chance auf ein langes Leben als Tür- oder Fensterbeschlag.
Bis heute werden viele Modelle von Hand geschliffen
Je nach Modell scheiden sich für die fertigen Griffe die Wege: Zunächst kommen alle Griffe in ein Gleitschleifbecken, in dem Keramikkegel die Griffe vorschleifen. Geometrische Modelle werden von Robotern geschliffen; organische Modelle von Hand. Anschließend werden alle Griffe gleitgeschliffen, poliert und eloxiert.
Vom Unikat zum Designklassiker
Die enorme handwerkliche Kompetenz bietet gestalterische Spielräume: beispielsweise kann FSB historische Türgriffe nachbilden oder mit dem jüngst lancierten ‚FSB Handmade‘-Programm individuelle Kleinstserien realisieren.
Rahmenprogramm der Architektenreise
Individualität war auch das Stichwort für den Architekten Thilo Reich, der am Abend Einblicke in seine Arbeit gab. Ob eine kantige Bar in Moskau oder eine edle Patisserie in Berlin: Reich setzt auf Materialien (s. Interview). Und hatte damit eine Gemeinsamkeit mit den anderen ManufakTour-Teilnehmern: An zwei Tagen an drei Stationen hatte man nicht nur geschaut und gehört, sondern vor allem begriffen.
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