Seit Monaten jagt eine virtuelle Veranstaltung die nächste. Dazu kommen Foren, digitale Besprechungen, Mails und Telefonate. Eben alles, was Distanzlehre so mit sich bringt. Dabei liebt Sandra Bruns Farben und Stoffe, Texturen und Nuancen, die sich vor Ort so richtig entfalten.
Trotz modernster Modelle und 3D-Simulationen fertigt Sandra Bruns daher noch immer Handskizzen an. Sie liebt die Fähigkeit, sich schnell und unkompliziert zu verständigen.
Atmosphäre schaffen
Auf der Baustelle und ohne WLAN. Das große Ziel lautet: Atmosphären zu schaffen und Räume zum Klingen zu bringen. Das ist nie abstrakt, das ist immer sinnlich zu erleben. Und diese Fähigkeit möchte sie weitergeben „Gespür für atmosphärische Räume zu entwickeln, das macht mir Freude“, sagt die Professorin.
Die Hochschullaufbahn hatte Sandra Bruns „nicht von Anfang an verfolgt“, obwohl sie in den letzten Jahren als Lehrbeauftragte viel Erfahrung sammelte. Dazu kommt die eigene Arbeit in Berlin.
Büro in Berlin
Bruns führt ein Büro in der Hauptstadt, Raumfragen, zusammen mit ihrem Mann Carsten Scheibe und Kollegin Heike Witzgall-Spörl. Stark im Kreativen, das sei sie, sagt Scheibe.
Er vertraue ihr bei Farben und Farbnuancen blind. „Vor Ort, wenn die Farbe an die Wand kommt, ist Sandra in ihrer Entscheidung sehr klar.“ 2001, mit dem Diplom in der Tasche, gingen sie nach Berlin. Und je mehr sie die Stadt kennenlernten, die Freiräume und die Kunstszene, desto deutlicher wurde für sie: Das ist unsere Stadt.
Räume gestalten
Da waren Menschen, die freier im Kopf waren, sagt Scheibe. Dabei herrschte damals eine Saure-Gurken-Zeit für Gestalter, ganz im Gegensatz zu heute. Sie entwarfen Taschen und gestalteten Produkte. Zugleich stand nie zur Diskussion: „Produktdesign allein ist es nicht, wir müssen Raum machen.“
Verstand und Gefühl
Sandra Bruns, 47, studierte Innenarchitektur nach der Lehre als Werbegestalterin. Das gebe einen anderen Blick, sagt ihr Mann: „Verständnis für das Gegenüber, die Ausführenden“. Und so sind es wohl zwei Seiten, welche die Gestalterin verbindet.
Sie besitzt Gespür für das Zusammenspiel der einzelnen Gestaltungselemente. Ein Wissen, was technisch geht – und Instinkt, wer es umsetzen kann. Verstand und Gefühl hätte Jane Austen dazu wohl gesagt. Auf der Homepage klingt das so: „Für uns beginnt der Entwurfsprozess mit den Fragen nach dem Warum, dem Was und mit welchen Mitteln.“
Berliner Sitz der Universal Music Group
Seit 2014 gestalten sie den Berliner Sitz der Universal Music Group. Sukzessive. Etage für Etage. Weiche Formen und mäandrierende Farbfelder stehen gegen klare Raster und gläserne Trennscheiben. Stoffe brechen den Hall, der große Raum wird durch die verschieden markierten Bereiche menschlicher, wärmer, gewissermaßen teamfähig.
Wenn Sandra Bruns von Räumen spricht, wird sie sehr konkret. Und präzise. Sie benennt etwa nicht nur Ocker, sondern sagt: Goldocker, das Kontraste aufbaut zum Taubenblau. Farbklänge zonieren den Raum, schaffen Abstufungen. Farbe, das sei doch die durch und durch kostengünstigste Maßnahme, Räume zu strukturieren.
Ihr geht es darum, Menschen durch Gestaltung zusammenzubringen. Ihnen Räume zu eröffnen, in denen sie zusammenkommen. „Büros sind wohnlicher geworden in den letzten Jahren“, sagt Bruns. „Die Angestellten wollen Atmosphäre, ganz unterschiedliche Atmosphären, damit sie Lust verspüren, sich an diesen Ort zu begeben.“
Büro der Zukunft
Unversehens geht es um mehr, die Frage nach den Arbeitswelten von morgen. „Das Büro der Zukunft muss genau das bieten: dass man gerne in den Austausch kommt, motiviert und inspiriert wird. Und das Erlebnis des Gemeinsamen erfährt.“ Alles andere wandert ab, meint Bruns. Das konzentrierte Arbeiten am Schreibtisch werde sich eher nach Hause verlagern.
Auch wenn sich viel verändert. Techniken und Berufsfelder, Ansprache und Zusammenarbeit: „Die Sehnsüchte der Menschen werden neue Orte und Räume brauchen. Diese heißt es neu zu denken und zu gestalten, damit sie den Anforderungen und Bedürfnissen gerecht werden.“
Sandra Bruns: Studierende coachen
80 bis 90 % beträgt der Anteil von Frauen bei dem Studiengang. Wenn aber Männer wüssten, worum es da eigentlich gehe, würden sie es auch wollen, sagt Bruns. Denn Gestaltende verbinden Strategie, Materialwissen und praktische Soziologie. Genaue Planung und Gespür für Zwischentöne.
Oder, wie Bruns es ausdrückt: „Als Innenarchitekt hat man ein gut entwickeltes Wahrnehmungsgespür für Atmosphären und Handlungen, die auf die jeweilige Situation und ihre Nutzer abgestimmt sind, sodass qualitativ hochwertige Räume entstehen.“ Diese Wahrnehmung und die vielen Bereiche, in denen sie sich bewegten, machen Gestalter vielfältig einsetzbar. Alles ist möglich. Zumindest im Studium. Diese Vielfalt wird offenbar nur begrenzt durch die eigenen Schranken, die eigene Vorstellungskraft.
Handwerkliche Fähigkeiten
Was braucht es für den Beruf? Handwerkliche Fähigkeiten, dazu eine „gewisse Leidenschaft fürs gestalterische Entwickeln und Verknüpfen“. Das Allermeiste können sich die Studierenden selbst aneignen: Strategien und Konzepte, technische Vorgaben und Fakten.
„Design und auch der Designprozess lassen sich gut vermitteln“, sagt Bruns. „Von uns Lehrenden erfordert das genaues Hinschauen: Wo braucht es mehr und wo weniger Hilfestellung beziehungsweise nur Fragestellungen? Unsere Arbeit sehe ich mehr und mehr wie die eines Coaches.“
Präsenz vor Ort
Und so begleitet Bruns die Studierenden trotz digitaler Lehre live jede Woche, um einen Rhythmus anzubieten. „Ich versuche zu inspirieren, Leidenschaft und die eigene Handschrift beim Gestalten zu vermitteln. Beispiele aus meinem Büroalltag flechte ich bewusst mit ein, damit sich die Sinnhaftigkeit erklärt und es nicht zu abstrakt bleibt.“
Dann wird Bruns grundsätzlich: „Eine intrinsische Motivation ist sehr wichtig. Sie ist der stärkste Motor und hilft über Hindernisse hinweg. Ausdauer ist daher auch eine sehr wichtige Eigenschaft, die man haben und akzeptieren sollte.“ Denn Entwerfen heiße „oft genug verwerfen“.
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Nach der Ausbildung als Gestalterin für visuelles Marketing und dem anschließenden Studium der Innenarchitektur gründet Sandra Bruns 2010 das Berliner Büro Atelier Raumfragen.
Seit 2019 ist sie Professorin an der TH OWL im Fachbereich 1 der Innenarchitektur. Ihr Lehrgebiet ist das „Entwerfen und Einrichten von Räumen mit dem Schwerpunkt des Wohnens“ und seit 2020 die „Grundlagen des Entwerfens“.
TH OWL – Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe
Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur
Bachelorstudiengang
Studienbeginn: jeweils zum Wintersemester
Abschluss: Bachelor of Arts (B. A.)
Dauer: 8 Semester
Workload: 30 CP/Semester
Absolventen: ca. 120 pro Jahr
Masterstudiengang
Studienbeginn: jeweils zum Wintersemester
Abschluss: Master of Arts (M. A.)
Dauer: 2 Semester
Workload: 30 CP/Semester
Absolventen: ca. 30 pro Jahr