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Zurück zur Offenheit

Umbau einer Maisonettewohnung von Studio Noju in Madrid/ES
Zurück zur Offenheit

Bei der Neugestaltung einer verbauten Hochhauswohnung spürten die Architekten von Studio Noju den ursprünglichen Ansätzen der 1960er-Jahre nach. Sie machten die Qualitäten fließender Räume und die als vertikale Gärten gedachten Balkone wieder erlebbar.

Autor Achim Geissinger

Das Hochhaus mit dem irreführenden Namen Torres Blancas ist eine der Architekturikonen der 1960er-Jahre in Spanien und Zeugnis des Willens, während des reaktionären Franco-Regimes international Schritt zu halten. Von zwei geplanten Sichtbetontürmen wurde nur einer verwirklicht und dieser ist wegen des fehlenden Zuschlags von Marmormehl noch nicht einmal Weiß. Aber mit seinem Versuch, organische Formen und vertikalen Bewuchs zu etablieren, ist der spanische Architekt Francisco Javier Sáenz de Oiza in die Architekturgeschichte eingegangen.

Auf 23 Geschossen sind Wohnungen und Büros übereinandergeschichtet. Leitungen und die Erschließung orientieren sich an den Adern eines Baums und die runden Balkone sollten wie stark belaubte Äste erscheinen.

Obenauf locken in einem Dachgarten Restaurant und Pool.

Das Innere des Gebäudes steht gegenüber dem skulpturalen Äußeren nicht zurück. Es steckt voller hochwertiger Details. Das erstreckt sich vom lederbespannten Handlauf über kreisrunde Zugangstüren bis zur 70 m langen Leuchte im haushohen Treppenauge. Die handwerkliche Qualität sucht in Europa ihresgleichen.

Attraktiver Hotspot in relativer Zentrumsnähe

Zur Erbauungszeit galt das an einer Ausfallstraße in Richtung Flughafen gelegene Quartier Prosperidad als Randlage. Heute gehört es zu den attraktiven Hotspots in relativer Zentrumsnähe. Für die beiden Architekten Antonio Mora und Eduardo Tazón vom Studio Noju bot es eine attraktive Wohnumgebung. Sie erwarben eine der acht Maisonetten im Haus. Die Wohnung war wie alle anderen der insgesamt 75 Einheiten über die Jahrzehnte stark überformt worden und der besseren Möblierbarkeit halber mit geraden Wänden in einzelne Zimmer aufgeteilt.

Die als vertikale Gärten konzipierten Balkone hatte man verglast und zu vermietbarer Innenraumfläche umdefiniert. Die ursprüngliche Offenheit ging verloren, das Grün verschwand. Von Sáenz de Oizas organischen Formen war kaum mehr etwas spürbar.

Die Struktur und das Material des mehrfach veränderten Ausbaus erwiesen sich als minderwertig und nicht erhaltenswert. Allenfalls einige Fliesen und Dielen der Holzböden ließen sich für Reparaturen in den Nachbarwohnungen wiederverwenden. Es erfolgte also eine komplette Rückführung beider Etagen auf den Rohbau. Antonio Mora erinnert sich: „Die Abbrucharbeiten ähnelten einer archäologischen Grabung, als die vielfältig geschwungenen Linien des originalen Grundrisses hervortraten.“

Hin zum ursprünglichen Geist

Sáenz de Oizas Grundrisskonzept basiert auf offenen Räumen, die um einzelne Stützen und wenige organisch geformte Wände herum fließen. Das Studio Noju sah seine Aufgabe darin, den ursprünglichen Geist wieder spürbar zu machen, die offene Raumstruktur und die Atmosphäre im Sinne Oizas wiederzugewinnen, ohne ihn nachzuahmen.

Die Architekten konkretisieren: „Die größte Herausforderung lag darin, die Balance zu finden zwischen dem Respekt vor Sáenz de Oizas Arbeit und der Umsetzung unserer eigenen Ideen. Unsere Herangehensweise ist weniger von Nostalgie für die Materialien und Lösungen der 1960er-Jahre getragen als vielmehr vom Interesse am Fortschreiben und Hervorheben der wesentlichen Charakterzüge des Gebäudes.“ So kommt das neue Layout der Wohnung den Originalplänen zwar nahe, unterscheidet jedoch weniger stark in dienende und Wohnräume und wirkt nochmals offener.

Eingangsbereich mit original erhaltenen Materialien

Der halbkreisförmige Eingangsbereich zieht die original erhaltenen Materialien des Flurs – schwarzen Schiefer aus Segovia und weinrote Holzpaneele – ein kleines Stück weit in den Innenraum hinein. Beim Betreten wird sofort die Offenheit der Raumstruktur erlebbar: Der Blick geht geradeaus durch die Treppe hindurch, die ins obere Stockwerk führt, und entlang des Essbereichs bis ins Kaminzimmer. Zu beiden Seiten öffnen sich Durchgänge in weitere, ineinander übergehende Wohnbereiche. Links daneben liegt die Küche mit ihren zartfarbenen Oberflächen des Gießharzbodens und des Hochdruck-Schichtpressstoffs.

Die matte Metallbeschichtung der HPL-Platten oberhalb der Arbeitsflächen sorgt für subtile Reflexionen der Farbtöne ringsum. Sie lässt die Raumkanten verschwimmen und die Volumina der verkleideten Stützen weniger massiv erscheinen. Daran schließt sich ein kleiner Frühstücksbereich an. Er profitiert stark vom warmen Licht der bernsteinfarbenen Glasbausteine, die Sáenz de Oiza hier wie auch bei anderen Projekten gern großflächig in die Fassaden integrierte.

Alle originalen Fassadenelemente stehen ebenso unter Denkmalschutz wie die gesamte Tragstruktur des Gebäudes. Das gilt auch für sämtliche gemeinschaftlichen Bereiche und Erschließungsflächen. Nur die Interieurs sind dem Schutz entzogen und dem Markt überlassen.

Energetisches Grün

Den größten Gewinn sehen die Inhaber des Studio Noju in der Wiederherstellung der Außenräume, die der Immobilienspekulation zum Opfer gefallen waren. Die zusammenhängend angelegten Außenflächen folgen nun wieder dem originalen Entwurf und heben die begrünten Balkone als Herz und als die eigentliche Qualität der Wohnung hervor.

Die Bepflanzung schützt die Innenräume vor Überhitzung und entwickelt die Anmutung eines Gartens. Boden, Pflanztröge und Sitzbänke sind mit grünen Fliesen belegt, die den Eindruck einer grünen Hölle verstärken. Dieser klingt im Winter, wenn die Blätter gefallen sind, nach. Mora betont: „Die Farben von Pflanzen und glasierten Fliesen entwickeln zusammen mit den Reflexionen auf den glatten Oberflächen eine enorme Energie.“ Einiges von dem, was auf dem Balkon wächst, findet direkt in der Küche Verwendung.

Den eher öffentlichen Charakter des Eingangsgeschosses unterstreichen die vielen weißen Oberflächen, vorwiegend aus verputztem und gestrichenem Gipskarton, aus dem etwa auch die runden Deckenleuchten gebildet sind. Sie wirken bisweilen wie Oberlichter mit natürlichem Licht, sind aber mit LEDs bestückt.

Subtile Materialwahl

Gelbe Beleuchtungsakzente korrespondieren mit den Reflexionen der Glasbausteine. Edle Holzoberflächen sorgen für den entsprechenden Hintergrund an den besonders gemütlichen Stellen.

Die frei stehenden Einzelmöbel halten sich mit ihren neutralen Farben weitgehend im Hintergrund. Das begründen die beiden Planer so: „Wir wollten keine ikonischen Stücke einfügen, denn der Fokus sollte auf den Architekturelementen bleiben, die dem Raum seine Persönlichkeit geben.“ Zu diesen gehören etwa die Einbaumöbel, die den Rundungen der Wohnungswände folgen, oder gebogene Schiebetüren, die entlang von Kreissegmenten geführt werden.

Die obere Etage ist als eine ruhige Zone definiert, als Nest, wo neben dem Holzboden auch Holzdecken und Wandverkleidungen aus französischer Eiche eine warme Stimmung vermitteln. Hier liegen die beiden Schlafzimmer und zwei weitere Räume, die durch das Herabklappen von Schrankbetten zu Gästezimmern werden. In die Wände integrierte Klapp- und Schiebetüren schaffen bei Bedarf die nötige Privatheit.

Jeder Raum mit eigenem Bad

Zu jedem Raum gehört ein eigenes Bad. Darin kontrastieren, ähnlich wie man es schon in den originalen Nassräumen vorfand, weiße Keramik, Armaturen und Leuchten mit farbigen Mosaikfliesen, die sich leicht an die komplexe Geometrie anpassen ließen. Der Gipfel des Luxus entsteht auf dem Hauptbalkon: Dort in der Badewanne zu sitzen und über Madrid zu schauen, abgetrennt allein durch eine gekrümmte Glaswand und einen akustisch wirksamen Vorhang, hatte Eduardo Tazón für sich ausbedungen. Da lässt man sich gerne einladen – Platz genug ist da. Beide Ebenen umfassen jeweils etwa 200 m².

Wenn die Bewohner vom ersten Besuchereindruck berichten, klingt das so: „Viele denken zunächst, das Apartment sei rundum original.“ In der Tat wurzelt die Gestaltung in der von Kreisformen und fließenden Übergängen geprägten Gedankenwelt Sáenz de Oizas. Selbst einzelne Bodenpaneele haben Mora und Tazón halbkreisförmig zugeschnitten. Doch sie wollten überzeitlich arbeiten, nie zu stark dem Original verhaftet bleiben. Sie wollten weniger auf dessen Materialien und Formensprache rekurrieren als vielmehr auf die flüchtigen Aspekte wie Bewegung im Raum oder die Farbe des Lichts. Schon gar nicht lag ihnen daran, irgendeinem Designtrend nachzueifern.

Ihre Arbeit betrachten sie als Dialog mit dem Bestand, mit dem Ziel, geeignete Antworten auf die aktuellen Bedürfnisse zu finden. So etwa durch eine dichte Lärmschutzverglasung gegenüber der lauten Hauptverkehrsstraße. Sie zeigen Wege auf, das Potenzial des Gebäudes voll auszuschöpfen. Und die Saat geht auf: Eine neue Generation von Mietern beginnt, die Freiraumqualitäten der Balkone zu entdecken und wertzuschätzen.


Porträt: Studio Noju

Studio Noju

wurde in 2020 von Antonio Mora und Eduardo Tazón in Madrid und Sevilla gegründet. Das Aufgabenspektrum umfasst Architektur, Innenarchitektur und Produktdesign. Die multidisziplinäre Herangehensweise an Projekte schließt die Kooperation mit weiteren Unternehmen und Experten ein.

www.studionoju.com


Fakten

Projekt: Umbau einer Wohnung in einem 1960er-Jahre-Hochhaus
Standort: Madrid
Bauherren: privat
Bruttogeschossfläche: 400 m²
Fertigstellung: 2022
Bauaufgabe: Innenarchitektur
Landschaftsbau: Vicky Rodríguez Eguiagaray
Lichtplanung: Daniel Rodríguez Padilla D-Luz
Holzarbeiten: Ricardo Vega
Boden: Design von Studio Noju, Ausführung und Installation von D-Tarima
Küchenhersteller: Encidecor SL, Vijupa SL
Badezimmer: Waschbecken, Armaturen und elektrische Schalter von Icónico, Toiletten von Roca, Boden- und Wandmosaik von Cinca

Hier geht zum Artikel über einen Neubau von HW Studio Architects in San Miguel de Allende in Mexiko

 

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