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Bei Licht gehört

Event- und Konzerthalle in Andermatt/Schweiz von Studio Seilern Architects
Bei Licht gehört

Studio Seilern Architects aus London haben gemeinsam mit einem deutschen Akustiker das Kunststück hinbekommen, eine herausragende Konzertsaal-Akustik unter Tageslichtbedingungen zu erreichen.

Autor Rolf Mauer

English translation below

Es überrascht, dass ein kleines Bergdorf wie Andermatt im Schweizer Kanton Uri mit sei- nen knapp 1 350 Einwohnern heute eine vielseitig nutzbare Event- und Konzerthalle besitzt, in der bei der Einweihung die Berliner Philharmoniker gespielt haben. Dabei ist es nicht nur die vielseitige Konzerthalle, die überrascht, sondern die Erstellung eines völlig neuen Quartiers in den Bergen. Wie es dazu kam?

Der kleine, auf über 1400 m Höhe gelegene Ort war schon immer militärisch wichtig. Hier unterhielt die eidgenössische Armee einen strate- gischen Stützpunkt und so war es ein Schock, als dieser im Jahr 2000 einfach geschlossen wurde.

Bereits fünf Jahre später sollte Rettung nahen. Ein schwerreicher Ingenieur und Gönner versprach Andermatt milliardenschwere Investitionen auf einem 150 ha großen Gelände. Diese sollten den kleinen Ort in eine touristisch bedeutsame Destination verwandeln. Die Andermatter zeigten sich erfreut.

Die Konzerthalle, geplant vom Londoner Büro Studio Seilern Architects, ist eines der baulichen Ergebnisse dieser Investitionen. Christina Seilern, die Büroinhaberin, wuchs in der Schweiz auf und studierte an der Columbia University in New York Architektur. 2006 zog es sie nach London, wo sie sich selbstständig machte. Als gebürtige Schweizerin hat sie vor Ort sicher eine große Portion Vertrauensvorschuss genießen dürfen.

Eigentlich ist die neue Konzerthalle ein Umbau. Aus einem bestehenden unterirdischen Rohbau von rund 2 000 m³, der ursprünglich als Ort für Kongresse und Veranstaltungen für die nahe gelegenen Hotels hätte genutzt werden sollen, entstand ein beeindruckendes Bauwerk.

Studio Seilern Architects schlug vor, einen großen Teil des bereits fertigen Daches anzuheben, um das effektive akustische Volumen auf 5 340 m³ zu verdoppeln und damit die Gesamtkapazität zu erhöhen. So passen neben einem 75-köpfigen Symphonieorchester auch 663 Zuschauerplätze in das Konzerthaus.

Tageslicht und aktive Fassade

Die Teilaufstockung des Daches gab Christina Seilern die Möglichkeit, ein skulpturales Objekt innerhalb des neu entstehenden Quartiers zu schaffen und die traditionelle Vorstellung eines Konzertsaals als geschlossenen und nach innen gerichteten Raum zu überdenken. Über eine hoch gelegene Glasfassade wird der Konzertsaal von natürlichem Licht durchflutet.

Die Idee ist, das Publikum bei einem Winterkonzert von einem Schneesturm zu umgeben, und im Sommer von Natur und Sonnenschein. An immerhin rund 1 900 Stunden pro Jahr scheint in Andermatt die Sonne – das ehemalige Dorf gehört tatsächlich zu den Top Ten der sonnigsten Orte in der Schweiz.

Von der Straßenseite draußen nimmt man die von der Decke der Konzerthalle herabhängenden akustischen Reflektoren schwebend über einem leeren Raum wahr. Wie eine Skulptur im öffentlichen Raum. Passanten können in den Konzertsaal schauen und tatsächlich sowohl Publikum als auch Orchester von oben aus sehen. Die Architekten wollten, dass das Konzert als aktive Fassade zur Fußgängerzone fungiert und nicht als abgeschlossene intime Box.

Akustische Topographie

Weil aufgrund des Geländes nur ein Teil des Daches angehoben werden konnte, befürchteten die Architekten einen negativen Einfluss auf die Bühnenkonfiguration. Diesem begegneten sie mit einem zentralisierten Bühnenkonzept und der Anlage eines symmetrischen Raums.

Die Origami-Faltungen im Saalinneren wurden mit dem Beratungsbüro Kahle-Akustik entwickelt. Eckhard Kahle ist Professor für Akustik an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Sein Ziel war es, eine ausgewogene natürliche Akustik zu schaffen. Der Saal ist außerdem mit einem elektroakustischen System ausgestattet, das eine längere Nachhallzeit ermöglicht, sodass auch kräftiger klingende Orchesterensembles unter optimalen Klangbedingungen auftreten können.

In einer Konzerthalle sind die sogenannten frühen Reflexionen wichtig, die üblicherweise von einer Seitenwand oder aber einer Decke reflektiert werden. Frühe Reflexionen werden benötigt, um eine ausgezeichnete Sprachverständlichkeit, musikalische Klarheit, Präsenz und ein Gefühl der akustischen Umhüllung durch die Musik zu gewährleisten.

Diese werden in Andermatt durch die Innentopographie des Saales erreicht, um den Klang von der Bühne bis zu jedem Besucher zu reflektieren.

Oberflächen wie die geneigten Balkonfronten und die skulpturale Holzdecke umschließen den Raum wie eine vom Boden aufsteigende Welle, die dem Publikum den Eindruck vermittelt, sich in einer Musikwelle zu befinden, die durch die Innengeometrie des Saales optisch und akustisch aufgewertet wird.

Darüber hinaus leiten die abgehängten akustischen Reflektoren den Schall der Musiker mit der notwendigen Intensität, Richtung und Zeitverzögerung zu den Zuhörern, um ein eindrucksvolles und eindringliches akustisches Erlebnis zu schaffen.

Ausblicke in die Landschaft

Beim Bau von Konzertsälen werden die optische Orientierung und die Verortung eines Konzerts oft unterschätzt. Es ist aber ein Unterschied, ob ein Konzert in Barcelona, London oder Andermatt stattfindet. Natürlich sind Glasfassaden als schallharte Flächen für die Akustik eines Raumes nachteilig, für die Orientierung und das Wohlbefinden des Besuchers sind sie jedoch vorteilhaft. In Andermatt wirkt die Konzerthalle durch das natürliche Licht und die perspektivische Sicht geräumiger und komfortabler. Wenn ein größeres Publikum und Orchester den Raum bespielt, füllt sich der helle und lichtdurchflutete Raum nicht nur akustisch, sondern auch visuell und steigert darüber hinaus das Erlebnis mit einem spektakulären Blick auf die Alpen.

Selbst der betonierte Treppenkern wurde in ein einladendes Foyer verwandelt. Die schrägen Wände dieses Foyers sind mit facettiertem, reflektierendem Glas verkleidet, inspiriert von den Oberflächen der Gletscher und Felsformationen der Alpen.

Ob Andermatt, trotz des architektonischen Potenzials, der tollen Hotels, der schönen Konzerthalle und der großen Investitionen eine touristische Attraktion wird, entscheidet letztlich natürlich der Besucher. Studio Seilern hat auf jeden Fall das Seine getan.


Portrait: Phil Poynter

Architektin Christina Seilern

ist Inhaberin des Londoner Büros Studio Seilern Architects, das sie 2006 gründete.

Mitarbeiter: 20

Arbeitsbereiche: Veranstaltungsorte für Kunst, Kultur, Bildung, Gastgewerbe und kommerzielle Projekte.

www.studioseilern.com


Factsheet

Projekt: Andermatt Concert Hall

Standort: Andermatt/CH

Bauherr: Andermatt Swiss Alps

Bauaufgabe: Konzerthalle

Fertigstellung: 2019

Geschosse: 2

Akustik: Seilern Architects gemeinsam mit Kahle-Acoustics, www.kahleacoustics.com

Akustikdecke: Lindner Group, www.lindner-group.com

Ausstattung: Konzertbestuhlung und Tribüne: Figueras; Foyerwände: ‚Acrylic couture® Etoile Ice‘ von Seen And Acrylic Couture; Türgriffe: Glutz and Salto

Beleuchtung: Iguzzini

Glasfassade: Ruch


Event and concert hall in Andermatt, Switzerland

Heard in the light of day

In co-operation with a German acoustics expert, London-based Studio Seilern Architects have achieved the feat of realizing excellent acoustics in daylight conditions.

Author: Rolf Mauer

It is surprising that a small mountain village like Andermatt, located in the Swiss canton of Uri and counting less than 1,350 inhabitants, boasts a concert hall for a wide range of uses, at whose inauguration a concert with the Berlin Philharmonics was staged. And it is not the concert hall as such that is surprising but the creation of a completely new district in a secluded rural area. How did this come about?

The small village, located at an altitude of 1,400 meters, has always been of military importance. The Swiss army maintained a military base here, and it came as a shock when it was simply shut down in 2000.

Only five years later events took a positive turn. A very wealthy engineer and sponsor promised to invest billions in Andermatt on a 150 ha large site. These investments were to transform the little village into a touristically important destination. The people of Andermatt were delighted.

Designed by London-based Seilern Architects studio, the concert hall is an architectural gem. Christina Seilern, principal of the studio, grew up in Switzerland and later moved to the United States to study architecture at Columbia University in New York. Being Swiss by birth, she must have certainly enjoyed a great deal of local confidence from the start.

In actual fact the concert hall is the conversion of a previous project. An impressive construction was implemented on an existing underground space of roughly 2,000 m³ that had originally been intended to be used as a place for conventions and events for nearby hotels.

Studio Seilern Architects proposed to lift a major section of the existing roof to double the effective acoustic volume to up to 5,340 m³, thus increasing the total capacity to accommodate a 75-strong symphony orchestra and a total capacity of 663 audience seats.

Daylight and an active façade

This partial elevation of the roof provided the opportunity for Chistina Seilern to design a sculptural object within the newly implemented village section and to rethink the traditional perception of a concert hall as a closed and inward-looking space. A glass façade makes sure the concert hall is flooded with natural light.

The idea was to surround the audience in a winter concert by a whirlwind of snow and nature as well as sunshine
in summer. Andermatt is blessed
with roughly 1,900 hours of sunshine per year – in fact, the former village
is one of the ten sunniest places
in Switzerland.

Viewed from street level, the acoustic reflectors hanging from the concert hall’s ceiling are perceived as floating objects above an empty space, like a sculpture placed in a public domain. Passers-by can look into the concert hall and actually watch the audience and the orchestra from above. It was the intention of the architects to make the concert act as an active façade toward the pedestrian area rather than as a closed-off, intimate box.

Acoustic topography

Due to the site’s shape, only a part of the roof could be elevated. For this reason, architects were faced with a negative influence on the stage configuration. Therefore a centralized stage concept was conceived to create a symmetrical space.

The origami designs in the hall’s interior were developed in co-operation with Kahle Acoustics. Eckhard Kahle is an acoustics professor at University of Music in Karlsruhe. He aimed at creating well-balanced natural acoustics. On top, the hall is equipped with an electro-acoustic system that allows a longer reverberation time, thus permitting more forceful sounding orchestral ensembles to perform under optimum acoustic conditions.

In a concert hall, the so-called early reflections are important. They are normally reflected from a side wall or from a ceiling. Early reflections are needed to ensure excellent speech intelligibility, musical clearness, presence and a feeling of being acoustically enveloped by the music.

In Andermatt, these elements are achieved by the hall’s interior topography with the aim to reflect sound from the stage to reach each and every visitor. Surfaces like the slanted balcony fronts and the sculptural wood ceiling enclose the space like a wave rising from the floor, providing the audience with the impression to be inside a musical wave, which is improved visually and acoustically by the interior geometry of the hall. Moreover, the suspended acoustic reflectors guide the sound of the musicians to the audience with the necessary intensity, directivity and delay to create an impressive and forceful acoustic experience.

Views of the landscape

Visual orientation and localization of a concert are often underestimated when constructing a concert hall. But the places where concerts are staged make a difference – Barcelona, London or Andermatt. It is true that glass façades are detrimental to a room’s acoustics because they are acoustically hard, but they are advantageous as far as orientation and wellbeing of the audience are concerned. In Andermatt, thanks to the natural light and the perspective view, the concert hall looks more spacious and more comfortable. When the space is filled with bigger audiences and larger orchestras,
the bright and light-flooded space is not only filled acoustically but
visually as well, because the sound experience is enhanced by a spectacular view of the Alps.

Even the core stairway was transformed into an inviting foyer. The slanted walls of this foyer were clad with faceted, reflecting glass, inspired by the Alps’ glacier surfaces and rock formations.

Ultimately visitors will of course decide if Andermatt becomes a tourist attraction despite its architectural potential, the magnificent hotels, the beautiful concert hall and the large-scale investment. We are looking forward to developments!

Christina Seilern

is principal of the London-based

Studio Seilern Architects, founded by her in 2006.

Team of 20.

Working areas: event venues for art, culture, education and gastronomy, plus commercial projects.

www.studioseilern.com

FACT SHEET

Project: Andermatt Concert Hall

Location: Andermatt Switzerland

Owners: Andermatt Swiss Alps

Construction task: concert hall

Completed in 2019

Floors: 2

Acoustics: Seilern Architects with Kahle-Acoustics, www.kahleacoustics.com

Acoustic ceiling: Lindner Group, www.lindner-group.com

Interior design:

Concert seating and stage: Figueras; Foyer walls: ‚Acrylic couture® Etoile Ice‘ by Seen And Acrylic Couture; Door handles: Glutz and Salto

Lighting: Iguzzini

Glass façade: Ruch

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