Autorin: Johanna Neves Pimenta
Fahren oder zu Hause bleiben? Die ganze Kreativbranche stellt sich die Frage, ob man die Reise zum Salone del Mobile in Mailand von 5. bis 10. September antreten sollte oder nicht. Manchen graut vor eng gedrängten Metrofahrten und Nadelöhren wie dem Einlass. Andere sehnen sich nach dem Austausch und der Inspiration, die eine Mailandreise garantiert.
Rücktritt von Luti im April
Die letzten Monate ermutigten nicht, sich an die Reiseplanung zu machen. Claudio Luti legte überraschend und mit scharfen Worten sein Amt als Präsident nieder: „Was für mich zählt, ist ein gemeinsamer Wille, und der ist gescheitert“, kommentierte er in einer Kartell-Pressemitteilung. Dezeen spekulierte im März gar schon, ob der Salone del Mobile ausschließlich digital stattfinden würde. Bestärkende Faktoren waren rar. Die Messe finde statt und werde von einem Kurator verantwortet, hieß es Ende April von den Veranstaltern.
Das neue Konzept des „Supersalone“
Eine Pressekonferenz am 26. Mai sollte den Wendepunkt markieren. Die Veranstalter präsentierten das Konzept des „Supersalone“. Kurator Stefano Boeri inszeniert mit Unterstützung von Andrea Caputo, Maria Cristina Didero, Anniina Koivu, Lukas Wegwerth und Marco Ferrari sowie Elisa Pasqual von Studio Folder eine Sonderausgabe. Statt einzelner Messestände präsentieren sich Hersteller in Wandsystemen. Die ausgestellten Produkte lassen sich per QR-Code scannen und zu einem reduzierten Preis in einem messeeigenen Onlineshop kaufen.
Das Potenzial eines Endverbraucherformats
Die Vorteile dieses Formats liegen auf der Hand. Zögernde Hersteller haben einen deutlich geringeren Aufwand im Hinblick auf Kosten, Planung und Personal. Insbesondere, wenn sie ihre Jahresneuheiten bereits im Frühjahr präsentiert haben, würde sich für sie ein Herbstauftritt nicht lohnen.
Die Öffnung für das lokale Publikum wiederum verspricht abzupuffern, dass pandemiebedingt internationales Publikum ausbleibt. Seine Kaufkraft verringert den verbleibenden finanziellen Aufwand. Selbst die Auswirkungen auf die Umwelt stellen sich anders dar, da das Standkonzept auf Wiederverwertbarkeit setzt. Sämtliche Materialien sollen nach der Messe ebenfalls im Onlineshop vertrieben werden.
Konsequenzen für Fachleute
Für Fachbesucher ist diese Ankündigung vielleicht eine Erleichterung. Sie entlässt aus der Verpflichtung, am Ort des Geschehens zu sein. Es ist das eine, sich notgedrungen mit Profis die Schulter zu reiben. Es ist das andere, sich mit Privatpersonen in der Metro zu drängeln. Ein Erlebnis wird die Messe allemal. Aber ein Muss-Termin für Fachleute ist sie voraussichtlich nicht, es sei denn, das Rahmenprogramm begeistert.
Mutige Entscheidung
Nichtsdestotrotz muss man das Engagement der Veranstalter würdigen: Die Messe gänzlich abzusagen, wäre der Weg des geringsten Widerstandes gewesen. Federlegno Arredo Eventi beweist Entschlusskraft und Mut, angesichts der widrigen Umstände einen völlig neuen Weg zu gehen, und das verdient Respekt.
Ob die md-Redakteure im Licht des neuen Formats fahren werden? Das hängt von der Impfkampagne ab.
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