1 Monat GRATIS testen, danach für nur 7,50€/Monat!
Home » News » Meinung »

Kohärenzdesign im Bad: Erholung und Entleerung

Kohärenzdesign im Bad
Im Reinen: Erholung und Entleerung

Im Reinen: Erholung und Entleerung
Wer räumliche Zeichen setzt, gewinnt: Differenzierung zwischen „Stillem Ort“ und „Spatium Sanus“ führt zu Nutzungssicherheit. Foto: Kollektion ‚Archiplan‘ von Vitra Bad
Allzu leichtfertig wird das Bad heutzutage als „Wellnesstempel“ generalisiert – dabei erfüllt es genau genommen zwei Funktionen. Rudolf Schricker zeigt sie auf und plädiert für die räumliche Trennung von Erholung und Entleerung.

Gesundheit, Genesung und Wohlbefinden werden nicht allein durch medizinische Errungenschaften und Behandlungen beeinflusst. Vielmehr sind sich Wissenschaftler und Ärzte einig, dass eine Vielzahl von Einflussfaktoren, unter anderen auch die Qualität der Räume und deren Wechselwirkung mit Menschen, zur Gesundheit beitragen. Menschen genesen schneller und bleiben länger gesund, wenn sie sich im Raum wohlfühlen.

Kohärenzdesign

Forschungsgebiete wie „Healing Interior“, „Active Design“ oder „Evidenced Based Design“ beschäftigen sich mit der nutzerangepassten Gestaltung von Räumen. Sie reflektieren Wahrnehmung, salutogenetische – also gesundheitserhaltende – Wechselwirkungen und analysieren kohärente Auswirkungen auf Psyche und Physis.

Die sogenannte „Nasszelle“, die noch vor Jahren als Errungenschaft im Wohnungsbau gefeiert wurde, scheint mittlerweile aus der Zeit gefallen. Vergleichbar mit Überwindung der Etagentoilette vor Jahrzehnten, dürfte das Angebot eines Badezimmers, das WC, Handwaschbecken und Dusche gleichgültig vereint geänderten Ansprüchen hinsichtlich Hygiene, Gesundheit, und Wellness nicht mehr genügen.

Intime Räume sollten mittels Licht, Akustik, Temperatur, Duft, Luftfeuchtigkeit und Materialhaptik Stress reduzieren und Entspannung fördern. Gesucht wird Raum, der durch eine ausbalancierte Ansprache aller Sinne gewissermaßen Heilkräfte entwickelt.

„Stiller Ort“ und „Spatium Sanus“

Womöglich könnte eine Trennung von Raum für „Ausscheidung, Entleerung, Reinigung und Waschung“ einerseits und für „Anwendungen und angenehme Erfahrungen mit der Heilkraft des Wassers in allen Aggregatszuständen – Wasserfall, Regen, Dampf, Nebel, bis hin zum Schnee“ für klare Differenzierung sorgen. Eine grundsätzliche Differenzierung zweier in körperlicher, geistiger und sozialer Interpretation höchst intimer und individueller Räume führt zu steigender Nutzungssicherheit, höherer Erlebnisqualität und größerer Wertschätzung für und durch den individuellen Nutzer. Die Unterscheidung von „Stillem Ort“ und „Spatium Sanus“ vergrößert nicht nur Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung; technisch richtig ausgestattet und akustisch beruhigt erlebbar, kann das Bad Berührungsängste reduzieren und Neugierde erzeugen. Ein objektivierendes WC-Labor könnte Aufschluss über physiologische Bedingtheit des Körpers bieten und Diagnoseverfahren verkürzen. Ein Ort von Entleerung, Erleichterung, Reinigung und Analyse.

Ort der Entschleunigung

Dagegen zielt der Ort des „zu sich selbst Findens“ mit unterschiedlichen Fuß- und Unterarm-Becken, dynamischer Sitz- und Liege-Wannen sowie individuell nutzbarer Wassertechnik eher auf Genesung und Gesundung. Er böte der inneren und äußeren Wasseranwendung genug Spielraum, um Krankheitsverläufe positiv zu beeinflussen und Körper und Seele wieder in Balance zu bringen. Wassertherapien spenden Zeit und setzen Aufenthaltsqualität voraus. Ein Ort der Entschleunigung entsteht, der Katharsis, der Selbstfindung und der Verwandlung.

„Lebendiges Wasser“ und das Synonym „alles im Fluss“ charakterisieren anschaulich salutogenetische Designprinzipien und pathogenetisch-präventive Fragestellungen: Wie mit Wasser gestalten und es individuell gesund anwenden? Wie Naturnähe suggerieren, aktiv wie passiv spürbaren Einfluss üben, Wechselwirkung erzielen, Zuversicht gewinnen?

WC-Labor und Heilbad

Ziel beider Räumlichkeiten: WC-Labor und Heilbad wollen Aufenthalte jeweils so angenehm und aufschlussreich wie möglich gestalten. Weder noch sind rein technische Einrichtungen; in beiden wirken synästhetische Bedingungen und lösen kohärente Gefühle aus. Wirksames Sana-Setting gleicht einem Bühnenbild für hypersensible Menschen, unbekleidet, pur, natürlich. Die Aufführung nennt sich „Metamorphose“. Frisiert, rasiert, geschminkt, gesalbt, gepudert – angezogen, ausprobiert, ausgeleuchtet, gestikuliert, gestimmt – der gespiegelte Mensch verlässt den Raum anders als er ihn betreten hat.

Benutzung angenehm machen

Kohärenzdesign: Menschen identifizieren zwei Orte der Genesung und Gesunderhaltung: hier „Labor“, mit medizinischer Hightech-Toilette, voller Sensorik und rascher Analytik; dort „Oase“, die anhaltende Körper- und Seelenpflege mit dauernder Physiotherapie, Inhalation und balneologischen Anwendungen schenkt.

Natürlich sind Produkte und Einrichtungen, die Menschen Halt geben, die Benutzung angenehm machen und zum Begleiter werden, individuell auf jeden Einzelnen einstellbar, flexibel und sinnvoll mobil. Verwendete Materialien sind leicht zu reinigen, fugenlos, antibakteriell, hygienisch und anmutig. Sie liegen gut in der Hand und Berührungen sind wohltuend. Selbstredend, dass die integrative Einrichtung frei von Barrieren und Hürden ist.

Selbstfindungsoasen

Credo all der Bemühungen: „Stress vermeiden, Angst abbauen, Zeit gewinnen, Privatsphäre schützen; entspannen und beruhigen, Aufmerksamkeit entgegenbringen, Aufschluss gewinnen, ein Gefühl des Behütetseins fördern“. Selbstfindungsoasen unterstützen individuelle Entwicklungs- und Erhaltungsprozesse von Gesundheit. Salutogenetische Raumgestaltung ermöglicht gesundes Design und eröffnet ein naturnahes Rahmenkonzept.

Es ist kein Plädoyer für das Smarte Bad per se, dennoch steigern Hightech und KI-Systeme Gesundheitsverantwortung und unterstützen den Einzelnen, sich mit Medizinsystemen zu vernetzen. Big Data, medizinische Apps, E-Health und künstliche Intelligenz kennzeichnen „smart medicine“ als Phänomen. Sie generieren Schnittstellen zu Menschen im Raum und fördern Ideen, Einzelne frühzeitig in die Gesundheitsvorsorge mit einzubeziehen. Doch bei aller Vernetzung sollten die Heilkräfte des Raumes auch bei etwaigem Stromausfall spürbar bleiben.


Rudolf Schricker

Der Kolumnist ist emeritierter Professor an der Hochschule Coburg, Dipl.-Ing. Innenarchitekt BDIA mit Designbüros in Ditzingen und Coburg sowie Buchautor, Publizist und Gutachter.

Weitere Beiträge von Rudolf Schricker finden Sie hier

Anzeige
Top-Thema
Anzeige

Neueste Beiträge
Titelbild md 03-04
Ausgabe
03-04.2024 kaufen
EINZELHEFT
ABO

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de