Am Freitag, dem 13. März, hat die Rheinische Fachhochschule Köln ihren Betrieb vollständig auf digitale Lehre umgestellt. Sämtliche Vorlesungen, Seminare und Übungen werden seitdem mit digitalen Mitteln durchgeführt. Am Beispiel eines Seminars bedeutet das ganz praktisch: Die Studierenden und Lehrenden nehmen an einer Videokonferenz teil. Meist sitzt jeder bei sich zuhause: Die Lehrenden an ihrem Rechner, die Studierenden überwiegend an ihrem Smartphone.
Hat jemand einen Überblick?
Der gemeinsame digitale Seminarraum hat einige Besonderheiten. Im Unterschied zum physischen Raum bedeutet Anwesenheit nicht, das alle Anwesenden von allen gesehen und gehört werden.
Denn die meisten Studierenden haben ihre Kameras und Mikrofone ausgeschaltet. Deshalb gibt es einige Fragen, die immer wieder gestellt werden: »Hat jemand einen Überblick, wieviele wir heute sind?« »Sind Sie noch da?« »Hören Sie mich?« »Sehen Sie mich noch?«
Hurra, wir studieren noch!
Die ersten vier Wochen waren von Euphorie geprägt: Hurra, wir studieren noch! Meist funktionierte das WLAN, meist erschienen alle pünktlich in den digitalen Räumen, die technisch ausgereift wirken.
Dann nahmen rasch Erzählungen von merkwürdigen Begebenheiten überhand. Anekdoten von Erfahrungen aus manchem virtuellen Meeting machten die Runde. Wenn körperliche Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ohne dass das Mikrofon stumm gestellt worden war.
Wenn Lehrende stundenlang monologisierten und dabei so von ihrem Bildschirm ablasen, dass die Kamera nur das Bild ihrer Stirn vollflächig zeigte. Wenn Teilnehmende aus Bequemlichkeit einfach ihren Pyjama trugen.
Digitales Studium passt nicht überall
Nach wenigen Wochen wurde offenbar, dass digitales Studium nicht in allen Bereichen gleichermaßen passend ist. So lautet heute die erste Erkenntnis, dass digitale Formate besonders effizient sind, und diese Eigenschaft ist nur in manchen Fächern hilfreich.
Wer z.B. Programmierung lernt, schätzt das Bildschirmstudium, weil man dabei ohnehin am eigenen Computer arbeiten muss. Dabei entlastet es ungemein, wenn die Hinweise des Lehrenden nicht mehr vom Beamer abgelesen werden müssen, sondern direkt im Bildschirm zu sehen sind. Und Besprechungen im Kollegium, bei denen es um die Abstimmung von Terminen, Zahlen und Fakten geht, verlaufen zügiger.
Die Zwischenräume des Informellen fehlen
Diese Effizienz des Digitalen erfordert nicht nur permanente Konzentration. Sie beseitigt auch alles, was nicht unmittelbar zum geplanten Inhalt dazugehört.
Die Zwischenräume des Informellen fehlen im digitalen Raum. Der persönliche Austausch leidet. Zur Mitte des Semesters hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass gerade diese informellen Anteile des persönlichen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden für das Designstudium grundlegend sind.
Designstudium digital nicht kreativ
Abzweigungen, Abschweifungen und Gedankensprünge regen zum Nachfragen und Querdenken an. Das Designstudium besteht zu wesentlichen Anteilen aus Teamarbeit, weil auch die Berufspraxis im Design meist in Teams bewältigt wird.
Und Inspiration entsteht gerade im Design aus persönlichen Rückmeldungen beim zwischenmenschlichen Kontakt. Aus dem Beiläufigen, aus der Gestik und Mimik der Gesprächspartner. Die eindimensionale, lineare Effizienz des digitalen Raums verhindert kreatives gemeinschaftliches Entwerfen. Design steckt in der Klemme zwischen social distancing und der conditio humana.
Prof. Dr. René Spitz lehrt an der RFH Köln Designwissenschaft. Seit 20 Jahren berichtet er als Designkritiker des WDR. Sein Interesse gilt der gesellschaftlichen Verantwortung der Gestalter.
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