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Thilo Ferdinand Reich

Interview über recycelte Innenarchitektur für die Gastronomie
Thilo Ferdinand Reich

Ein Architekt, der als Interior Designer arbeitet. Ein Stuttgarter in Berlin. Thilo Reich arbeitet mit Materialien, die er direkt zur Hand hat. Seine Projekte punkten durch Authentizität, Atmosphäre und Nachhaltigkeit.

Interview: Katharina Feuer

Sie sind von Haus aus Architekt. Warum arbeiten Sie hauptsächlich an Innenarchitektur-Projekten?

Thilo Reich: In der klassischen Architektur habe ich bemerkt, dass mir die Dimensionen oft zu groß sind. Es dauert alles unglaublich lang, auch bis sich ein Erfolgserlebnis einstellt.

Die Richtung Interior Design hat sich bei mir bereits während des Studiums an der TU Berlin abgezeichnet. Man ließ uns große Freiheiten und so habe ich mich meist für Projekte mit dem Schwerpunkt Innenarchitektur entschieden.

Was gibt es noch für Unterschiede zwischen Architektur und Innenarchitektur – außer der schieren Größe?

Thilo Reich: In der Architektur sehe ich einen ganzheitlichen Ansatz. Bei der Innenarchitektur ist mir aufgefallen, dass vieles Attrappe ist, Set-Design, mehr Schein als Sein. Man denke nur an den Messebau oder so manches oberflächliche und kurzlebige Retail-Projekt. Das ist gar nicht mein Ding. Ich brauche ehrliche Materialien.

So wie bei der Berlin Bar in Moskau? Dafür erhielten Sie den Frame Award in der Kategorie ‚Best Use of Material‘.

Thilo Reich: Das ist toll und hat nur funktioniert, weil ich sehr offene Bauherren hatte, die mir von Anfang an vertraut haben. Ich sollte die Berliner Nightlife-Atmosphäre nach Moskau transportieren. Ich wollte aber nicht in die Klischeekiste greifen, mit Fernsehturm und Berliner Bär. Stattdessen haben wir Abdrücke von Orten in Berlin mit historischem Bezug zu Moskau und und daraus Betonreliefs für die Wände erzeugt. Man kann so die gemeinsame Geschichte ertasten und fühlen.

Authentisches Material spielt auch im Café/Showroom ‚Be sweet‘ eine Rolle.

Thilo Reich: Das ist richtig. Die Kundin, eine Konditorin wollte für ihre veganen Törtchen eine Plattform. Ich musste Sie anfangs davon zu überzeugen, dass wir einen derart reduzierten, mit wenigen Materialien erzeugten und dennoch detailverliebten Raum realisieren.

Die Besonderheiten erschließen sich erst auf den zweiten Blick.

Thilo Reich: Das ist richtig und trotzdem glaube ich, dass die Menschen über den Gesamteindruck spüren, dass sie es mit echten Materialien zu tun haben, bevor sie sie richtig sehen.

Jetzt möchte ich Beispiele hören!

Thilo Reich: Der Tresen besteht aus vielen alten, weißen Fliesen, die einfach übereinandergestapelt sind. Die Sitzbänke entstanden aus alten Berliner Treppengeländern – die Oberfläche ist glatt geschliffen, darunter erlebt man noch die Dreidimensionalität. Wir haben einen hochwertigen Eichenboden eingebaut, mit Messing gearbeitet.

Bei den Wänden empfand ich den vergoldeten Bestandsstuck als zu grob und tüttelig. Er ist jetzt bis zur halben Höhe des Raumes mit weißem Leinenstoff überzogen und somit weicher.

Insgesamt sollte ein wertiger Eindruck entstehen. Denn die veganen Törtchen sind nicht gerade günstig. Das würde sonst nicht funktionieren.

Und warum hängt da ein Baum?

Thilo Reich: Das kleine Café und Torten-Showroom liegt in einer belebten Nachbarschaft. Der Baum soll einerseits eine gewisse Natürlichkeit transportieren, das Vergängliche aufzeigen, aber er dient auch als Eyecatcher – er soll Passanten neugierig machen und animieren, den Laden zu betreten. Die komplette Raumhöhe wird dadurch bespielt. Es entsteht ein belebendes Schattenspiel auf allen Oberflächen.

Nachhaltigkeit ist für Sie nicht nur ein Trend, sondern Sie versuchen das in Ihren Projekten umzusetzen. Wie?

Thilo Reich: Ich frage mich immer, ob die Materialien, die ich für meine Projekte verwenden will, einmal um den Globus geflogen sein müssen und wie viel Energie zu deren Herstellung notwendig war. Ich versuche lokale Lösungen zu finden und mit dem zu arbeiten, was man hat.

Wir kommen offensichtlich in vielerlei Hinsicht an unsere Grenzen und können nicht einfach weiter machen wie bisher. Ich bin strikt gegen verschwenderische Wegwerfarchitektur und für Upcycling von Materialien.

Wie sieht das konkret aus?

Thilo Reich: Wir verwerten Materialien wieder und geben ihnen ein zweites Leben. Dazu arbeiten wir viel mit lokalen Handwerkern zusammen und stellen auch eigene Möbel her. Berlin ist dafür ein guter Ort. Es gibt hier unwahrscheinlich viele kreative und experimentierfreudige Leute.

Welche Quellen zapfen Sie an, um neue Ideen zu finden?

Thilo Reich: Moderne Kunst und Galerien. Ich bin immer etwas neidisch auf Künstler, die komplett frei und kreativ sein können. Ohne die Grenzen, die ich bei meiner Arbeit habe: Kunde, Normen, Geld. Und die Messe in Mailand. Die Euroshop sowie Instagram. Hat die md eigentlich einen Account?

Natürlich! md.magazin. Sie haben auch mal gemodelt. Ist Mode Inspiration für Sie?

Thilo Reich: Och, das war während des Studiums. Es gibt durchaus tolles Modedesign. Eigentlich ist mir die Modewelt zu schnelllebig. Es langweilt mich fast. In der Branche herrscht ein Tempo und Durchlauf, der ist eigentlich pervers. Insofern interessiert mich auch der Bereich Retail nur bei hochwertigen Produkten, hinter denen ich stehen kann.

Wie kommt man eigentlich dazu, noch vor dem Abitur im Büro von Foster and Partners zu arbeiten?

Thilo Reich: Ich habe irgendwie schon früh gewusst, dass ich Architektur machen will. Ich habe damals die Sommerferien genutzt und mit einem Stipendium der zis Stiftung über drei Ecken das Praktikum in London bekommen.

Kann man in so kurzer Zeit überhaupt etwas lernen?

Thilo Reich: Oh ja, diese Zeit prägt mich bis heute. Ich bin eigentlich schüchtern, aber wenn man quasi ohne Geld – das ist das Konzept der Stiftung – mindestens vier Wochen überstehen will, muss man mit den Menschen reden. Ich bin als ein anderer Mensch zurückgekommen, kann ich sagen.

Welches Büro hat Sie und ihre Arbeit rückblickend am meisten geprägt und warum?

Thilo Reich: Das ist eine sehr schwere Antwort, weil die Büros und Architekten, mit denen ich gearbeitet habe, alle sehr unterschiedlich sind und auch sehr unterschiedliche Denkweisen verfolgen. So würde ich sagen, dass ich sehr viel über Formsache, Materialist und Strukturen bei Delugan Meissl und von Regine Leibinger (Barkow Leibinger) gelernt habe.

Eine partizipative Herangehensweise beim Entwurf von Räumen und Architektur, die mir sehr wichtig ist, habe ich bei Susanne Hofmann von den Baupiloten erlernt. Geprägt hat mich aber besonders auch Nathalie de Vries von MVRDV. Das anders Denken oder rückwärts Denken im Entwurfsprozess – Dinge auf den Kopf stellen habe ich auf jeden Fall von ihr mitgenommen.


Foto: David Paprocki

Nach Praktika und freier Mitarbeit in diversen namhaften Büros auch schon während des Studiums der Architektur an der TU Berlin gründete Thilo Reich (Jg. 1981) sein Büro 2009 in Berlin. Der Architekt realisiert hauptsächlich Innenarchitekturprojekte. Sein USP ist ein hoher Grad an Authenzitität und ehrliche Materialität.

www.thiloreich.com


Projektadressen:

Be Sweet, Kollwitzstraße 37, 10405 Berlin

Berlin Bar, с, Bol’shaya Sadovaya Ulitsa, 14с6, Moscow, Russland, 125047

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