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Von der Dachterrasse zum Innenhof

Der neue Trend zum Outdoor Working
Von der Dachterrasse zum Innenhof

Firmen im Artikel
Wahrnehmbar mehr Unternehmen bieten Arbeitsplätze an der frischen Luft an. Wir untersuchen die Hintergründe, benennen Vorbilder und beleuchten die Schattenseiten des Outdoor Working.

Autorin Gabriele Benitz

Der Trend zum Outdoor Working zeichnet sich vor folgendem Hintergrund ab: Kunstlicht, kaum Naturbezug – das dürfte vielen Menschen, die in Innenräumen arbeiten, bekannt vorkommen. Betroffen sind auch diejenigen, die in Büros arbeiten. Zwar lassen große Fensterflächen – mittlerweile in modernen Verwaltungsgebäuden Standard – genügend Licht ins Innere. Auch kümmerliche Büropflanzen, die in früheren Zeiten vielfach das Bild bestimmten, gibt es kaum noch. An ihre Stelle traten großformatige Pflanzkübel, vermehrt ganze Pflanzeninseln, begrünte Wände sowie vereinzelt sogar Bäume.

Die Bemühungen, mehr Grün in den Büroalltag zu bringen, sind lobenswert. Denn die Flora trägt zum Wohlgefühl am Arbeitsplatz bei. Sie sorgt für ausgeglichenere Luftfeuchtigkeit, mindert den CO2-Gehalt, produziert Sauerstoff und wirkt stressmindernd. Auch Lärmreduzierung wird ihr nachgesagt, wenngleich das messtechnisch kaum zu beweisen ist.

Besprechungen im Freien

Doch alle Anstrengungen, die Büroinnenräume zu begrünen, reichen anspruchsvollen Planern, Bauherren und Nutzern nicht aus. Vielmehr zeichnet sich eine langsam wahrzunehmende Entwicklung ab, das Arbeiten – zumindest teilweise – nach draußen zu verlagern. Das Outdoor Working wirkt sich auf die Architektur aus. Bürogebäude werden inzwischen häufig nicht nur mit bepflanzten Innenhöfen, sondern auch mit großen Balkonen, Loggien und Dachterrassen konzipiert.

Was führte zu dieser Entwicklung? Zweieinhalb Jahre Social Distancing förderten den Drang, sich in der Natur aufzuhalten. Manchem wurde dadurch erst bewusst, wie sehr ihn ein Spaziergang durch den Wald beruhigen kann und Kraft tanken lässt.

Technischer Fortschritt macht’s möglich

Wer pandemiebedingt viel Zeit im Homeoffice verbrachte und verbringt, hat die Annehmlichkeiten, auf dem Balkon oder im Garten zu arbeiten, zu schätzen gelernt. Nicht zuletzt machte der technische Fortschritt, dank WLAN und Smartphone fast überall produktiv sein zu können, die räumliche Unabhängigkeit möglich. Das gilt ebenso für die meisten Bürogebäude. Smartphone, WLAN, Bluetooth und Laptop sind heute in vielen Unternehmen selbstverständlich.

Die besten Voraussetzungen für das Outdoor Working. Mittlerweile gibt es Bauten, die explizit dazu auffordern, die Außenbereiche zum Arbeiten zu nutzen. Der Platzwechsel öffnet im wahrsten Sinne des Wortes den Horizont und Ideen sprudeln dort natürlich besser.

Sicherlich ist es in wärmeren Ländern klimabedingt leichter, sich nach draußen zu begeben. Die elementaren Voraussetzungen für die Umsetzung müssen aber überall erfüllt sein: Schutz vor Hitze, Kälte und Wind, Verschattungsmöglichkeiten, robuste und zugleich bequeme Möbel, die man stehen lassen kann, ohne dass sie langfristig Schaden nehmen.

Arbeitsplätze für das Outdoor Working

Worauf man bei der Einrichtung für das Outdoor Working achten muss, weiß etwa Michael Stoz. Die Flächen dürfen nicht zu hell oder gar weiß sein, sonst reflektieren sie zu sehr. Konkret bedeutet das: „Digitalität ist bei hohen Luxwerten im Außenbereich ein Problem. Die Menschen würden dann eigentlich eine Sonnenbrille tragen, aber das verhindert oder erschwert, dass sie etwas auf dem Bildschirm erkennen können“, schränkt der Architekt, Innenarchitekt und Vorstandsvorsitzende der Partner AG aus Offenburg ein. Blendungseffekte entstünden ebenfalls durch umliegende Gebäude. Das wirke sich auf die Planung aus. „Steht ein weißes Gebäude gegenüber, sollte man keine Arbeitsplätze auf der Terrasse oder dem Balkon einrichten.“

Diese Überlegungen sind umso wichtiger, weil Außenarbeitsplätze doppelt so teuer kommen wie die im Innenraum. Warum das so ist, erläutert Stoz: „Sie kosten zwar das Gleiche, können aber in der Regel nur das halbe Jahr über genutzt werden.“ Davon sei die Hälfte der Nutzungszeit so hell und heiß, dass viele den Aufenthalt im Inneren bevorzugen.

Mindestens ebenso wichtig bei der Planung fürs Outdoor Working: Unbefugte dürfen nicht zu Zuschauern oder -hörern werden. Daher gilt es genauestens abzuwägen, welche Gespräche und Tätigkeiten vertraulich sind und lieber in die dafür geeigneten Innenräume verlegt werden sollten. Auch die Datensicherheit muss draußen genauso wie drinnen gewährleistet sein. Mit der partiellen Offenheit sind auch besondere Anforderungen an Einlasskontrollen und die Abgrenzung der internen Bereiche verbunden.

Sicherheitsmaßnahmen

Abgesehen davon sollten die Rahmenbedingungen für die Bepflanzung stimmen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, findet Eike Becker vom Berliner Büro Eike Becker Architekten, der wie andere seiner Profession mit Landschaftsarchitekten und Gartenbaubetrieben zusammenarbeitet. Als Beispiel nennt er die Statik für die Aufbauten, die eine mindestens 1 m hohe Bodenschicht tragen müssen, damit Sträucher und Pflanzen sich verwurzeln und wachsen können. „Dafür ist differenziertes technisches Wissen nötig.“ Diese Kenntnis schließe die Auswahl der für den Standort geeigneten Pflanzen ebenso ein wie die Bewässerung und dauerhafte Pflege. „Sonst sehen die Gewächse schnell unansehnlich aus, was die Aufenthaltsqualität schmälert.“

Nichtsdestotrotz gibt es einige Vorzeigeprojekte für das Outdoor Working. Teilweise sind das spektakuläre Außenzonen, man denke etwa an Unternehmenszentralen von Hightech-Giganten im sonnenverwöhnten Kalifornien oder Florida.

Andernorts befinden sich die Grünbereiche drinnen, etwa Bauten von Amazon im nördlicher gelegenen US-Bundesstaat Washington. Dort landeten Unternehmenschef Jeff Bezos und das Architekturbüro NBBJ mit den „Seattle Spheres“ einen Coup.

Inmitten der grünen „Seattle Spheres“ von Amazon, die vom Architekturbüro NBBJ gestaltet wurden, finden Mitarbeiter einladende Kommunikationsorte. Foto: Bruce Damonte/NBBJ

Die kugelförmigen Gewächshäuser aus fünfeckigen Stahl-Glas-Elementen entstanden als Ergebnis eines Gedankenprozesses über den Charakter von Arbeitsplätzen und ihre Ausweitung nach draußen. Inmitten des Amazon-Campus im Stadtzentrum, umgeben von Hochhäusern, bieten die drei Spheres mehr als 40 000 Nebelwaldpflanzen aus über 30 Ländern eine Heimat. Ein Großteil der Fläche ist den Amazon-Mitarbeitern vorbehalten – doch die öffentlichen Bereiche gerieten zur Touristenattraktion.

Natürlicher Bewegungsraum

Solche Projekte des Outdoor Working tragen zum ökologischen Image der Konzerne bei. Aber sie kommen zuallererst den Beschäftigten zugute. Und sie etablieren sich immer mehr als Status quo, meint Raphael Gielgen: „Das Zusammenspiel von Innen- und Außenraum wird in weniger als fünf Jahren ein neuer Standard sein, nicht nur in Wohnbauten und Mixed-Used-Projekten, sondern auch in Büros und Hotels“, prognostiziert der Trendscout Future of Work von Vitra. „Das bedient unsere zentralen menschlichen Sehnsüchte und auch unseren natürlichen Bewegungsraum.“

Auch in Europa bieten immer mehr Firmen ihren Beschäftigten die Möglichkeit, einen Teil ihrer Aufgaben an der frischen (oder in Ballungsgebieten weniger frischen) Luft zu erledigen.

Dazu zählt der Neubau des Firmensitzes von RATP Habitat in Paris vom Architekturstudio Atelier du Atelier du Pont Die beiden Inhaber, Anne-Cécile Comar und Philippe Croisier, verbanden den Innen- mit dem Außenraum. Beide dienen als Arbeitsort. Drei Bürogeschosse öffnen sich zu nach Süden ausgerichteten Terrassen, die durch Zurückspringen des Gebäudevolumens in jedem Stockwerk entstehen.

Terrassenarbeitsplätze von Atelier du Pont für RATP Habitat in Paris. Foto: Takuji Shimmura

Zwei voll verglaste Gewächshäuser stehen für Besprechungen, Brainstormings oder zum konzentrierten Arbeiten bereit. Die Terrassen eignen sich auch für sportliche Aktivitäten wie Yoga oder Tischtennis. Um von einer zur anderen Ebene zu gelangen, müssen die Mitarbeiter nicht ins Innere zurückkehren, sondern können die breiten Außentreppen nutzen.

Ökologische Kriterien

Ein Flanierweg durch üppige Blumenbeete und Gemüsegärten stellt einen engen Bezug zur Natur her. Diesen Aspekt betonen Comar und Croisier in ihrer Antwort auf die Frage nach den zwei wichtigsten Sätzen, um ihr Projekt zu beschreiben: „Sich zur Natur öffnen und in einer relativ wohnlichen Umgebung arbeiten.“ 

Damit sprechen die Pariser Architekten einen wesentlichen Punkt an, der immer mehr ins Bewusstsein von Planern und Investoren rückt. Gerade die zweite Gruppe legt mit Blick auf die Vermietbarkeit ihrer Objekte größeren Wert auf ökologische Kriterien, berichtet Dr. Anna Braune. Die Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB) in Stuttgart sagt: „Die Investoren im Bürosektor wollen den Menschen im Sinne von New Work eine qualitätvolle Umgebung bieten, besonders, um junge Talente zu gewinnen.“

Recruiting-Faktor

Davon ist auch Michael Stoz überzeugt: „Beim Recruiting spielt die räumliche Attraktivität eine starke Rolle. Wer das Arbeiten an der frischen Luft ermöglicht, das ist gerade für Raucher hilfreich, will als moderner Unternehmer wahrgenommen werden, der althergebrachte Grenzen auflöst.“ Ihm pflichtet der Architekt Antonino Vultaggio bei. „Zum agilen Arbeiten gehören nicht allein die Möglichkeiten durch die Digitalisierung, sondern auch, dass Mitarbeitern dadurch vielfältige Außenräume zum Arbeiten zur Verfügung stehen“, betont der Gesellschafter und Senior Partner bei HPP Architekten in Düsseldorf.

Dass natürliche Komponenten an Bedeutung gewinnen, lässt sich im Kriterienkatalog für die Punktevergabe im Rahmen des Gebäude-Zertifizierungsprozesses der DGNB wiederfinden. Seit der ersten Version im Jahr 2008 sind ökologische Kriterien essenzieller geworden und damit der wichtigste Bestandteil der Nachhaltigkeitsbewertung. 2018 habe die Gesellschaft ein neues Kriterium für die „Biodiversität am Standort“ in die Gruppe der ökologischen Qualität mit aufgenommen, erklärt Anna Braune und stellt fest: „Das ist der absolute Renner bei vielen Bauherren.“

CO2-Fußabdruck von Bürobauten

Auch die Immobilienwirtschaft setzt neue Schwerpunkte, stellt Gielgen fest: Vermarktete diese ihre Bauten bisher vor allem als Sachwertanlagen, in denen zufällig Menschen leben oder arbeiten, so sei dieses Zeitalter vorbei. „Wer die Shortlist der Mipim-Awards der gleichnamigen Immobilienfachmesse in Cannes anschaut, der sieht, wohin die Reise geht: zu New Outdoors.“ Die Entwicklung erhält zusätzlichen Schub durch die schärfere Diskussion über den CO2-Fußabdruck, den Bauten und damit auch Bürobauten hinterlassen. Schließlich verursacht der Bausektor mehr als 40 % der gesamten Emissionen weltweit. Dass diese künftig schrumpfen, hängt nicht länger nur vom guten Willen der Bauherren ab. Vielmehr machen Kreditgeber und Aktionäre Druck, berichtet Architekt Becker aus seiner Baupraxis: „Banken fordern von den Immobilieninvestoren ökologisches Handeln, wenn diese ein Darlehen bekommen wollen.“

Die Geldgeber berufen sich dabei auf die in ihren Statuten verankerten sogenannten ESG-Kriterien. Beim Kürzel ESG steht „E“ für Environmental (Umwelt), „S“ für Social (Soziales) und „G“ für Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung). Zu den ökologischen Parametern gehören vor allen Dingen eine Klimaschutzstrategie, schonendes Ressourcenmanagement und der Einsatz erneuerbarer Energien. Das schließt das Verringern von Luft- und Abwasseremissionen ein.

Die Umsetzung der Anforderungen muss für Bauherren keine Minusinvestition sein, meint Vultaggio. Er ist der Ansicht, dass Wohnungserwerber bereit sind, höhere Kaufpreise für umweltgerechte Gebäude, die aus nachhaltigen Materialien bestehen und Bepflanzungen zum Beispiel in Form von begrünten Dächern aufweisen, zu zahlen. „Das lässt sich auf Büronutzer übertragen.“

Ökonomischer Mehrwert

Dabei darf man auch nicht außer Acht lassen, dass durch die Flora nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein ökonomischer Mehrwert entsteht. Bäume, Sträucher, Fassaden- und Dachbegrünungen tragen dazu bei, das Aufheizen der Gebäude im Sommer zu verringern. Das senkt den Energieverbrauch zur Kühlung.

In Summe scheinen die Pluspunkte des Outdoor Working zu überwiegen, wenn Büroimmobilienbesitzer und -mieter auf mehr Grün setzen und das Arbeiten unter freiem Himmel ermöglichen.

Dennoch ist die Akzeptanz und Umsetzung in Deutschland noch verhalten. Das bestätigt der HPP-Architekt: „Außenräume von Bürogebäuden als Arbeitsorte sind zwar in aller Munde und bei Mitarbeitern gefragt, aber wir haben bisher nur wenige unserer dahingehenden Konzepte umsetzen können.“

Skepsis gegenüber dem Outdoor Working äußert auch Michael Stoz: „Wenn mehr Außenbereiche auf wenig versiegelten Flächen entstehen würden und damit weniger konventionelle Arbeitsplätze auf vollversiegelten Flächen, wäre das ein effektiver Beitrag zur Klimaverbesserung. Allerdings sollte man die Menge und Wirksamkeit dieser Flächen nicht überschätzen. Sie bewegen sich eher im Promillebereich.“ Das Arbeiten auf Terrassen und Balkonen von Bürogebäuden ist hierzulande also noch ein zartes Pflänzchen – aber mit deutlichem Wachstumspotenzial. Denn an einer wesentlichen Komponente kommt man nicht vorbei, sagt nicht nur Eike Becker: „Wir Menschen sind eher verwandt mit anderen Lebewesen als mit Robotern.“

Zum Artikel über den Neubau des Firmensitzes von RATP Habitat 

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