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Sebastian Waibel, Gumpo

Einfach ist nicht einfach
Sebastian Waibel, Gumpo

Firmen im Artikel
Wie Sebastian Waibel die Traditionsfirma Gumpo in eine neue Zeit führt. Ein Lehrstück über gute Zusammenarbeit, lokale Produktion sowie Kontinuität und Brüche im Zeitalter des Internets.

Autor Oliver Herwig

Die Orgatec 2018 markierte so etwas wie einen Wendepunkt. Plötzlich fügte sich alles zu einem Ganzen. Der Messestand, die Möbel, der Aufwand, der in den vorangegangenen anderthalb Jahren um die neue Kollektion von Gumpo betrieben worden war. Da stand sie nun, umgeben von weißen Wänden, taghell ausgeleuchtet. Und fand viel Beachtung bei Architekten und Designliebhabern. ‚Normcore‘, eine „neue Generation Möbel“, so lautete der Werbeslogan.

Sebastian Waibel
Aufbruch in neue Welten: Messestand auf der Orgatec 2018. Foto: Gerhardt Kellermann

Am Gumpo-Stand stand ein ganz anderes Publikum als sonst: jünger, hipper, bunter. „Es kamen Leute mit einer Ananas auf dem Kopf“, erinnert sich ein Vertriebsmitarbeiter, halb verwundert, halb entzückt. War das nun ein Hut oder eine Rastafari-Frisur? Einerlei. ‚Normcore‘ lieferte, was es liefern sollte: Aufmerksamkeit und einen neuen Start für die Traditionsmarke, die in den letzten Jahren aus dem Rampenlicht gerückt war.

Eine Antwort auf viele Fragen

Was machte ‚Normcore‘, entworfen vom Münchner Designbüro Relvão Kellermann, anders? „In einer Welt der Übertreibungen ist das ganz Normale plötzlich das Besondere“, erläutert Sebastian Waibel. Der 1985 in München geborene Betriebswirt teilt sich seit drei Jahren die Geschäftsführung mit seinem Vater Walter Waibel. Der Senior, 72, drahtig und mit festem Händedruck, lässt es sich nicht nehmen, jeden Tag in die Firma zu kommen. Er hat sie schließlich vor fünfzig Jahren aufgebaut und seitdem begleitet. 1969 formte er aus der Traditionsschreinerei Karl Gumpoltsberger am Gobener Weg und dem väterlichen Betrieb in Schwäbisch Gmünd mit Gumpo ein Unternehmen, das als Hersteller hochwertiger Büromöbel bekannt wurde.

Sebastian Waibel
Dreamteam für den Neustart: Ana Relvão, Sebastian Waibel, Gerhardt Kellermann. Foto: Tanja Kernweiss

‚Normcore‘, das sind im Augenblick acht leichte Möbel aus Platten, die in der eigenen Fabrik in Dingolfing gefertigt werden: ein motorisch höhenverstellbarer Arbeitstisch, ein klapp- und rollbarer Stehtisch, ein modularer Konferenztisch, ein Trolley, eine Bildschirmwand, ein Trennwandsystem, ein Besprechungstisch und ein Flipchart. Sie sind leicht und flexibel und nehmen sich nicht so wichtig. Damit „passen sie einfach in unsere Zeit“, meint Waibel. Gerhardt Kellermann nickt. „Sie dominieren keinen Ort. Sie sind lässig, reduziert …“ Ein Produkt sei niemals nur eine ästhetische Lösung, ergänzt Ana Relvão, sondern eine Antwort auf viele Fragen.

Orgatec
Unter der Bezeichnung ‚Normcore‘ startet gumpo eine neue Kollektion, die „lässig und reduziert ist und einfach in unsere Zeit passt“. Das Tischprogramm ist in Zusammenarbeit mit dem Münchener Designbüro Relvãokellermann entwickelt worden. Foto: gumpo

Eine davon schwirrt gerade durch den Raum: Wie hat das eigentlich angefangen, die Zusammenarbeit von Gumpo und Relvãokellermann? Mit einer Mail, einer freundlichen Anfrage, ob sich die beiden Gestalter, die zwischen Portugal, München und Korea ein ziemliches Nomadenleben führen, sich vorstellen könnten, zusammen mit einem Büromöbelhersteller im niederbayerischen Dingolfing eine zeitgemäße Serie aufzulegen. Sie konnten.

Gutes Teamwork

Von Anfang an stimmte die Chemie. Vor allem aber verstanden die Designer, dass Gumpo für Korpusmöbel und Spanplatten steht. Daher entwarfen sie konsequent für und um diesen Werkstoff. „Da ist unsere Wertschöpfung hoch“, sagt Betriebswirt Waibel. „Wir sind schließlich Plattenverarbeiter.“ Die Niederbayern hatten schon immer ein Faible für Gestaltung.

1983 erhielt das Schreibtischprogramm ‚Idea‘ den Bundespreis Gute Form. Besonders Arno Votteler prägte seit Mitte der Neunzigerjahre das Erscheinungsbild der Firma: 1997 kam das Schreibtischsystem ‚Conto‘ auf den Markt, 2000 das Schranksystem ‚Archiva‘ sowie das Raum-in-Raum-System ‚Raum 21‘ und 2006 ‚Pinatec‘, das Schreibtischsystem mit patentierter Klappmechanik.

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Foto: Gumpo

Wer nach Dingolfing fährt, erkennt, dass es so etwas wie Provinz nicht mehr gibt. Die Stadt steht seit 1967 im Zentrum der internationalen Automobilindustrie. BMW hat hier seine größte Fabrik in Europa aufgebaut, augenblicklich arbeiten rund 18 000 Beschäftigte und 800 Auszubildende in einem gewaltigen Netz aus Hallen und Produktionsanlagen. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, das Anspruchsdenken hoch. Im Vergleich zu BMW ist Gumpo nicht einmal ein Zwerg.

Der Hauptsitz gleicht einem Fuchsbau

Der Mitarbeiter beschäftigt 65 Mitarbeiter an zwei Standorten, dem Stammwerk in Dingolfing und dem Fertigungswerk in Teisbach, beide je rund 7 000 m² groß. Der Hauptsitz in Dingolfing gleicht einem Fuchsbau, der seit den Dreißigerjahren wächst und wächst: Auch hier stehen Hallen, Anbauten, Ausbauten und mehr Lager neben einem Showroom und dem Verwaltungsbau.

Der ganze Stolz ist ein vollautomatisches Hochregallager. 1979 war das noch ziemlich einzigartig in der deutschen Büromöbelindustrie. Aber Produktionsstraßen wie bei BMW gibt es nicht im Teisbacher Fertigungswerk. Dafür eine Reihe hochspezialisierter Arbeitsinseln. Da steht die „Schelling“, eine Plattenschneidemaschine groß wie ein Lieferwagen, die Megaplatten in handlichere Stücke zerteilt. In der Nachbarhalle verkleidet eine Maschine alle Spanplatten mit Furnier.

Vier Durchgänge, dann sind vier Seiten durch. Gegenüber schießt ein Automat Dübel in den Werkstoff wie mit einer Pistole. Hier gibt es sogar eine eigene Lackiererei und Arbeitsinseln, die Theken und andere Spezialaufträge zusammenbauen und überprüfen, bevor sie rausgehen. Sie seien eben „breit aufgestellt“, sagt Sebastian Waibel, hochflexibel und daher auch für die Stückzahl 1 vorbereitet.

Relvao Kellermann
Foto: Gumpo

Zugleich bietet die Firma eine lange Nachliefergarantie auf ihre Serien. Bis zu zehn Jahre. Es kommen sogar Anfragen zu Programmen, die 1997 auf den Markt gingen. Das sei Service, fügt er hinzu. Rein wirtschaftlich müsste man das nicht machen, es werde ja immer teurer, Teile vorzuhalten.

Die Prototypenwerkstatt ist zugleich das Fotostudio. Container stehen da und halb ausgepackte Möbel von der Orgatec. Vorgestern waren die Designer da und fotografierten die Kollektion. Das ging bis dreiviertel vier am Morgen. Dann packten sie zusammen, stiegen ins Auto und fuhren zurück nach München. Er sei ja auch ein Nachtmensch, sinniert Waibel, aber das Leben von Ana und Gerry sei schon extrem.

Neue Designsprache inklusive

Zwischen Paketen steht der Steh-Arbeitstisch ‚Steno‘. Waibel streicht über die runde Kabelwanne: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer es ist, eine ganz einfache halbrunde Kabelwanne auf dem Markt zu finden. Plötzlich merkt man, das Einfachste ist zugleich das Schwerste.“ Daneben steht der neue Flipchart. Und der bewegliche Cocktail-Tisch ‚Temp‘. Eine Handbewegung, und schon klappt die runde Tischplatte ab und man kann den Tisch wegrollen.

Die Verpackung darf keinen Platz einnehmen. Jeder Flipchart müsse zum Flatpack werden, sagt Waibel. Schlanke Verpackung sei ein wichtiges Thema beim E-Commerce. Einfacher Versand ohne Spezialausrüstung und besonderem Zustelldienst. Würde sich ein eigener E-Commerce-Shop rechnen? Waibel winkt ab. Die Zukunft sei das Projektgeschäft. Schnell mal einen Onlineshop anlegen, reiche eben nicht. Und für das hochwertige Projektgeschäft brauche es neben Qualität und Flexibilität die richtige Designkompetenz. Die baue man sich gerade wieder auf. Dem jungen Chef geht es nicht um einen Bruch, er möchte die Marke fortentwickeln und verjüngen. Daher integriert er das neue Programm statt eine eigene Marke als Start-up zu gründen. Das braucht einen langen Atem.

Sebastian Waibel
Immer in Bewegung: Sebastian Waibel auf Faltrad in Werkshalle.
Foto: Werner Berthold

Was aber steckt hinter dem neuen Design? Nehmen wir „Saia“, portugiesisch für Rock, ein Tisch für Besprechungen im Stehen. Der Media Table ist vor allem praktisch, schnörkellos und klar. Er besteht aus zwei Teilen: einer ovalen Tischplatte und einer konischen Basis, die von Stoff umhüllt wird. Darunter versteckt sich das Innenleben. Kabel, Zuleitungen und mehr Technik tauchen erst auf, wenn man den Stoff anfasst und an einem Kreppband nach oben lüpft. „Stoffkompetenz im Haus haben wir nicht“, erläutert Sebastian Waibel. Daher ist die Zusammenarbeit mit externen Polsterern und Sattlern wichtig. Dort gilt: Skalieren nach oben ist kein Problem, sondern eher nach unten.

Pragmatismus verbindet

Geringe Stückzahlen zu vertretbaren Kosten, das ist die Herausforderung. Zu ‚Saia‘ gehört ein schwarzes Metalltablett, das in einer Mittelrille geführt wird. Ob es das auch in einer anderen Farbe gebe? Waibel schüttelt den Kopf. „Nein, augenblicklich nicht, die Designer wollten es selbst in weiß nicht.“ Und wenn es eine konkrete Anfrage gäbe? Waibel grinst: „Dann müssten wir eben darüber sprechen.“ Dieser Pragmatismus verbindet das Trio, das das Traditionsunternehmen Gumpo gerade verjüngt.

Sebastian Waibel
Kecker Griff unter den Rock: Besprechungstisch ‚Saia‘ (Portugiesisch=Rock). Foto: Gerhardt Kellermann

Sie arbeiten in einer Art Pingpong. Die Designer schicken 3D-Modelle, daraus entstehen Prototypen, an denen wiederum Feinheiten gelöst werden und Details. „Sie sind einfach super easy und immer offen für Vorschläge und Weiterentwicklungen“, freut sich Waibel. Das gute Gefühl funktioniert auf beiden Seiten. „Er ist sehr schnell darin, die Stärken der Menschen zu verstehen und multidisziplinäre Teams zu bilden“, sagt Ana Relvāo. „Vor allem aber ist er ein guter Zuhörer.“

Inzwischen arbeiten die Designer als Artdirektoren. Für ‚Archivo‘ etwa legten RelvāoKellermann eine neue Beschichtung fest, eine aus Aluminium. Gerade, als wir beim Herausgehen sind, fällt der Blick auf Schließfächer. Britta steht da auf einem, Peter auf einem anderen. Wertfachschränke mit RFID-Intelligenz seien noch völlig unterschätzt als Designaufgabe, erklärt Waibel. Dabei bräuchte sie jeder, in Zeiten der nonterritorialen Arbeitsplätze.

Wie geht es weiter Sebastian Waibel?

Als Sebastian Waibel 2010 in die väterliche Firma kam, wollte er noch alles digitalisieren und umstellen. Inzwischen ist er etwas, sagen wir lässiger geworden. Er holt die Teams dort ab, wo sie stehen und verändert Schritt für Schritt. Trotzdem geht nichts mehr ohne Internet und digitale Daten. Also machte er Planungsdaten zur Chefsache und sorgte dafür, dass diese im Standard OFML (Office Furniture Modelling Language) für alle Möbel in einer Online-Datenbank hinterlegt werden. Kunden können damit selbstständig Planungen vornehmen und Partner aus der Planung gleich den Auftrag oder die Kalkulation ausdrucken. Das ist Service, den sich der Mittelständler etwas kosten lässt. Qualität reicht nicht mehr, es müssen Service und Design hinzukommen.

Sebastian Waibel
Sebastian Waibel führt die Traditionsfirma gumpo in eine neue Zeit. Foto: Werner Berthold

Was treibt Sebastian Waibel noch an? Auch wenn er oft in München ist, setzt er sich für seine Heimat ein. Als Vorstand und Schatzmeister der Kulturinitiative Dingolfing e. V. möchte er der Stadt, die durch BMW im Geld schwimmt, etwas Positives mitgeben. Wer durch Dingolfing fährt, von einem Kreisverkehr zum nächsten, von einem Shop zum nächsten, sieht immer wieder die Montagehallen von BMW aufragen. Ein Maßstabssprung auf dem flachen Land. Waibel fände es schön, wenn die Stadt mehr für Gestaltung ausgibt und für Kultur. Aber das braucht Zeit in einem Schlaraffenland, in dem die Automobilbranche die Löhne verdorben hat und das Preisniveau für Immobilien.

Herausforderung Mitarbeiter

Ohne qualifizierte Mitarbeiter kann auch seine Firma nicht überleben. Diese zu finden und zu halten, ist eine der Aufgaben eines Geschäftsführers. Gumpo ermöglicht andere Karrieren und andere Arbeitsmodelle. Ein Elektriker etwa habe noch einen eigenen Hausmeisterdienst, erzählt Waibel, ein anderer sei Nebenerwerbslandwirt. Dazu kommen Menschen, die gerne um sieben Uhr anfangen und noch lieber um drei nach Hause gehen, weil es da noch ein anderes Leben gibt oder eine Familie. Das klingt nach den Mühen der Ebene.

Wie also geht es weiter? Die Euphorie der Messe, der absolute Hype des letzten Jahres, ist zumal entschwunden. Die Realität und der Alltag haben Einzug gehalten. „Jede Messe ist Team-Building“, sagt Waibel, selbst anfängliche Skeptiker sind inzwischen begeistert.

Der Vertrieb stehe geschlossen hinter „Normcore“. Nun muss es sich drehen, auch wenn es sich nur um Nischenprodukte handelt, sagt Waibel. Vor allem muss die Kollektion nun in den Markt. Augenblicklich werden die Preislisten geschrieben. Und die nächste Messe? „Davor habe ich eher Respekt“, sagt Waibel, „der Wow-Effekt ist vorbei, jetzt müssen wir beweisen, dass wir es nochmals wuppen.“

Weitere Macher, die die Designwelt bereichern

Lesen Sie auch das Interview mit dem Büro Relvão Kellermann

Relvao Kellermann

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