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Christoph Böninger

Bei Auerberg ist Handarbeit Chefsache
Christoph Böninger

Vom Designer zum Verleger, vom Manager zum Bildungsaktivisten. Die erstaunliche Mehrfachkarriere Christoph Böningers. Mit der Autorenmarke Auerberg probt das Multitalent ein Design jenseits des Marketings. Reduktion lautet das Schlüsselwort.

Autor Oliver Herwig

München, Ecke Emil-Riedelstraße/Riedelstraße, der neue Showroom von Auerberg. In der Tür steht ein Mann, der den Aufstand gegen das allgegenwärtige Marketing probt: Design-Verleger Christoph Böninger, groß gewachsen, in Jeans, Hemd und Pullover, führt in den kleinen Laden.

Auf dem groben Holztisch Flechtsteine aus Indien, Fleisch- und Scheffelbretter und Drahtkörbe, im Fenster traditionelle Heugabeln mit Stahlfuß, Hocker und Stühle. An der Wand drei knallrote Plakate. Radikal Subjektiv steht auf dem rechten, das aus gerade vier Linien besteht. Eine rote Spirale schießt direkt durchs Auge. Die krachende Grafik von Thomas und Martin Poschauko ist das visuelle Herz der Marke aus dem Oberland. Sie gestalten alles, vom Flyer bis zum Auftritt im Web. Die Dinge wiederum werden in Bayern hergestellt, das Holz stammt aus zertifizierten, nachhaltig wirtschaftenden Forstbetrieben.

Auerberg steht für spartanischgewitzte Möbel aus Eiche, Esche und Buche. Möbel für die Ewigkeit. Was für eine Wendung, denn schließlich hatte Böninger 1982 eine der ersten Laptop-Studien als Diplom eingereicht und koordinierte ab 2000 als Geschäftsführer der Firma designaffairs rund 100 Mitarbeiter in Deutschland, USA und China. Damals ging es um Mobiltelefone für Siemens und Lösungen für Audi, Opel und Saab. Vorbei. Inzwischen arbeitet Böninger in München und auf seinem Hof in Auerberg bei Bad Aibling, der „totale Erdung“ für den Globetrotter bedeutet. Die Fahrzeit bis zum Münchner Büro: 45 Minuten. Entfernung 65 Kilometer. „Wir sind in der hintersten Nische alle Nischenanbieter“, scherzt Böninger, während er einen Espresso aus der Maschine lässt.

Erfolg durch Reduktion

Ganz nebenbei erklärt er das Geheimnis seines Labels, das etablierte Gestalter ebenso aufnimmt wie aufstrebende Talente: „Keine Briefings. Keine Werkzeugkosten. Kein Marketing. Kein Handel. Keine Gemeinkosten.“ Erfolg durch Reduktion. So kommt es, dass der Chef selbst Holzmöbel einölt und für den Versand vorbereitet. Reduktion hat aber auch ihre Tücken. Als er in der Lieferantendatenbank von Manufaktum (vier Produkte sind dort gelistet) nach der Zahl seiner Mitarbeiter befragt wurde und „null“ eingab, stürzte das System ab. Null war einfach nicht vorgesehen in der Denke des Großhändlers. Also trug Böninger „drei“ ein. Er hätte auch „vier“ eintragen können. Denn mindestens vier Leben hat der Verleger inzwischen geführt, als Designer, Design-Manager, Manager und Wissensvermittler. Doch dazu später.

Seine Ein-Mann-Firma hat 37 Produkte im Programm und arbeitet profitabel. Das war nicht immer so.

20 Artikel wurden in den letzten acht Jahren aufgegeben. Viele Namen, mit denen Böninger anfing, sind weg, andere dafür hielten sich. „Der größte Flop waren meine Vasenpaare, ein pro-bono Projekt der notleidenden Glasstadt Zwiesel und der notleidenden Porzellan-Stadt Selb“, erinnert sich Böninger.

Die größten Erfolge hingegen stehen im Showroom: Der Tritthocker ‚Aeki‘ von Gerhardt Kellermann, die ‚Stumme Leiter‘ von ihm selbst und die ‚Wirtshaus-Stühle‘ von Fritz Frenkler, eine Art kritische Nachzüchtung und Weiterentwicklung des klassischen Sitzmöbels. Frenkler ist Weggefährte, Kollege, Freund. Der Professor für Produktdesign an der TU München hat zwei weitere Stücke für das Label entworfen, die nicht mehr im Programm sind: eine elegante, wachsende Kistenserie sowie eine Bento Box. Auerberg nennt er einen „Hafen für Ideen neben den professionellen Aufträgen. Das sind Dinge, die man nicht anbieten will wie ein Hausierer.“

Auf zu neuen Wegen

Was also steckt hinter dem Geheimnis von Auerberg und seiner „radikalen Subjektivität“? Auf der Website antwortet die Firma mit einer Gegenfrage: „Wo gibt es Produkte, die jenseits industrieller Normen, jenseits von Marketinglogiken oder Moden ihre Berechtigung haben?“ Böninger will „gewohnten Wege verlassen und überraschen: In Form, Funktion und Material.“ Zunächst einmal brauchte es eine gehörige Portion Idealismus und Wagemut, das Label 2000 zu gründen. Als Auerberg nach den ersten Erfolgen und viel positiver Resonanz in der Fachpresse nicht so richtig abheben wollte, setzte er mutig alles auf eine Karte. „Entweder krachen wir voll auf den Boden – oder wir fliegen“, war seine Devise, als er 2011 die „Poschaukos“ anmailte.

Er hatte ein Portrait von Thomas und Martin Poschauko in ‚brandeins‘ gelesen und wollte mit den kreativen Feuerköpfen des Buches ‚Nea Machina‘ zusammenarbeiten, die keine drei Kilometer von ihm entfernt ihr Atelier hatten. „Scheiße, warum haben wir uns noch nicht kennengelernt?“, stand in der knappen Botschaft. „Wir trafen uns und es stimmte sofort“, erinnert sich Thomas Poschauko. „Seit dieser Zeit arbeiten wir als Designer für Christophs Label und sind gute Freunde geworden.“

Und dann beschreibt er die Stärken des Design-Verlegers, eigentlich die „Verbindung zweier Stärken: Einerseits ist er ein passionierter Gestalter mit großem Interesse für Design. Eine Passion, die er mit fast kindlicher Begeisterung angeht. Gleichzeitig ist er ein top organisierter Projektmanager, der Dinge konsequent in die Tat umsetzt. Wir empfanden diese Kombination aus fasziniertem Gestalter und realistisch planendem Manager immer als sehr besonderes und fruchtbar.“ Die Produkte sind entsprechend kantig, manchmal fast verbissen puristisch, dann wieder verspielter. Immer aber geht es um Dinge mit Seele.

Die Vorstellung, Design jenseits aller Zwänge des Marketings zu entwickeln und direkt auf den Markt zu bringen, war für Böninger so etwas wie ein ultimativer Befreiungsschlag von Mechanismen, denen er Jahrzehnte ausgesetzt war. Man muss eben auch die Perspektive des Nutzers einnehmen, nicht primär den unternehmerischen Blick des Kunden folgen. „Man braucht ein klares ethisches Gerüst, um gegen das Marketing zu argumentieren.“

2005 gab er das programmatische Buch ‚Form:Ethik‘ heraus. Böninger, Jahrgang 1957, hat freilich ganz anderes erlebt. Der Bayer liebt Modelle und Skizzen. Und ein gutes Stück Handwerk, das alle Sinne berührt.

Er studierte Industrial Design in Los Angeles und München, unter anderem bei Norbert Schlagheck, trat ins Büro Schlagheck & Schultes ein und wechselte mit Herbert Schultes wiederum zu Siemens, als dieser 1985 Chefdesigner wurde. In zahlreichen Leitungspositionen im Designmanagement wuchs die Erkenntnis, zu oft gehe es um Risikovermeidung, statt um Chancenoptimierung: „Wenn das Produkt floppt, hat die Zielgruppe versagt“, meint er süffisant.

Ein Neuanfang

Als die Siemens-Designabteilung 1997 schließlich ausgegliedert und 1999 in die designafairs GmbH umgewandelt wurde, übernahm Böninger 2003 für vier Jahre selbst die Geschäftsführung. 2007 kam es zum endgültigen Bruch. Böninger verließ die nach einem Management-Buyout inzwischen selbstständige Firma.

Nach der Tätigkeit als Designer und Designmanager legte er den Hebel um und arbeitete in der Geschäftsführung einer österreichischen Holding.

Gestaltung aber ließ ihn nie los. Dafür hatte er selbst zu viel entwickelt – filigrane Tische für Classicon oder Steckdosen für Berker. Als seine Bücherkarre, Teil der Edition des SZ-Magazins, Weihnachten 2010 sang- und klanglos eingestellt wurde, platzte ihm der Kragen. Etwas Neues musste her, ein echter Design-Autoren-Verlag. Mit einem ersten Schwung großer Namen trat er an, darunter Tobias Grau, Alfredo Häberli, James Irvine, Herbert H. Schultes, Emanuela und Daniele Dalla Pellegrina.

Im Zentrum stand der hochwertige, der langlebige Entwurf. Radikal einfach. Radikal lokal gefertigt und radikal global gedacht. Inzwischen sind junge Gestalter nachgerückt. Sie schätzen offenbar die Arbeit mit Christoph Böninger. „Es fühlt sich an, als ob man mit einem Freund zusammenarbeitet“, sagt Ana Relvāo von RelvāoKellermann, „Er sorgt einfach dafür, dass es allen Freude macht.“ Offenbar muss man sich um Auerberg keine Sorgen machen, diesen großartigen Hafen für Ideen.

„Design ist meine mentale Reha“, sagt Böninger, der inzwischen einen direkten Draht zu seiner Zielgruppe hält über den Online-Versand, und jede Entscheidung für oder gegen ein Produkt direkt spürt. Auerberg ist seine Leidenschaft. Wer hier aufgenommen werden will, sollte sich auf ein Ping-pong einlassen. Böninger weiß, dass Gestaltung nicht mit der ersten Skizze endet, im Gegenteil. „Nach dem ersten Entwurf beginnt das Eigentliche“, sagt er und schmunzelt über den Produkt-Prozess: „Da muss ein Designer die notwendige Souveränität haben.“

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