Es veranschaulicht die Wurzeln und die Zukunft des Unternehmens: das innenarchitektonische Konzept der neuen Firmenzentrale Noventi Health SE in München von Inpuls.
Ohne das Team geht bei Inpuls gar nichts. Das findet man leicht heraus – auf LinkedIn. Dort stellt das Büro nicht nur seine realisierten Interior-Projekte vor, sondern auch das gesamte Team, das mittlerweile aus 12 Mitarbeitenden. Durch die Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen, die über Architektur und Innenarchitektur hinaus gehen und zudem Grafik, Fotografie und handwerkliche Ausbildungen abbilden, schafft es Inpuls jedes Projekt individuell und gesamtheitlich umzusetzen. Réka Visnyei, Inhaberin des Büros, und ihre Kollegin Sabrina Tafelmeier sprechen über das Projekt Noventi und dessen Herausforderungen sowie Herangehensweisen.
Leitsatz als gestalterische Grundlage
„Unsere Arbeit beginnt immer mit einer ausführlichen Bedarfsanalyse und Beratung. So auch bei Noventi Health SE, einer zu 100 % apothekeneigenen Unternehmensgruppe, deren neuen Hauptsitz wir in München geplant haben“, erklärt Réka Visnyei. Die Innenarchitektin hatte 2014 das Büro Inpuls gegründet. „Es gilt in dieser sogenannten Phase 0 möglichst tief in die Unternehmenskultur und Arbeitsweise einzutauchen. Wir bearbeiten in einem Workshop-Format fünf spezifische Themenblöcke und stellen Fragen dazu, um unseren Kunden optimal zu verstehen: Wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr als Unternehmen hin?“, begründet Visnyei das Vorgehen.
Sabrina Tafelmeier, verantwortlich für die Designleitung bei Inpuls und federführend am Projekt Noventi beteiligt, erklärt: „Die gestalterische Grundlage unserer Entwürfe bildet stets ein Leitsatz, den wir gemeinsam mit dem Kunden erarbeiten. Mit diesem roten Faden lässt sich jede planerische Entscheidung begründen und ermöglicht eine Gestaltung, die auf einem starken inhaltlichen Konzept basiert. Das ist für jeden einzelnen Mitarbeitenden nachvollziehbar. Bei Noventi haben wir es uns zur Aufgabe gemacht zwei Welten miteinander zu vereinen ohne deren Alleinstellungsmerkmal zu verlieren. ‚Tech with roots‘ symbolisiert den Übergang von der analogen zur digitalen Zeit des Unternehmens.“
Tech with roots
Auch das Apothekerwesen kommt langsam in der Digitalisierung an. Rezepte werden nicht nur auf Papier ausgestellt, sondern stehen auch digital zur Verfügung. Die mit dunklem Eichenholz kunstvoll ausgebauten Apotheken weichen einem neuen Typus: hell, freundlich, modern, teilweise auch bunt.
Das Spannungsfeld zweier Welten und deren räumlich bewusst gesetzte Symbiose dominieren das Entwurfskonzept. Die klassische Abwicklung von Rezepten und somit die Schnittstelle zwischen Apotheke und Weiterverarbeitung gilt als Kernaufgabe des Unternehmens. Roots steht hierbei für genau diese Wurzeln und wird in den Arbeitsbereichen gestalterisch visualisiert. Natürliche Materialien wie Holz und Stoffe aus Baumwolle dominieren in ihrer rohen Farbgebung die Umgebung der unterschiedlich großen Homebases. Dieser Bereich gilt den Mitarbeitenden. Sie werden als Motor des Unternehmens gesehen und sollen hier Wertschätzung erfahren.
Tradition und Fortschrittlichkeit
Der neue Hauptsitz verbindet Mitarbeitende von vier Standorten. Das Unternehmen will neue Wege gehen und dies auch sichtbar machen. Hier kommt das Team von Inpuls ins Spiel. Entstanden sind Arbeitsbereiche, die keine feste Zuteilung erhalten haben. „In Zukunft sollen Abteilungen, je nachdem ob sie wachsen oder sich verkleinern, flexibel Räume wählen können.“ Die gestalterische Aufgabe bewegte sich in einem Spannungsfeld aus Tradition und Fortschrittlichkeit. Sabrina Tafelmeier: „Wir beziehen bei der Gestaltung sowohl die Wurzeln des Unternehmens als auch dessen Zukunft ein.“
Drei-Scheiben-Prinzip
Inpuls entwickelt für die Arbeitszonen im neuen Headquarter ein Drei-Scheiben-Prinzip: Die erste Scheibe ist als umlaufender Mäander ausgebaut und verfügt über große Öffnungen zu den Homebases mit integrierten Nischen zum Sitzen und Arbeiten, so wie abteilungsübergreifendem Stauraum und Garderoben. Eine zweite Scheibe liegt versetzt zu den Öffnungen des Mäanders. Ihre braune Färbung gilt als Reminiszenz an alte Apothekergläser. Sie definiert Arbeitsinseln für vier Personen, die geschützter liegen, als die offenen Homebases. Die dritte Scheibe bildet eine klare Verglasung von Einzelbüros entlang der Fassade zum Innenhof. Diese können auch tageweise gemietet werden.
Die Aufteilung durchbricht die Flurbereiche und generiert weitere Kommunikationsmöglichkeiten. Sie fördern spontane Begegnungen auf der Fläche. Eine smarte Lösung, denn einerseits entstand ein fließender Grundriss, der alle Mitarbeitenden miteinander verbindet. Andererseits bietet die versetzte Stellung der Scheiben genug Rückzugsmöglichkeiten und unterschiedliche Abstufungen von räumlicher Intimität.
Zudem sollen die verschiedenen Scheiben zeigen, dass angestaubte Konventionen aufgebrochen werden. Dazu gehört auch, dass Hierarchien bröckeln. Selbst der Vorstand ist auf dem Stockwerk zu finden, wo alle zusammensitzen. Etwas separat, aber nicht komplett abgetrennt. Transparenz sei wichtig, laut Noventi. Das Vorleben und Aufbrechen von Konventionen, auch von den höheren Führungsebenen, wird vor allem im Coworking-Café gefördert. Hier wird nicht nur Mittag gegessen oder Kaffee getrunken. Bewusst inszenierte Arbeitssituationen sollen den großen offenen Bereich im Obergeschoss für alle zugänglich und den ganzen Tag nutzbar machen. So ist die Geschossfläche nicht allein der Führungsebene vorbehalten, sondern als Gemeinschaftsfläche für alle. Sie soll den Weg in eine moderne Arbeitshierarchie weisen.
Unkonventionelle Materialentwicklung
Jedes Geschoss verfügt über eine gebündelte Kommunikationszone, die den Mitarbeitenden zu längeren Laufwegen animieren und als abteilungsübergreifender Treffpunkt fungieren soll. Visuell taucht der Mitarbeitende in dieser kommunikativen Fläche in eine neue Welt ein, die Fortschritt und Digitalisierung verkörpert.
Keines der Materialien ist zufällig gewählt, sondern Ergebnis eines fein durchdachten Gestaltungsprozesses. „Für jedes Projekt suchen wir nach einem spezifischen Material, das es einzigartig werden lässt“, betont Réka Visnyei ihre Vorgehensweise. In diesem Fall ist es eine Zusammenarbeit mit einer Papierwerkstatt im Münchner Glockenbachviertel. Im gemeinsamen Prozess entstand ein Möbelwerkstoff aus ehemaligem Rezeptpapier. Wir haben das Papier geschreddert und zu einer neuen Oberfläche für Möbel weiterentwickelt. Diese unkonventionelle Materialentwicklung wird zum Merkmal aller wichtigen Schnittstellen zur Außenwelt: Empfangstresen mit Back Office sowie Tische und Schränke in den unterschiedlichen Räumen der Kommunikationszone. Das Rezeptpapier in neuer Interpretation lässt den Kunden unmittelbar in die Noventi-Welt eintauchen.“
Das rosane Glas bildet das Pendant zu den braunen Scheiben in der Arbeitszone. Die Idee war, eine transparente Fläche zu schaffen, die jedoch durch spannende Blickwinkel unterschiedliche Abstufungen an Privatsphäre verspricht. Durch verschiedene, farbige Vorhänge in den Räumen der Kommunikationszone lassen sich immer neue Farbüberlagerungen entdecken, was neue Denkanstöße und innovative Ideen geben soll.
Ein Turm für das Arbeiten der Zukunft
Wer am Gebäude vorbei läuft, kann den architektonisch ausgeprägten Noventi Turm kaum übersehen. Er baut in fünf übereinander liegenden Zonen auf dem Empfangsgeschoss auf. Inhaltlich wird dieser Bereich spezifischen Themengebieten zugewiesen. Transfer, Marke, Regernation, Innovation, Training, Kultur.
Als verbindendes Element von Kommunikationszone und Arbeitszone lehnt sich der Turm gestalterisch an beide Welten an. Im Empfangsbereich und Gemeinschaftsbereich im Obergeschoss kommen großflächige, changierende Fliesen als Wandoberfläche zum Einsatz und bilden die Spange des Turms. Die Oberfläche der Fliesen und die Verwendung von dichroitischem Glas, das auch als Farbeffektglas bekannt ist, erinnern an die Optik einer Computerplatine. Sie stehen symbolisch für die Tech-Welt. Je nach Betrachtungswinkel, Beleuchtung, Sonnenstand und Wolkenbild verändern sie ihre Farbe. Das Rezeptpapier dominiert die Transferzone. Kombiniert mit hellem Eichenholz und vielen natürlichen Pflanzen gilt die Symbiose der Welten ‚tech‘ und ‚roots‘ vollendet.
„Wir sind überzeugt davon, dass die Werte, die Vision und Charakterzüge eines Unternehmens durch ein starkes innenarchitektonisches Raumkonzept transportiert werden. Wir sind stolz, dass unser Konzept nun von Noventi und allen Mitarbeitenden gelebt werden kann“, sagt Réka Visnyei.
Fakten
Projekt: Firmenzentrale Noventi Health SE, www.noventi.de
Standort: Berg-am-Laim-Straße 105, 81673 München
Fertigstellung: Juni 2022
Innenarchitektur: Inpuls, Webseite des Büros
Produkte/Hersteller: Möbel von Zeitraum
Fotos: Schramm und Graf Fotografie, www.schramm-graf.com
Réka Visnyei
Nach ihrem Diplom (2001) an der FH Rosenheim arbeitete Réka Visnyei (Jg. 1975) freiberuflich und projektbezogen für diverse Büros. 2014 gründete sie das Innenarchitekturbüro Inpuls. Visnyeis Team umfasst zehn Mitarbeitende.
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