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Insa Schreiert über die digitale Transformation bei Otto

Senior Projektleiterin im Bereich Strategy & Brand bei der Otto GmbH im Interview
Insa Schreiert

Warum die Otto Group die digitale Transformation vorantreibt und wie das mit einem drastischen Kulturwandel im Hamburger Versandhandelskonzern einhergeht.

Interview: Gabriele Benitz

Die Otto Group und ihre Töchter stehen beim Versandhandel exemplarisch für die digitale Transformation im Onlinegeschäft. Was war der Auslöser dafür?

Eigentlich seit 25 Jahren das Internet mit seinen Möglichkeiten für das Online-Shopping. Aber ganz konkret bezogen auf die vergangenen fünf Jahre: Wir stellten fest, dass immer mehr unserer Kunden ihre Einkäufe online tätigten. Im Jahr 2018 waren das schon 97 Prozent. Also beschlossen wir, den zweimal im Jahr erscheinenden Hauptkatalog Ende 2018 einzustellen.

Welche technischen Veränderungen erforderte die Umstellung?

Ein Beispiel ist unser Shop „otto.de“. Vor der Umstellung auf den Online-Shop arbeiteten wir mit der Software eines Dienstleisters. Änderungen an der Software dauerten dadurch immer einige Tage. Deshalb entschieden wir uns dafür, alles auf eine neue Softwarebasis zu stellen und inhouse zu programmieren. Das war ein Monsterprojekt, wenn Sie bedenken, dass wir bei dem Switch gleichzeitig unsere alte Servergeneration durch eine neue ersetzten. Aber es hat sich gelohnt: Wir sind schneller geworden und können Änderungen umgehend programmieren.

Wie positionieren Sie sich?

Wir sind der einzige ehemalige Katalogversender, der den Sprung in die digitale Welt geschafft hat. Denken Sie zum Beispiel an unsere früheren deutschen Wettbewerber Neckermann und Quelle. Auf unseren Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir beobachten die Markt- und die technologischen Entwicklungen genau und probieren neue Tools und Geschäftsmodelle aus.

Ein Beispiel für die digitale Transformation…

Unsere Mietangebote über „ottonow.de“. Mit der Idee „Leihen statt kaufen‘ fing ein kleiner Kreis von Kollegen als Inhouse-Start-up mit dem Vermieten von Kaffeeautomaten und E-Bikes an. Dafür erhielten sie von der Geschäftsleitung ein kleines Startkapital. Inzwischen gibt es dort mehrere Hundert Produkte.

Wo setzen Sie Virtual und Augmented Reality ein?

Wir arbeiten mit Augmented Reality im Online-Möbelhandel. Dazu haben wir die „yourhome“-App entwickelt. Ein Menüpunkt ist „Möbel virtuell erleben“. Der Kunde kann die Wirkung von Möbeln in den eigenen vier Wänden vor dem Kauf testen. Das funktioniert, indem die virtuellen Objekte über die Smartphone- oder Tablet-Kamera maßstabsgetreu und in Echtzeit in den Raum platziert werden. Das erleichtert die Auswahl. Wir stellen anhand steigender Verkaufszahlen fest, dass das gut funktioniert.

Welche Rolle spielt für Sie Künstliche Intelligenz?

Wir haben eine große Business-Intelligence-Abteilung, die sich unter anderem mit neuen Technologien und Software beschäftigt. Dazu gehört auch der Einsatz von KI. Ein Beispiel: Wir betreiben in Deutschland verteilte Hochregal- und kleinere Lager, in denen wir unter anderem sogenannte „Weiße Ware“, also Wasch- und Spülmaschinen, Kühlschränke etc. vorhalten. Geplant werden muss, in welche Lager die Produkte geliefert und von dort aus schnell an die Kunden ausgeliefert werden.

Mithilfe von KI können wir meist mit bis zu 90-prozentiger Sicherheit vorhersagen, welcher Kunde übermorgen welches Produkt bestellt und transportieren es in das nächstgelegene Lager. Das beruht auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen mit mehreren 100 Faktoren. Die Software für die Lagerhaltung bezieht sogar Wetterprognosen ein. Wenn es in den nächsten Tagen stark regnen soll, werden die Lager beispielsweise mit Gummistiefeln bevorratet.

Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, ein vollständig digitales Unternehmen zu werden. Wie weit sind Sie?

Wir sind sicher, der Markt und die Technologien werden sich weiterhin rasant entwickeln. Deshalb beschäftigen wir Mitarbeiter, die global alle Entwicklungen verfolgen, vor allem bei AR und VR und dem Internet of Things. Das beschleunigt die digitale Transformation.

Otto als Plattformanbieter – funktioniert das?

Gut. Aber wir wollen hier unser Angebot ausbauen. So treten wir auf „otto.de“ als Generalist mit verschiedenen Sortimentkategorien auf. Die Partner mit ihren Produkten können sich auf der Website „otto.market“ anmelden. Wir wollen unser Sortiment ausweiten, achten aber natürlich darauf, welche Partner wir onboarden. Wenn die Partnerunternehmen ihre Produkte über unsere Plattform verkaufen, bekommen wir einen gewissen Anteil.

Die Kunden wiederum wissen, dass, wenn sie über uns bestellen, das Einhalten von Lieferzeiten und eine Beratung über Hotlines gewährleistet sind. Das können die Partnerfirmen nicht unbedingt bieten.

Was bedeutet dieses Geschäftsmodell für den stationären Einzelhandel?

Ich kann nur aus unseren Erfahrungen sprechen. Die Kunst ist, die Vorteile der beiden Welten – on- und offline – miteinander zu verzahnen. Hier sind wir mit Stocksquare, einem Joint Venture von Otto und dem ShoppingcenterBetreiber ECE einen ersten großen Schritt gegangen. Der „Connected Commerce“ bietet dem Kunden die Wahl, ob er sein bestelltes Produkt nach Hause erhält oder ob er es im Einkaufszentrum abholt. Auch die Verfügbarkeit von Ware kann online abgefragt werden.

Die digitale Transformation lief parallel zu einem Kulturwandel im Unternehmen. Wie steuerten Sie den Prozess und wie verlief er?

Seit 2017 beschäftigt sich ein siebenköpfiges Team mit dem Kulturwandel innerhalb der gesamten Otto Group. Es klingt vielleicht banal, aber der Kulturwandel 4.0 begann unter anderem damit, dass sich alle bis hin zur Chefetage duzen. Bei einem 70 Jahre alten Unternehmen mit vormals hierarchischen Strukturen ein großer Schritt. Ganz allgemein: Unsere Kultur lebt von Vertrauen, Miteinander, Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe …

Das schreiben viele Unternehmen in ihre Leitlinien. Wird es bei Ihnen auch gelebt?

Ja. Nur ein Beispiel: Alle vier bis sechs Wochen treffen sich alle Bereichsvorstände mit ihren Mitarbeitern und berichten „unplugged“ über die neuesten Geschäftsentwicklungen, mit konkreten Gewinn- und Verlustzahlen, mit Berichten zu aktuell relevanten Projekten, die sie diskutieren. Außerdem kann jeder Otto-Mitarbeiter die Protokolle der Vorstandsitzungen auf seinem Rechner als pdf-Datei abrufen.

Welche Hürden gab es beim Kulturwandel?

Ich beziehe mich jetzt nur auf die Otto GmbH, der ich angehöre: 4 000 Mitarbeiter orientierten sich im zeitlichen Ablauf am Erscheinen des Frühjahr/Sommer- und des Herbst/Winter-Hauptkatalogs. Mit den Online-Shops zog eine andere zeitliche Dimension ein. Innerhalb von Sekunden können hier Parameter verändert werden. Das verlangte viel Umstellungsvermögen von allen unseren Mitarbeitern ab. Es bedeutete den Übergang in eine andere Welt, eben digitale Transformation.

Wie unterstützt Otto die Beschäftigten bei diesem Prozess?

Mit einem breiten Seminarangebot unserer Otto-Akademie mit mehreren 100 Weiterbildungsangeboten; aber auch mit speziellen Softwareschulungen, mit Mitarbeitern, die sich als Pioniere haben ausbilden lassen, um den Kollegen die neuen Tools zu erklären.

Wichtig ist auch unser aufwändiges Schulungsprogramm „TechUcation“, dass jeder im Unternehmen innerhalb von anderthalb Jahren während der Arbeitszeit absolvieren muss. Dahinter steckt das Ziel, Aufmerksamkeit für die globalen Veränderungen, aber auch die innerhalb des Unternehmens zu entwickeln.

Einen Part des Programms bestreiten weltweit bekannte Professoren, die in drei- bis sechsminütigen Videofilmen Umbrüche innerhalb der digitalen Welt und durch neue Technologien erklären. Jeder Film endet mit Testfragen.

In welcher Form bildet sich der „Kulturwandel 4.0“ in den Raumstrukturen ab?

Wenn wir im Bestand umbauen, fallen Einzelbüros weg. Auf den neuen Open-Space-Flächen sitzen auch die Vorgesetzten. In zwei Jahren wollen wir unsere neue Firmenzentrale fertiggestellt haben. Dann sollen auch die Vorstandsmitglieder dort arbeiten und über keine eigenen Büros mehr verfügen.

Welche Tipps können Sie anderen Unternehmen vor Ihrem Erfahrungshintergrund geben?

Fangt noch heute an! Unterschätzt nicht die Komplexität! Die digitale Transformation erfordert, dass ich möglichst alle Beteiligten einbeziehe. Den Beschäftigten sollte Spaß daran vermittelt werden, den Prozess mitzugehen.

Zur Person

Insa Schreiert absolvierte von 2009 bis 2012 ein duales Studium an der HSBA (Hamburg School of Business Administration) in Kooperation mit Otto. Von 2012 bis 2014 war sie Business Development Managerin bei Paycult, die sich auf bargeldlose Zahlungssysteme für Gemeinschaftsgastronomie spezialisert hat. Im Anschluss machte sie den Master of Science in Management an der University of Edinburgh Business School. Seit 2015 ist Insa Schreiert Projektleiterin Unternehmensstrategie Otto. Sie hat eine Zusatzausbildung zum Agile Coach

Zur Otto Group

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