Glas ist vermutlich die längste Zeit einfach nur Glas gewesen. Künftig, so Hersteller und Veredler des transparenten Baustoffs, gehe es um nicht weniger als um „smartes“ oder intelligentes Glas, das aktive Zusatzfunktionen bietet. Noch steht die Versmartisierung des Werkstoffs erst am Anfang.
Die bedächtigen Innovationszyklen der Baubranche relativieren so manche PR-getriebene Ankündigung.
Fahrzeugindustrie treibt Innovationen für intelligentes Glas voran
Derzeit übernehmen die Display- und die Fahrzeugindustrie die Rolle des Technologietreibers – etwa mit HeadUp-Displays, leichtgewichtigem Dünnglas, Kunststoff-Glas-Kombinationen oder verdunkelbarem Glas. Allerdings hinkt der Branchenvergleich etwas, denn die Automobilhersteller arbeiten an hochintegrierten Produktsystemen, die unter definierten Bedingungen in Großserien umgesetzt werden. Außerdem sind sie für Lifecycles konzipiert. Den Bauplanern ringt das nur ein müdes Lächeln ab.
Stufenlose Tönung
Momentan findet die Spezies des smarten Glases ihre größte Verbreitung in Form der Elektrochromie. An der Fassade ersetzen derlei Gläser den traditionellen Sonnenschutz und lassen sich stufenlos den jeweiligen Lichtbedingungen anpassen.
Die Elektrochromie basiert auf zwei Scheiben. Diese sind mit leitfähigem und transparentem Indium-Zinn-Oxid oder mit Fluor-Zinn-Oxid beschichtet. Eine dieser beiden Scheiben erhält dann eine weitere Schicht aus Wolframoxid. Beide Scheiben werden anschließend schichtseitig verbunden. Den bestehenden Zwischenraum füllt ein Elektrolyt auf.
Beim Anlegen eines Gleichstroms verringert das Wolframoxid seine Transparenz, die Scheibe wird dunkel. Bei Umpolung nimmt die Transparenz wieder zu. Allerdings sind mit dieser Methode derzeit nur blaue Einfärbungen machbar, die überdies eine relativ lange Schaltzeit aufweisen. Die Vorteile der Technologie liegen auf der Hand: Konventioneller Sonnenschutz samt Verschleiß entfällt, die Schaltvorgänge sind praktisch nicht limitiert, selbst bei heruntergedimmter Transparenz gelangt noch Tageslicht in die Räume. Der Blick nach draußen bleibt erhalten.
Größere Farbvielfalt verspricht eine Technologie, die derzeit das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP entwickelt. Als Ausgangsbasis dienen mit Zinnoxid beschichtete Scheiben, den Zwischenraum füllt ein spezielles Gießharz aus. In diesem Harz befinden sich elektrochrome, organische Monomere, die sich bei Anlegen einer Gleichspannung an einer der Scheiben zu einem abdunkelnden Polymer verbinden.
Von transparent zu opak
Der Vorteil des bereits als Prototyp existierenden Systems: Es lässt sich schneller schalten, verlangt geringere Spannungen und ist nicht auf die Farbe Blau beschränkt. Und nebenbei verwandelt das Gießharz die Zweifach-Scheibenanordnung in einen Verbund, der den Normen für Überkopfverglasung oder begehbare Scheiben entspricht.
Von transparent auf opak umschaltbare Gläser trifft man vor allem in Innenräumen an, zum Beispiel bei Trennwänden. Gläserne Besprechungs- oder Präsentationsräume in modernen Bürolandschaften sind dafür prädestiniert, aber auch Badezimmer, die nur eine Glaswand vom Wohn- oder Schlafbereich trennt.
Bei Benutzung wird die Wand dann auf Schalterdruck oder Signal seitens der Haustechnik blickdicht. Meist basieren diese Gläser auf Flüssigkristallen, die in einer elektrisch leitfähigen Polymerfolie eingeschlossen sind. Die Folie wird einfach zwischen zwei Scheiben einlaminiert. Der Film wirkt opak, wenn die Flüssigkristalle chaotisch angeordnet sind – das ändert sich beim Anlegen einer Spannung. Dann findet eine Orientierung statt, die Scheibe erscheint durchsichtig. Im Gegensatz zu elektrochromen Gläsern funktioniert die Umschaltung in Sekundenschnelle.
Auf dem gleichen Prinzip basiert auch die ‚Licrivision’ genannte Technologie von Merck, die für Fensterflächen entwickelt wurde.
Mikrospiegel leiten Licht
Die École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) entwickelt zusammen mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, kurz Empa, ein Fensterglas, das im Sommer Blendung und Überhitzung vermeidet, im Winter aber für hohen Eintrag an Solarenergie und Tageslicht sorgen soll. Es gibt bereits erste Prototypen. Jetzt arbeiten die Forscher an der Skalierung, etwa für den Einsatz in der Solace-Unit des Technologiegebäudes Nest in Dübendorf.
Im Prinzip geht es um einen Polymerfilm, der sich in eine Doppelverglasung laminieren lässt. Der Film entsteht in einer mikrostrukturierten Masterform, die zunächst mit Mikrospiegeln bedampft und dann mit einem verkapselnden Polymer überzogen wird. Die unzähligen Mikrospiegel leiten das einfallende Tageslicht um und verteilen es gleichmäßig bis in die Tiefe des Raums. Außerdem kann das Glas den Energieverbrauch senken.
Die funktionale Erweiterung von Glas geht auch in Richtung Sensorik, beispielsweise im Kontext der Einbruchsicherung. Heute lösen Alarmanlagen erst dann aus, wenn eine Scheibe gebrochen ist. Sinnvoller aber wäre ein früherer Alarm.
Die beiden Fraunhofer-Institute INT und IPMS arbeiten an einer Auflösung dieses Dilemmas mit Unterstützung eines auf bestimmte Wellenlängen abgestimmten optischen Sensors. Er registriert durch Temperaturänderungen oder Schläge verursachte Dehnungen im Glas, lässt sich fein justieren und damit auch für leichte Erschütterungen sensibilisieren.
Touchsensoren
Derweil verwandeln Folien wie ‚SkinUltra‘ des Herstellers Displax Glasflächen in transparente und hochempfindliche Touchsensoren. Dabei wird die Folie zwischen der maximal 10 mm starken Scheibe und einem LCD-Display befestigt. Man muss hier auf einen dünnen Spalt zwischen Touchfolie und Display achten. Die Ansprechrate beträgt laut Displax fünf Millisekunden und kann 100 Fingerbewegungen gleichzeitig und unterschiedliche Druckkräfte erfassen. Weil sich großflächige Berührungen, zum Beispiel durch Arme, ausfiltern lassen, eignet sich die Folie für Points of Interest, Infostelen und interaktive Objekte wie Tische.
Wie intelligentes Glas Informationen inszenieren kann, zeigt sich in der Hamburger Elbphilharmonie. Dort wurden in den Besucherbereichen 32 runde Glaselemente installiert, die nur auf den ersten Blick als Spiegel dienen.
Intelligentes Glas reflektiert, informiert
Denn die im Sol-Gel-Tauchverfahren aufgebrachten und eingebrannten Metalloxidschichten erzeugen Interferenzen und reflektieren von vorne auftreffendes Licht, während rückseitig auftreffendes Licht passieren kann. Das kommt beispielsweise von einem rückseitig montierten Display. Darüber lassen sich zum Beispiel Informationen zu anstehenden Events einspielen. Hidden-TV nennt sich diese Anwendung aus dem Programm ‚Mirona’ des Herstellers Schott.
Am Start stehen Dünngläser, auch bekannt unter der Markenbezeichnung ‚Gorilla Glass’ von Corning. Sie kommen in Smartphones und anderen Mobile Devices zum Einsatz. Das Material ist leicht, mechanisch hoch belastbar und zugleich biegefähig. Damit verfügt das nur wenige Millimeter starke Dünnglas über ein großes Potenzial, speziell im Interiordesign.
Was kann intelligentes Glas leisten?
- Gläser den traditionellen Sonnenschutz und lassen sich stufenlos den jeweiligen Lichtbedingungen anpassen (eine Form der Elektrochromie)
- Prototyp des Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP lässt sich schneller schalten, verlangt geringere Spannungen und ist nicht auf die Farbe Blau beschränkt
- Klimaregulator: Fensterglas, das im Sommer Blendung und Überhitzung vermeidet, im Winter aber für hohen Eintrag an Solarenergie und Tageslicht sorgen soll (bisher Prototyp)
- Schutz vor Einbruch. Intelligentes Glas ausgestattet mit Sensoren, das sich fein justieren und damit auch für leichte Erschütterungen sensibilisieren lässt
- von transparent auf opak umschaltbare Gläser
- intelligentes Glas kann Informationen inszenieren
- Dünngläser, die in Smartphones zum Einsatz kommen, haben Potenzial im Interiordesign
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