1 Monat GRATIS testen, danach für nur 7,50€/Monat!
Home » Projekte » Wohnbauten »

Neuer Spross

Zierhof mit Stube von Naemas Architekturkonzepte in Pflersch/IT
Neuer Spross

Die beiden Neubauten können den abgebrannten Erbhof materiell kaum ersetzen, ideell erst recht nicht. Sie erfüllen aber die Bedürfnisse der beiden Generationen nach modernem Wohnen. Trotzdem verweisen die Bauten von Naemas Architekturkonzepte auf die Wurzeln.

Autor Achim Geissinger

Niemand kann behaupten, die Arbeit von Architekten sei nicht vielschichtig. Denn wie im Wohnprojekt in Pflersch von Naemas Architekturkonzepte spielen mitunter auch konkrete psychologische Aspekte hinein. Der Erbhof der Familie in einem Nebental des Eisack nahe Sterzing war komplett niedergebrannt und damit als Heim und Wurzel der Familie verlorengegangen. Das Ereignis selbst war traumatisch, die Rückkehr an den Ort ohne schmerzliche Verlustgefühle ebenso wenig denkbar wie der Wiederaufbau an derselben Stelle.

Umso erstaunlicher – und im Endeffekt heilsam –, dass die lange Suche nach einem Ersatzstandort letztlich wieder zurück auf das Gelände führte. Zwar nicht exakt an dieselbe Stelle, aber an einen Fleck direkt daneben. Sie ist von der Straße aus ein klein wenig den Hang hinaufgerückt, lawinensicher platziert, optimal besonnt auch in den Wintermonaten und mit atemberaubenden Ausblicken auf das umgebende Hochgebirgspanorama.

Im Vorfeld hatten die beiden Bauherrenfamilien unter tatkräftiger Mithilfe der Architekten Nadia Erschbaumer und Martin Seidner von Naemas Architekturkonzepte genau überlegt, was die neue Heimstatt leisten können sollte. Dabei näherten sie sich in kleinen Schritten den Vorzügen der angestammten Hofstelle an.

Den Prozess präzisieren Erschbaumer und Seidner: „Dies, wie auch der gesamte Bauprozess an sich, war für die Eigentümer ein wichtiger Schritt, um sich mit dem Geschehenen zu versöhnen und um wieder Richtung Zukunft blicken zu können. Wir finden, Architektur muss auch das können: die Geschichte respektieren und gleichzeitig Grundlage für die Zukunft sein.“

Nähe und Distanz

Die beiden separaten, klar voneinander abgesetzten Baukörper ähneln sich formal. Sie sind unterirdisch über die Garage verbunden. Den erhöht gelegenen Teil bewohnt die Elterngeneration dauerhaft, den unteren nutzen die weniger ortsfesten Nachfolgegenerationen.

Das ganze Projekt von Naemas Architekturkonzepte basiert auf der Frage, wie viel Loslösung von traditionellen Formen als verträglich oder sogar wohltuend empfunden werden kann. Gleichzeitig ging es darum, wie viel Anverwandlung und Erinnerung an die Historie es dennoch braucht. Es drehte sich also um die gesunde Balance zwischen Trauer, Verlustbewältigung und schließlich Zuversicht.

Insgesamt sind nur wenige Ausstattungsgegenstände den Flammen entgangen. Das betrifft Tisch, Stühle und Anrichte. Als Erinnerungsstücke können sie nun innerhalb der reduzierten Formensprache der Neubauten mit ihren prononciert klaren Linien ihre Gemachtheit und ihren altertümlichen Wert ausspielen.

Modern und traditionell

So kompakt und abgeschlossen das Äußere erscheinen mag, so offen und durchlässig wirken die Innenräume. Das liegt vor allem an den großformatigen, bodentiefen Fenstern und den geräumigen Wohnküchen, die jeweils das gesamte oberste Geschoss belegen. Von dort aus geht es direkt zu einem luftigen Freibereich auf der kühlen Nordseite.

Das untere Haus zeigt sich innen vorwiegend in einem modern interpretierten alpinen Stil, nah am Original. Dazu tragen die Lärchenholzböden, roh behauenes Silberquarzit und die Leinenstoffe bei. Zusammen mit den verputzten Wänden sind sie neutral und flexibel genug für sich wandelnde Anforderungen. Die Küchenzeile und die Kochinsel wirken mit ihren Holzbekleidungen eher wie Wohnzimmermöbel. Sie korrespondieren mit einem strapazierfähigen Bodenbelag aus durchgefärbten Zementfliesen mit einem Strahlenmuster.

Innerlich ungleiche Zwillinge

Dieser freundlichen, in gewisser Weise Gewohnheiten bedienenden und vielfältig adaptierbaren Gestaltung steht das Innere des oberen Baukörpers gegenüber: Mit Beton, Terrazzo und dezidierten Farbakzenten lässt es sich als eine Art urbanes Gegenbild lesen. Auch hier interpretierten Naemas Architekturkonzepte die bäuerliche Stube als Zentrum des Familienlebens neu. Daraus ergab sich der Projektname „Zierhof mit Stube“ – gesteigert um das klassische Motiv des Holzofens an zentraler Stelle.

Anklänge an die Tradition

Weitere Anklänge an bäuerliche Traditionen finden sich allenfalls noch in einer bemalten Tür. Naemas Architekturkonzepte setzten sie nicht etwa rein dekorativ ein oder als Zugang zu einem Nebenraum, sondern verbindet Historie und Gegenwart dadurch, dass sie in den Aufzug führt. Gerahmt von Holzwerkstoffplatten, die den sauberen Anschluss an die Aufzugstechnik gewährleisten, hat sie einen ganz besonderen Auftritt.

Rundherum bestehen alle massiven Raumbegrenzungen aus brettgeschaltem Sichtbeton. Das eingebrachte Pigment spielt ins Beige und wurde über Mustergüsse auf die spiegelnden Terrazzoböden abgestimmt.

Dezente Linienleuchten spielen mit ebenso feinen Vorhangschienen zusammen, über die sich mit schweren Vorhängen je nach Gusto einzelne Raumteile absondern oder zusammenschalten lassen. Bei all den schallharten Oberflächen tragen sie deutlich zu einer angenehmen Hörsamkeit bei. Wo eine räumliche Dichte entsteht, etwa über dem Esstisch, dürfen körperhafte Hängeleuchten zusätzliche Kraft entfalten.

Küche als Maßanfertigung

Der nahezu raumhohe Küchenhochschrank trennt den Treppenabgang vom übrigen Raum ab. Er bietet reichlich Stauraum und nimmt dazu auch einiges an Haustechnik auf. Mit Holzwerkstoffplatten in Altrosa bildet er den Rahmen für die unterleuchtete Kochinsel mit Kochfeldabzug. Eine Dunstabzugshaube hätte den Raumeindruck gestört und wäre energetisch bei der dichten Gebäudehülle zur Herausforderung geraten. Die Maßanfertigung auf zarten Füßen bietet unter anderem den Komfort einer einklappbaren Front und damit Raum für die Beine, wenn die Hausherrin im Sitzen am Herd tätig sein möchte.

Auf Effizienz ausgerichtet

Auf dem unempfindlichen Material Fenix sind keine Fingerabdrücke zu sehen. Die nanotechnisch veredelte Oberfläche ist auf Hochdruckschicht-Pressstoffplatten aufgebracht. Diese bestehen aus mehreren Papierbahnen und duroplastischem Harz auf Phenolbasis sowie einem 50 %igen Anteil an ligninbasiertem Harz.

So wie Aspekte der Nachhaltigkeit bis in die Auswahl der dekorativen Materialien hineinspielen, so ist die Planung des gesamten Projekts von Naemas Architekturkonzepte auf Effizienz hin optimiert. Das zeigt sich etwa in der wärmebrückenfreien Gebäudehülle, entsprechend niedrigem Heizbedarf, der Versorgung durch eine geothermische Wärmepumpe in Kombination mit einer PV-Anlage auf dem Dach. Gleiches gilt für das Hausmanagementsystem, das sich auch von unterwegs aus steuern lässt.

Die einfache und klare Geometrie der beiden Baukörper weist ein günstiges Verhältnis von Außenfläche zu Volumen auf. Sie orientiert sich mit ihren flach geneigten Dächern ebenso an ortstypischen Formen und passt sich zusammen mit der Lärchenholzbekleidung unauffällig ins Bild des kleinen Weilers ein. Die dunkle Lasur garantiert ein witterungsbeständiges, gleichbleibendes Bild und kontrastiert mit dem naturbelassenen, fast schon leuchtend erscheinenden Lärchenholz. Es kleidet die tief eingeschnittenen Loggien aus.

Identifikationselement

Der nähere Blick offenbart ein sparsam eingesetztes Ornament, das von der Abdeckleiste der Balkonbalken des abgebrannten Hofs herrührt. Damit schafft es die Anbindung an vergangene Zeiten. Ebenso findet es sich in der Bettverkleidung oder in der Absturzsicherung entlang der Treppe im unteren Haus wieder. Dazu erläutern die Architekten von Naemas Architekturkonzepte: „Von einem alten Foto zeichneten wir das Muster ab und übernahmen es in das neue Gebäude. Denn unsere Aufgabe bestand darin, die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.“

So führte der Schicksalsschlag letztlich in eine neue Zeit, nicht bruchlos zwar, aber doch mit der Rückanbindung an die eigene Herkunft. Vielleicht möchte man es eine vorsichtige Konfrontationstherapie nennen. Oder wie Nadia Erschbaumer und Martin Seidner sagen: „Das Leben an sich dient uns als Inspiration. Alltägliches, Schwierigkeiten, Abläufe. Dinge, die gut funktionieren, andere, die schieflaufen, Schicksalsschläge. All das formt uns und bringt uns dazu, Wege zu finden und aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Und den Dingen Sinn und Inhalt zu geben.“


mdS22023_Kueche_Projekt-Naemas_Portrait.jpg
Porträt: Lisa von Grebmer

Naemas Architekturkonzepte

Die Architekten Nadia Erschbaumer und Martin Seidner gründeten ihr Büro 2014 in Bozen. Sie realisieren Projekte im Wohn-, Hotel- und Innenausbau.


Fakten

Projekt: Zierhof mit Stube
Standort: Pflersch, Südtirol, Italien
Bauherr: privat
Bauaufgabe: Wiederaufbau des vollständig abgebrannten historischen Hofgebäudes
Architektur: Naemas Architekturprojekte
Fertigstellung: Ende 2022
Geschosse: 4 Ebenen
Nettowohnfläche: 263 m²
Materialien (Decke, Wand, Boden):

Gebäude Süd

Wohnräume, Korridor und Schlafzimmer: ‚Landhausdiele Admonter Lärche gebürstet und geölt‘ von Admonter; Nassbereiche: Spachtelung in verschiedenen NCS-Farbtönen von Pava Resine; Duschen: Fliesen ‚Regolo‘ und ‚Regolo Textured‘ von Appiani; Küchen- und Badewannenbereich: ‚Dandelion Ivory Honey‘ von Marrakech Design

Gebäude Nord

Boden: Terrazzo mit eigens entworfener und abgestimmter Farb- und Zuschlagsmischung von Designtrend; Nassbereiche: Spachtelung in verschiedenen NCS-Farbtönen von Pava Resine; Duschen: Fliesen ‚Regolo‘ und ‚Regolo Textured‘ von Appiani; blauer Vorhang ‚Dimout‘ von Delius; Treppe: Fertigelementtreppe aus Beton; Wohnküche: Wände und Decke in eingefärbtem Sichtbeton mit sichtbarer Holzschalung
Sanitär/Beleuchtung/Hauskommunikation: Waschbecken ‚Avento‘ von Villeroy & Boch und ‚Eco Small‘ von Ceramica Cielo, Armatur ‚Hugò‘ von Geda, Leuchten ‚Twiggy‘ von Foscarini und ‚Fest‘ von Aromas del Campo, beleuchteter Handlauf ‚Ottomano‘ von Olev, Schalter ‚Berker Q.3‘ von Berker, Gebäudeautomation von KNX System

Zum Interview mit den Architekten

Hier geht’s zum Neubau eines Seminargebäudes

Anzeige
Top-Thema
Anzeige

Neueste Beiträge
Titelbild md 03-04
Ausgabe
03-04.2024 kaufen
EINZELHEFT
ABO

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de