Der Stadtteil Wiedikon unterhalb des Züricher Hausbergs Uetliberg ist heute ein beliebtes Wohnquartier, das die Züricher selbst als Kreativquartier bezeichnen. Die Erikastraße in diesem Viertel ist eine relativ kurze Sackgasse, die drei Blöcke durchschneidet und ansonsten im Stadtgefüge kaum auffällt.
Hier befindet sich ein älteres Verlagsgebäude, das im Laufe der Zeit einige Veränderungen erfahren hat. Inzwischen ist das in die Jahre gekommene, unscheinbare, aber gut erhaltene Haus an die dritte Generation einer Familie übergegangen. Die hatte sich entschlossen, das Haus mit einer Dachgeschosswohnung einer neuen Teilnutzung zuzuführen.
Der Umbau dieses Gebäudes war bereits beschlossene Sache, bevor das Züricher Büro von Caruso St John Architects mit der Planung begannen. Die Architekten erhielten den Auftrag, eine bereits bestehende Planung zu überarbeiten, da sich die Bauherrschaft nicht sicher war, ob diese die gewünschte Wohnqualität garantieren könnte.
Wer wagt, gewinnt
Nach einer Bedenkzeit mit ersten Überlegungen, das alte, flache Satteldach durch einen Neubau zu ersetzen, um Wohnqualität und radikale Architektur an diesem Ort zu etablieren, entschlossen sich die beiden Planer, den Auftrag anzunehmen.
Im dreigeschossigen Altbau sollten im EG ein Grafikatelier für den Eigentümer, im 1. OG Räume für gewerbliche Vermietungen und schließlich im 2. OG und im addierten DG eine Wohnung für die Eigentümer entstehen.
Die Besonderheit, dass dieses Stadtgebiet zu einer der Züricher Quartier-erhaltungszonen gehört, wurde von Anfang an unterschätzt. Denn diese Zonen gehören neben der Altstadt zu den am dichtesten bebauten Gebieten Zürichs.
Die Stadt schaut deshalb genau hin, was in den Quartiererhaltungszonen gebaut wird. Da hier jede bauliche Maßnahme mit der Denkmalpflege abgesprochen werden muss, dauerte die Konzeptions- und Planungsphase recht lange.
Caruso St John Architects mit radikalem Ansatz
Caruso St John Architects wollten an der Erikastraße Radikales schaffen. Die Architekten gelten trotz eigenem Büro in Zürich als Exoten. Mit ihrem Außenseiterstatus gelang es ihnen, die für das Projekt zuständige Behörde in der Planungsphase „abzuholen“ und für den geplanten Umbau zu gewinnen.
Dass Adam Caruso seit 2011 Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich ist und damit genügend Renommee mitbringt, war der Planungsarbeit sicher nicht abträglich.
Maximal offene Küche
Für den Bauherrn und die Architekten war schnell klar, dass im obersten Bestandsgeschoss die Schlafräume der gewünschten Wohnung entstehen sollten und im neu errichteten DG Wohnzimmer und Küche.
Beide Raumtypen können beliebig ineinander übergehen. Maximal reduziert ist die klug in die Außenwand integrierte Küchenschrankwand mit der weit auskragenden Arbeitsplatte und der singulären, drehbaren Lichtstele. Die Holzoberfläche, hinter der alle notwendigen Kochutensilien ihren Platz finden, wurde durch einen silbergrauen Anstrich entmaterialisiert.
Um das städtebauliche Gefüge an der Erikastraße zu erhalten, blieb die alte Traufhöhe erhalten. Außergewöhnlich ist die dreifach gefaltete Dachkonstruktion, die sich nur zum Innenhof öffnet und zwischen den Nachbargebäuden Durchblicke auf die Züricher Stadtlandschaft zulässt.
Das dreigeschossige Gebäude wurde in den unteren beiden Etagen nur geringfügig modernisiert. Das Treppenhaus blieb bestehen. Ein eingezogener Schrank trennt die Wohnräume im obersten Geschoss ab. Je nach Sonneneinstrahlung zeigt der silbergraue Anstrich Farbvariationen.
Ergänzend dazu wurden großflächige Linoleumfelder im Schachbrettmuster verlegt. Da dieses Belagsmuster unter den Zwischenwänden durchläuft und somit in jedem Raum in seiner Fortsetzung präsent ist, erzeugt es eine verbindende Wirkung über die gesamte Etage. Die vorhandenen alten Fenster wurden erhalten und nur neu verglast. Der Raumcharakter der Wohnung mit ihrer monochromen Farbgebung und den alten Fenstern erinnert an die Vergangenheit des Hauses.
Kunst des Faltens
Die Idee des dreifach gefalteten Daches mit seiner Überhöhe entwickelten die Architekten gemeinsam mit den Bauherren. Diese wollten etwas Außergewöhnliches und eine besondere Art des Wohnens, die sie als junges Paar widerspiegelt. Die japanische Kunst des Papierfaltens stand Pate für die Dachkonstruktion.
Es ist kein klassisches Satteldach. Es beginnt zwar an der Trennwand zum Nachbarn als solches, läuft aber am gegenüberliegenden Giebel als Pultdach aus. Das Dach steigt nach Süden um fünf Meter an und läuft zur Straße hin auf Null aus.
Die Architekten, so erklärten sie uns, hätten damit nach ihrem Verständnis sowohl Großzügigkeit als auch Geborgenheit durch die auslaufenden Schränke erreicht. Ob die durchgehende Glasfassade des Dachgeschosses genügend Licht in den großen Raum bringt, war lange umstritten und konnte auch durch Berechnungen und Simulationen im Modell nicht geklärt werden.
Schließlich erwies sich die große Öffnung als ausreichend. Vor der verglasten Öffnung befindet sich ein auskragender Balkon, der aufgrund der blauen inneren Brüstung den Namen Schwimmbad erhielt.
Eine neue Balkendecke sitzt auf dem Massivbau. Sie machte den auskragenden „Pool“ statisch erst möglich. Zwischen Innenraum und Balkon besteht kein Höhenunterschied. Eine umlaufende Rinne parallel zur Brüstung nimmt das Regenwasser auf und leitet es über ein dreieckiges Regenfallrohr ab.
Radikaler Raumcharakter
Eine über die Balkonbreite reichende Schiebetür erweitert den spannenden Innenraum nach außen. Um den radikalen Raumcharakter des Dachgeschosses in keiner Weise zu stören, sind alle wichtigen Möbel in die äußeren Wandscheiben integriert. Eine Ausnahme bildet das offene Regal, das parallel zum Treppenaufgang angeordnet ist.
Auch hier sind die Wandflächen auf die Tragkonstruktion aufgedoppelt und silbergrau gestrichen. Die drehbaren und variabel einsetzbaren Leuchten stammen von den Architekten. Sie sind schwenkbar und beleuchten mit einem Indirektanteil auch das Dachvolumen.
Ungestörtes Raumerlebnis
In einem starkem Kontrast zum asymmetrischen Dach steht die absolut symmetrische Elektroinstallation.
Der Verzicht auf Schalter- und Steckdosenkombinationen wirkt allerdings etwas manieriert. So hat jeder Schalter seinen eigenen Platz, aber dem Verfasser dieser Zeilen gefällt es.
Natürlich ahmen die Griffe der silbergrauen Schränke die Anmutung der runden Schalter nach, Ordnung muss sein. Darf man in Zürich so radikal bauen? Natürlich gab es auch Einsprüche gegen den gelungenen Entwurf, aber die Begründungen basierten nicht auf echter Ablehnung. Dem einen Nachbar war der Balkon zu nah. Nachdem man ihm im Prinzip die gleichen Näherungsrechte anbot, war dieser recht schnell befriedet.
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Adam Caruso (li.) und Peter St John
verfolgen eine Architektur, die in engem Dialog mit ihrer Umgebung steht. Dabei vermeiden sie bewusst den Wow-Effekt, der einen Großteil des globalen Architekturzirkus kennzeichnet. Sie widersetzen sich diesem Trend mit Gebäuden, deren emotionaler Gehalt unaufdringlich wahrgenommen wird.
Fakten
Projekt: Warehouse, Wiedikon
Standort: Erikastrasse, Zürich, Schweiz
Bauherr: privat
Bauaufgabe: Umbau und Ausbau/Bauen im Bestand
Architektur: Caruso St John Architects, Webseite des Büros
Fertigstellung: 2021
Geschosse: 5
Nutz-/Wohnfläche: 565 m²