Nach mehr als zehn Jahren der Planung und Bautätigkeit eröffnete im Frühjahr der Neubau des Nationalmuseums von Katar, das sich mit seiner außergewöhnlichen Architektur schon jetzt ins Gedächtnis designaffiner Betrachter geschlichen hat. Pritzker-Preisträger Jean Nouvel ließ sich bei seinem Entwurf von einer Sandrose inspirieren.
Desert Rose – Inspiration aus der Natur
Die Architektur des neuen Gebäudeensembles spiegelt die tiefe Verbindung der einst nomadischen Bevölkerung Katars mit der Wüste wider: Sie ist einer Sandrose nachempfunden, einem bizarren Gebilde, das meist aus Sandkörnern besteht, die in einen Kristall aus Gips oder Baryt eingebettet sind. Große, bauchige Scheiben, Überschneidungen und Auskragungen charakterisieren den Bau.
Am meisten irritiert das großzügig angelegte Wasserbecken vor dem neuen Nationalmuseum Katars. In der Wüste!
In seinem Inneren befinden sich unterschiedliche Raumtypologien. Kleine Kabinette, die die Intimität der Nomadenzelte beschwören sowie kathedralenhaft nach oben strebende Räume, die die Weite des Himmelszelts zitieren. Das Tageslicht fließt wohldosiert durch Fugen, Öffnungen und Zwickel in das Gebäude – denn wegen konservatorischer Vorgaben galt es, das kraftvolle, harte Sonnenlicht der Region zu zügeln. So enthüllt das einfallende natürliche Licht zwar die Formgebung vieler Räume, hält aber meist respektvollen Abstand zu den Exponaten.
Lichtkonzeption von Licht Kunst Licht
Die Ausstellung führt den Besucher über einen 2,7 Kilometer langen Parcours, der bei der geologischen Entstehung der katarischen Halbinsel einsetzt und bis in die Gegenwart führt. Dabei werden alle Wissensgebiete aus Natur und Gesellschaft berücksichtigt.
Die rasante Entwicklung des Landes von einem losen Verbund nomadischer Stämme und Perlentaucher hin zur technologieaffinen und wohlhabenden Gesellschaft der Gegenwart wird anhand verschiedenster Exponate und mit zahlreichen Videoprojektionen bzw. auf Displays eindrucksvoll illustriert. Dabei werden archäologische Funde und Kunsthandwerk ebenso in den Fokus gerückt, wie jüngste wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Zugleich finden Auftragsarbeiten namhafter lokaler und internationaler Künstler dort ihren Ort.
Die Lichtkonzeption musste den Präsentationsformen Rechnung tragen, was schon früh zu der Idee von zwei Lichtlayern führte. Umgesetzt wurde sie mit gut entblendeten, justierbaren Leuchten in den Deckenpaketen und mit in Vitrinen integrierten, weitgehend unsichtbaren Miniaturleuchten.
Licht nach Maß aus der Decke
Im gesamten Museum werden 3 000 K Farbtemperatur verwendet. In Verbindung mit dem stark zonierten Licht und den eher niedrigen Beleuchtungsstärken entsteht so bisweilen der Lichteindruck eines nächtlichen Lagerfeuers.
Die Deckenleuchten bestehen aus Richtstrahlern, die bündig in die skulpturalen Abhangdecken eingebaut sind. Die weitgefächerten Raumgeometrien sowie die höchst unterschiedlichen Proportionen der Ausstellungsstücke bedingten für die Richtstrahler diverse photometrische Eigenschaften.
Drei unterschiedliche Lichttechniken kommen dort zum Einsatz: Spot, Medium und Flood. Je nach Bedarf wurden sie kombiniert mit Rillenlinsen für eine elliptische Aufweitung des Lichtkegels in Wandnähe oder mit Wabenrastern für stark geneigte Deckenfelder. Dabei sind die Leuchten sehr gut entblendet und treten als Lichtquellen im Deckenbild kaum in Erscheinung.
Eine weitere Besonderheit ist die individuelle Justierbarkeit und Dimmbarkeit der Leuchten mittels IR-Fernbedienung. Die kardanisch gelagerten Strahlereinsätze können bis zu ±35° geschwenkt und ±175° gedreht werden. Dies erleichtert das Einrichten der Beleuchtung enorm und ermöglicht zudem eine flexible Anpassung an künftige Änderungen der Ausstellung. Hier wären sonst Rollgerüste und Hubsteiger nötig.
Verstecktes Licht in den Vitrinen
Die Vitrinen in der Desert Rose sind von ähnlicher Diversität wie die Ausstellungsräume selbst. Die Lichtlösung ist deshalb individuell auf jede Vitrine und ihren Inhalt abgestimmt worden.
Während frei im Raum stehende, entmaterialisierte Glasvitrinen ausschließlich aus den Deckeneinbaurichtstrahlern beleuchtet werden, nutzen alle Vitrinen, die Verschränkungen mit der Architektur ausbilden, etwa mit der Decke, dem Boden oder der Wand, verdeckte Lichtelemente. Diese Lichtkonzeption ist modular aufgebaut: Ein Profil nimmt die Verdrahtung auf, die Miniaturstrahler und Lichtprofile werden dann nach Bedarf wie gewünscht eingeklickt und ausgerichtet. Bei anderen Konfigurationen werden die Leuchten mittels Magneten an einer stromführenden Schiene mechanisch und elektrisch angebunden.
Eindrucksvolles Museumserlebnis
Die Fülle und die Diversität der Exponate im Nationalmuseum Katars holen Besucher mit verschiedenen Interessen ab. Die Qualität, Abfolge und Präsentation der Exponate erzeugen wechselnde Themenwelten, die alle Sinne ansprechen. Das Licht spielt dabei eine subtile, jedoch maßgebliche Rolle.
Das fein austarierte Zusammenspiel der Komponenten aus spärlichem, jedoch raumdefinierenden Tageslicht, inszenierendem Deckenlicht, differenzierter Vitrinenbeleuchtung und den Wandprojektionen der Medienplaner erzeugt visuelle Eindrücke, die lange nachhallen. Eine perfekt durchdachte Lichtkonzeption.
Fakten
Projekt: Nationalmuseum Katar – Desert Rose, Doha, www.nmoq.org.qa
Standort:
Bauherr: Qatar Museums Authority
Bauherrenvertretung: ASTAD, Qatar Petroleum, Doha
Fertigstellung: 2019
Architekten: Ateliers Jean Nouvel, Paris, www.jeannouvel.com
Projektmanagement: EMA architectes associés, Genf, www.ericmaria.com
Ausführende Architekten: QDC – Qatar Design Consortium, Doha, www.qdcqatar.com.qa
Lichtplanung/Lichtkonzeption Dauerausstellung (11 Galerien): Licht Kunst Licht AG, Bonn/Berlin, www.lichtkunstlicht.com (Projektleitung: Martina Weiss; stellv. Projektleitung: Stephanie Große-Brockhoff; Projektteam: Laura Sudbrock, Daniela Torres Toledo)
Lichtplanung/Lichtkonzeption weitere Innenbereiche, Elektroplanung: Ingénieurs-Conseils Scherler SA, Genf, www.srg-engineering.ch
Ausstellungsgestaltung: Renaud Pierard Studio, Nantes
Spezialausstellungen: Art+Com Studios
Landschaftsplanung: Michel Desvigne Paysagiste, Paris
Projektgröße: 7.000 qm (Dauerausstellung, unterteilt in 11 Galerien)
Fotos: Danica O. Kus, www.danicakus.com
Mehr zum Thema Lighting