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Was die Wohnküche vom Bühnenbild lernen kann

Was die Wohnküche vom Bühnenbild lernen kann
Der große Auftritt

Üblicherweise bildet das Theater unsere Realität mehr oder weniger abstrakt nach. Gleichzeitig schaffen seine temporären Architekturen ihre ganz eigenen Strukturen. Wie die Küche inszeniert wird – und welche Tricks auch im Wohnumfeld Wirkung entfalten.

Autorin Sonia Hilpert

Vereinte Koch- und Wohnbereiche waren bereits üblich, als sich Wohnungen nach der wärmenden und nährenden Feuerstelle richteten. Heutzutage werden sie wieder verstärkt nachgefragt. Dadurch wird die Wohnküche zum halböffentlichen Ort: Wenn Gäste kommen, stehen Kochende auf einer Art Bühne.

Es entsteht eine wechselseitige Unterhaltung. Im Theater ist sie in der Regel nur mittels Partizipation des Publikums herzustellen, die für alle Anwesenden ungemütlich werden kann. Aber dennoch gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten: eine klare Trennung von Aktiven und Passiven, die Herstellung eines Produkts, von dem die Zuschauenden (mit)nehmen können, was sie möchten und das Tragen einer gewissen Kostümierung. Hier wie dort sind technische Geräte unabdingbar und der ästhetische Anspruch hoch.

Aus Funktion wird Wirkung

Die Küche ist – zusammen mit dem Bad – wohl der klarste Funktionsraum, den es im Wohnbereich gibt. Durch die festen Positionen von technischen Anschlüssen ist sie nur mit besonderem Aufwand umzugestalten. Gleichzeitig werden dort soziale Interaktionen so intensiv verhandelt, dass sie regelmäßig auf Theaterbühnen nachgebildet wird. Vor allem klassische Stücke spielen an dem Ort, an dem Nahrung als Basis unseres Lebens mit der Kommunikation als Basis der Gesellschaft zusammentrifft. Selten wird sie dabei streng realistisch oder gar funktionsfähig nachgebildet – umso überraschender, wenn sie es doch ist: So, wie in der aktuellen Ödipus-Inszenierung an der Berliner Schaubühne, wo die Essenszubereitung Teil der Aufführung ist.

Wohnküche – Trennung auflösen

In der Regel konzentrieren sich Bühnenbilder lediglich auf den Küchentisch als Zentrale der Verhandlungen. Von winzigen Einzeltischen über polygonale oder runde Elemente bis zu überdimensionalen Tafeln dient dieser als visueller Ausdruck von sozialen Beziehungen. Auch im Wohnraum lädt er mit ausladenden Bänken und gemütlich gepolsterten Stühlen zum langen Verweilen.

Als Bühnenelement bieten sich solche Küchenformen an, bei denen sich alle Parteien frontal gegenüber befinden. Dem Publikum den Rücken zuzudrehen, ist im Theater akustisch eine Herausforderung. Dementsprechend erhält die Person in der Küche durch in den Raum ragende Arbeitsplatten oder freistehende Kochinseln eine exponierte Position und ist zugleich von denen im Essbereich getrennt. Diese Trennung aufzulösen, ist im Theater wie in der Wohnküche die größte Herausforderung.

Showtime am Herd

Verteilte Rollen

Allerdings gibt es nicht die eine Bühnenform, vielmehr unterscheiden sich die Raumstrukturen stark voneinander und schaffen verschiedene Stadien von Verbindung und Trennung. Wenn die Hierarchien klar verteilt sein sollen, können Planende sich am klassischen Guckkasten orientieren. Er bildet in den größten Theatersälen die strengste Aufteilung.

Das einschneidende Portal trennt Bühne und Zuschauerraum durch einen großen Vorhang, die Bühne erhebt sich rund einen Meter über dem Parkett und das Publikum sitzt in gemütlichen Sesseln. Damit wird den Gästen eine Passivität vermittelt, die man sich auch zunutze machen kann. Sie werden quasi zum Zuschauen gezwungen und verlassen ihren Platz nur selten vor Vorstellungsende.

Die klassische Gestaltung sieht hier eine vertikale Staffelung von Kulissenelementen vor, wodurch versteckte Auftritte möglich sind. Durch solche Scheibenelemente ließen sich auch in der Küche Geräte oder Vorräte verschleiern. Sie wären frontal nicht sichtbar, aber perfekt zugänglich. Durch Änderung der Öffnungsmaße oder Raumkanten können Planende zudem perspektivische Täuschungen erschaffen, die Bereiche größer oder kleiner wirken lassen. Die erzwungene Zentralperspektive lässt sich durch die Schrägstellung einzelner Flächen geometrisch überspitzen.

Im Theater schaffen temporäre Architekturen ihre eigenen Strukturen. Wie die Wohnküche inszeniert wird – und Tricks für das Wohnumfeld.
Die aktuelle Inszenierung von Ödipus an der Berliner Schaubühne spielt in einer voll funktionsfähigen Küche. Die Essenszubereitung ist Teil der Aufführung. Foto: Gianmarco Bresadola

Licht definiert Bereiche

Im Gegensatz zum Frontalspiel der Guckkastenbühne stehen Raum- und Studiobühnen, in denen tatsächlich mehr Augenhöhe zwischen Spiel und Publikum herrscht. Sichtachsen sind nicht so klar definiert, weil der Bühnenraum unter Umständen komplett von Zuschauenden umrundet ist.

Mittels Licht lässt sich der Aktionsraum gut abgrenzen. Die Räume sind häufig sogenannte Black Boxes, also eine scheinbar neutrale Hülle, die komplett geschwärzt ist. Obwohl beim Einlasslicht alles sichtbar wird, symbolisieren sie die Einstellung gegenüber Technik. Wurde früher kulissenhaft kaschiert und hyperrealistisch nachgebildet, geht die Tendenz heutzutage zur Offenheit, den künstlichen Raum zu zeigen. Scheinwerfer und Nebelmaschinen können dann Teil der Inszenierung sein.

In der Wohnküche herrschten lange perfekt glatte und klinisch reine Oberflächen vor. Zum einfachen Putzen natürlich sinnvoll, haben sie eigentlich nichts mit dem haptischen Erlebnis von Kochen und Essen zu tun. In Dunkelheit wirken Effekte jedoch besser als in gleißend hell reflektierenden Räumen: ein Vorteil für Black Boxes.

Inszenieren per Beleuchtung

Vom Guckkasten kann man noch ein weiteres klassisches Bühnenelement abschauen: die Gassenbeleuchtung. Auf Türmen übereinander gestapelte Scheinwerfer erhellen einzelne Raumstreifen. In der Privatwohnung wird seitliche Beleuchtung verhältnismäßig selten eingesetzt, im Theater hingegen wird mit allen Richtungen gespielt.

Die Gassen ermöglichen räumliche Staffelung. An der Bühnenvorderkante liegende Fußrampen hellen Gesichter auf und können durch ihr Aufwärtsstrahlen Dramatik erzeugen, fahrbare Züge an der Decke bieten absolute Anpassbarkeit. Es gibt Lichtszenarien, die klar begrenzt nur bestimmte Areale in den Fokus rücken, per Streiflicht Strukturen betonen oder den kompletten Raum erstrahlen lassen.

Nicht immer stehen dabei die Darstellenden im Zentrum. Wirkung kann wichtiger sein als Gesichtszüge, räumliche Gesten können körperliche Attraktivität überstrahlen. Doch Zu Hause wollen sich Köche wie Gäste wohlfühlen und in sympathisch wirkende Gesichter schauen, dafür eignen sich die üblichen Beleuchtungsmethoden bestens. Für die umgebende Atmosphäre lohnt es sich aber, zu experimentieren.

Lichtdramaturgie

Im Theater und Film wird auch mit Lichtfarben mutiger agiert als im Privatraum. So können Komplementärkontraste von Vorder- und Hintergrund räumliche Klarheit schaffen, dem Auge Orientierung bieten und Atmosphären überlagern. Auch dürfen diese sich ändern. Bei der Erzählung eines Theaterstücks werden immer wieder neue Bilder erzeugt – vom Eröffnungsmoment über diverse Zwischenszenen bis zum Schlussbild variiert der optische Eindruck konstant.

Beim Wohnraum denken wir oftmals nur über den unbenutzten, aufgeräumten Zustand nach. Wie sieht es aber in Benutzung aus und wie danach? Explodiert das völlige Chaos? Gibt es helfende Elemente, die auch zwischendurch immer wieder Klarheit schaffen? Wird die Nutzung explizit zelebriert?

Küchentrends 2021

Freiheit zum Objekt

Alles, was auf der Bühne erscheint, ist bewusst gewählt – auch jedes noch so kleine Requisit. Im privaten Umfeld müssten Planende für einen vergleichbaren Effekt ebenfalls jedes Utensil bestimmen. Eine solch intensive Betreuung eines Wohnküchen-Projekts ist stark von den Auftraggebenden abhängig, aber für eine abgerundete Raumwirkung ist es sinnvoll, sichtbare Elemente mitzudenken.

Als Planende entwickeln wir oft eine Liebe zu diesen Objekten, Oberflächen und Details. Im Theater gilt es, sich davon zu lösen. Auf die Bühne kommt nur, was auch spielerisch gebraucht wird. Nicht bespielte Elemente werden im postmodernen Theater als „reine Kulisse“ aussortiert – so schön sie auch sind. Wird der Inhalt reduziert, lässt sich auch anders damit umgehen. Im Theater zählt Genauigkeit, in der Küche Effizienz.

Im Theater schaffen temporäre Architekturen ihre eigenen Strukturen. Wie die Wohnküche inszeniert wird – und Tricks für das Wohnumfeld.
Im Rahmen der Küchenmeile 2021 übertrug Leicht das Bühnenprinzip des Guckkastens mittels einer elegant verkleideten Trennwand in ein Wohnszenario. Sichtachsen zwischen Gast und Koch sind klar definiert. Rückseitig platzierte Geräte schaffen optische Ruhe. Foto: Leicht/Constantin Meyer

Notwendigkeit der Authentizität

Laufwege einzusparen, ist auf der Bühne eine Notwendigkeit der Authentizität. Aber auch im echten Leben reduziert dies Stress. Ist die Frankfurter Küche auch aus Raummangel entstanden, können ihre Gedanken gleichermaßen in ausladenden Wohnküchen zu einem höheren Grad an Selbstbestimmtheit verhelfen. Wer sich nicht von der eigenen Küche herumscheuchen lässt, verbessert seine Beziehung zum Raum.

Auszuwählen, was wirklich wichtig ist, ist nicht leicht. Im Theater dienen dazu die Proben. Zwar blutet das Herz, wenn ein liebevoll ausgesuchtes Möbel oder ein aufwendig geplantes Raumelement im Spiel zerstört wird – aber genau das ist wichtig für den Prozess. Der Raum wird entzaubert, alles muss möglich sein für die Darstellenden. Nichts ist heilig, nichts ist zu wertvoll, um sich nicht daran auszutoben.

Die Nutzung proben

Die Wohnküche ist ein fester Ort in Wohnungen. Gerade hier sollten Planende Standards hinterfragen und neue Nutzungen austesten. Steh-, Sitz-, Arbeits-, Ess- und Barbereiche kann man neu definieren. Standardabmessungen resultieren natürlich aus der Kompatibilität mit technischen Gerätschaften, aber selbst diese kann man anders umbauen. Mutiger zu werden lohnt sich also – auch wenn die Bühne zu Hause nicht einfach so abgespielt verlassen werden kann.

Weitere Beiträge zur Küchenplanung finden Sie hier

Berliner Schaubühne

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