Mit dem Aufkommen von Online-Shopping-Plattformen wurde jahrelang der Zusammenbruch des stationären Handels prognostiziert. Die Apokalypse ist bisher allerdings ausgeblieben. Greg Buzek, CEO der IHL Group (ein weltweit tätiges Forschungs- und Beratungsunternehmen, das auf Businesslösungen für den Einzelhandel spezialisiert ist) bestätigt das: „Für jeden Händler, der einen stationären Verkaufsraum schließt, eröffnen in etwa 2,7 Unternehmen neue Stores.“
Der stationäre Handel hat demnach noch nicht ausgedient, befindet sich aber in einem permanenten Transformationsprozess. Dieser wird nicht nur von dem durch das Internet schneller werdenen Wechsel von Trends und dem Überangebot von Produkten und Informationen bestimmt, sondern auch von neuen Technologien und kulturellen Entwicklungen.
„Für jeden Händler, der einen stationären Verkaufsraum schließt, eröffnen in etwa 2,7 Unternehmen neue Stores.“
Wie muss ein Store also aussehen, um relevant zu bleiben? Fest steht, die perfekte Instagram-Kulisse zu bieten ist hilfreich, aber längst nicht alles. Denn für den Verbraucher geht es um mehr als Selbstvermarktung. Es geht um grundlegende Bedürfnisse, die der virtuelle Handel nicht bedienen kann: Real-Life-Kommunikation und Erlebnisse, die alle Sinne ansprechen und einen echten Nutzwert bieten, stehen hoch im Kurs – sind sogar absolut nötig, um den stationären Handel künftig zu legitimieren.
Ein entscheidender Nutzwert für den Kunden wie für die Identitätsbildung eines Stores ist das Aufbereiten von Wissen und das gezielte Kuratieren von Waren, wie es im Vélo7 Cycle Shop gelungen ist. Die Planer von mode:lina interpretierten das Fahrrad hier als ein Baukasten-Produkt und liefern eine übersichtliche Komponenten-Auswahl.
Hilfestellungen beim Filtern eines Angebotsspektrums können neben aufschlussreichen Grafiken und übersichtlichen Displays digitale Assistenten liefern. Neben digitalen Informationsdisplays wird es Betreibern künftig möglich sein, Stores mit Smart Mirrors und autonomen Robotern auszustatten, die helfen, das gewünschte Produkt leichter zu finden.
Inspirations- und Trendquelle
Weitere digitale Tools wie Beacons, die über das Tracken von Handys Daten sammeln und via App durch den Store und sein Warenangebot navigieren, kommen in Kaufhäusern wie Macy‘s and Barneys längst zum Einsatz.
Ebenfalls auf den Markt drängen Self-Scanning-Counter und Self-Checkout-Systeme, welche eine tradierte Kassenzahlung überflüssig machen. Den Innenarchitekten fällt hierbei die Verantwortung zu, die neuen Assistenten nicht einfach nur zur Shop-Ausstattung hinzuzufügen, sondern sorgfältig zu integrieren und damit physisch zu gestalten. Wie viel Technologie sinnvoll ist, steht in direkter Abhängigkeit zur Zielgruppe. Grundsätzlich gilt aber: Digitale Devices sind nicht das Allheilmittel, sie können genauso gut Barrieren aufbauen.
Jonathan Chippindale, CEO der Kreativtechnologie-Agentur Holition, sagt: “Wenn Kunden in einem realen Verkaufsraum auf ein iPad schauen, werden sie um ein echtes, physisches Kauferlebnis gebracht.“ Der potenzielle Käufer will von dem Store seiner Wahl inspiriert werden, unter Gleichgesinnten auf unterhaltsame Weise etwas lernen und erwartet einen einfallsreichen Service .
„Digitale Devices sind nicht das Allheilmittel, sie können genauso gut Barrieren aufbauen“
Um im Rahmen dieser Anforderungen schnell auf Trends reagieren zu können, wird die Zielgruppe immer mehr in Entwicklungsprozesse einbezogen.
Ausgehend von der Verschmelzung von Verkaufs- und Produktionsflächen (mit Schau-Werkstätten) sowie umfangreichen Eventprogrammen werden aktuell die Konzepte von Innovation Boutiques und Finishing Salons gehypt. Auf sogenannten Gateway Spaces wie im Lego Flagshipstore in Billund, gestaltet von BIG, können Kunden ihrer Kreativität freien Lauf lassen und der Marke Anregungen für neue Produkte liefern.
Zu tatsächlichen Co-Creators werden sie in Finishing Salons: Firmen liefern hier Produkte, die erst mit der Hilfe des Kunden ihr Finish (Farbe, Form, Duft, etc.) erhalten. In beiden Fällen entstehen kreative Plattformen, die dem Verbraucher die Gelegenheit bieten, sich als aktiver Teil einer Community zu fühlen.
Katie Baron, Trendscout von Stylus (spezialisiert auf Innovationsstrategien für Retail), ist überzeugt, dass der Einzelhandel künftig das kulturelle Leben mitgestalten wird: „Innovation Boutiques definieren nicht nur eine lukrative neue Welt des gemischten Einzelhandels, sondern können auch auch auf kulturelle Veränderungen reagieren.“
Multifunktionsräume
Beispielhaft für die Umsetzung eines Finishing Salons ist der temporäre Essence Maker Shop von Dfrost. An Do-it-yourself-Stationen kann man selbst Lipglosse einfärben oder sich Nagellacke anmischen lassen.
Für das perfekte Instagram-Bild und Veranstaltungen jeder Art dient eine Community-Lounge, in der unter anderem ein Hashtag-Printer Fotos ausdrucken kann, die mit dem Shop-Hashtag auch über Instagram und Twitter geteilt werden.
Um derart aufwendige Nutzungsprofile abbilden zu können, werden Verkaufsflächen zu Multifunktionsräumen, die Betreiber dazu befähigen, schnell Service- und Präsentationskonzepte sowie Sortiment und Raumnutzung zu wechseln.
„Der Kunde ist ist online wie offline der effizienteste Markenbotschafter.“
Wichtig ist dabei, für jede Aktivität ausreichend Bewegungsraum sowie die passende Ausleuchtung vorzuhalten und sich außerdem bewusst zu machen, dass es auf die authentische Vermittlung eines Lifestyles statt auf die Vorratshaltung von Produktmassen ankommt.
Allein der Kunde steht im Zentrum der Betrachtung, denn er ist online wie offline der effizienteste Markenbotschafter.
Eine harmonische Verschränkung von online und offline ist in der Lage, das Store-Image zusätzlich zu prägen und Markenversprechen zum Leben zu erwecken. Um die Metamorphose des Einzelhandels erfolgreich zu meistern, müssen Händler im realen Raum Informationsvermittlung und Service, Freizeitangebote und Kommerz gleichermaßen ausgeprägt an die Kundschaft herantragen. Innenarchitekten können einen wesentlichen Teil zum Gelingen beitragen.
Der Verkaufsraum von morgen wird eine multifunktionale Präsentationsfläche und eine interdisziplinäre Kommunikationsplattform sein, die uns alle offline wie online zum Co-Creator, Community-Member und Markenbotschafter macht.
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