Zur Senkung der CO2-Emissionen raten Experten auch zur Reduzierung des Fleischkonsums. Damit einher gehen Bestrebungen, einige der Nebenprodukte der Fleischindustrie, wie zum Beispiel Leder, mittelfristig durch mögliche Alternativen auf der Basis natürlicher Wertstoffe zu ersetzen.
Natürliche Wertstoffe
Als einer der ersten kam Hannes Parth, Gründer des Unternehmens Frumat aus Bozen in Südtirol, auf die Idee, natürliche Wertstoffe, die bei der Apfelsaftherstellung anfallen in eine lederartige Alternative für Taschen umzuwandeln.
Der sogenannte Apfeltrester besteht aus Stengeln, Kernen, Schalen und Fasern, zum überwiegenden Teil Zellulose also, die sich als Ressource wunderbar für die Erzeugung eines textilen Materials eignet. Die Reste werden zunächst getrocknet, in ein feines Pulver überführt, mit einem Biokunststoff gemischt und schichtweise auf einen Trägerstoff wie Baumwolle aufgetragen.
Bei Temperaturen um die 130 °C verschmelzen die Komponenten miteinander. Eine abschließende Prägung sorgt dafür, dass das Material in seiner Erscheinung wie tierisches Leder wirkt. Zunächst fand das Material vor allem Verwendung im Modebereich und für Taschen.
Aktuell arbeitet das Unternehmen daran, das Material für Interioranwendungen im Automotivebereich und im Wohnumfeld zu qualifizieren. Zur Gewährleistung der Stabilität kommen dabei allerdings Kunststoffe wie Polyurethangewebe als Trägerstoff zur Anwendung.
Ähnliche Ansätze verfolgen auch die Unternehmen Fruit Leather aus Rotterdam, mit einer Lederalternative auf Basis von Mangoabfällen von Wochenmärkten und Schiffscontainern, oder die Firma Vegea aus Mailand.
Hier wurde ein Weg gefunden, den Trauben-Trester, der bei der Weinherstellung anfällt, in ein textiles Material zu überführen. In einem patentierten Verfahren entstehen lederartige Textilien, die sich im Interior hochwertiger Fahrzeuge wiederfinden, aber natürlich auch im Modebereich zum Einsatz kommen.
Green Product Award
Die vorerst letzte Entwicklung dieser Art wurde Ende März mit einem der Green Product Awards ausgezeichnet: eine Lederalternative aus Kaktus. Das Unternehmen Desserto stammt aus Zacatecas in Mexico und wurde von Adrián López Velarde und Marte Cázarez gegründet. Dort werden die Blätter von Nopal-Kakteen geerntet und in eine textile Lederalternative überführt.
Unter freiem Himmel werden die Blätter zunächst getrocknet, die Pflanzenzellulose zu einem Pulver zermahlen. Dieses wird anschließend mit einer patentierten Zusammensetzung in die vegane Lederalternative überführt.
Dabei arbeiten die Erfinder mit einem Trägermaterial aus Baumwolle, auf das die Nopalfasern aufgebracht werden. Nach Aussagen der Entwickler soll dieses Material vollkommen auf natürlichen Rohstoffen basieren. Es werden weder Herbizide noch Pestizide verwendet. Das verbleibende organische Kaktusmaterial wird anschließend in die Lebensmittelindustrie exportiert.
Technische Gewebe aus Fasern
Dass sich die Blätter von Kulturpflanzen wie Ananas aufgrund ihrer langen Fasern für hochbeanspruchte textile Stoffe (Taschen, Schuhe oder Polstermöbel) eignen, zeigt die Designerin Carmen Hijosa mit ihrem Unternehmen Ananas Aman und ihrem Pinatex-Material bereits seit einigen Jahren.
Nun haben Schweizer Entwickler das weltweit erste technische Gewebe aus Fasern der Bananenpflanze vorgestellt und eine daraus produzierte Taschenkollektion auf den Markt gebracht. Nachdem die Unternehmensgründer zur Entwicklung eines technischen Textils aus Naturfasern einige Jahre mit Bambus- und Hanffasern experimentiert hatten, um neben der Flexibilität auch die notwendige Standfestigkeit zu gewährleisten, stießen sie im philippinischen Hochland zufällig auf den Bananenhanf Abacá.
Dieser wird in Südostasien vor allem zu hochwertigem Papier, Seilen oder Fischernetzen verarbeitet. Mehrere Zentimeter breite Faserstränge der Blätter werden zunächst in der Sonne getrocknet, anschließend in einer Zellulosefabrik gekocht und zu Platten verpresst. Um besonders glatte Fasern zu erhalten, geht man einen Umweg über die Papierproduktion.
Das Papier wird in Streifen geschnitten, zu Garn versponnen und in einer Weberei zu ‚Bananatex‘ verarbeitet. Es wird mit natürlichem Bienenwachs beschichtet und ist wasserabweisend. Zur Bereitstellung einer echten Alternative zu synthetischen Geweben bietet das Taschenlabel Qwstion die Entwicklung als Open–Source–Projekt an. Denn auch andere Marken sollen ermutigt werden, auf synthetische Fasern zu verzichten und natürliche Wertstoffe zu verwenden.
Dr. Sascha Peters
Kolumnist
ist Geschäftsführer der Zukunftsagentur Haute Innovation in Berlin. Mit seiner Expertise als Innovationsberater, Autor und Produktentwickler zählt er zu den renommierten Material- und Technologieexperten in Europa.