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Guanzhong Liu – der Wegbereiter

Letter from Shanghai
Guanzhong Liu – der Wegbereiter

Guanzhong Liu - der Wegbereiter
Guanzhong Liu

Der Begründer des chinesischen Industriedesigns genießt in China hohe Anerkennung. Guanzhong Liu im Gespräch mit md.

Guanzhong Liu hat als erster chinesischer Student in Deutschland studiert. Seit seiner Rückkehr befasst er sich intensiv mit Ausbildungsfragen und spielt auch seit einigen Jahren auf politischer Ebene eine wichtige Rolle für die Entwicklung des chinesischen Industriedesigns.

Yang: Sie haben den gesamten Prozess, den die Entwicklung des Industriedesigns in China durchlaufen hat, begleitet. Auf welche Erfahrungen blicken Sie zurück?

Guanzhong Liu: Als Kinder haben wir viele Skizzen vom Bund in Shanghai gemacht, der langen Uferstraße, an der noch viel westliche Architektur aus der Kolonialzeit steht. 1961 erhielt ich die Erlaubnis, an der Central Academy of Art fünf Jahre lang Design zu studieren. Dieses Studium war für mich von ausschlaggebender Bedeutung, weil ich gelernt habe, wie man ein Produkt aus verschiedenen Gesichtswinkeln heraus entwickelt und so lange vereinfacht, bis es perfekt ist.

Meine Abschlussarbeit fiel in das Jahr, in dem die Kulturrevolution begann: Ich musste ein Möbelprogramm für Bauern in Beijing entwerfen und alles selbst von Hand herstellen. Da kam mir die Idee, dass wir die Produkte stärker an der Praxis orientieren und man zum Beispiel bedenken müsse, was für Möbel die Bauern wirklich brauchen und wo diese ihren Platz finden sollen. Damals dachten wir, dass die Länder des Westens ökonomisch weit hinter China her hinken. Nachdem ich aber erstmals ein westliches Land betreten hatte, sah ich, dass das Gegenteil der Fall war.
Nach meiner Rückkehr aus dem Ausland bot man mir 1984 die Leitung des Industrial Art Department an. Ich betone immer wieder, dass Industriedesign das Leben der Menschen verändern kann. Gutes Design ist allerdings mehr als nur das Aussehen eines Produkts zu verändern.

Yang: In der Ming-Dynastie erreichte die chinesische Handwerkskunst ihren Höhepunkt. Später hinkten wir 100 Jahre hinter den westlichen Industrieländern in der Entwicklung her. Heute, nach den Reformen und der Öffnung, sind die Chinesen von der Vielfalt westlicher Produkte wie geblendet. U.a., weil wir unser Gespür dafür verloren haben, was wir wirklich brauchen. Auf dem chinesischen Festland werden die begehrtesten Produkte westlicher Konkurrenten kopiert. Ein Phänomen, das eng mit der “Designlücke” von vor einhundert Jahren zusammenhängt. Warum also produzieren so viele Chinesen nur oberflächliches Produktdesign?

Guanzhong Liu: Sicherlich kaufen viele der Neureichen auf dem Festland extreme teure Produkte nur, um mit ihrem Reichtum zu protzen. Im Westen hingegen werden die Verbraucher vernünftiger. Man muss aber auch einräumen, dass die Unternehmer eher geneigt sind, ein Produkt zu kopieren als neu zu gestalten, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Das Phänomen des kurzfristigen Profits ist abnorm und verweist auch noch auf etwas anderes: das chinesische Bildungssystem. Wenn es uns nicht gelingt, eine gute Plattform zu schaffen, auf der eine Karriere in der Industrie möglich ist, wird in unserem Land nie gutes Design entstehen.

Yang: Die Italiener nutzen ihr traditionell starkes Kunsthandwerk zum Beispiel zur Herstellung hervorragender Handtaschen. Die deutsche Automobilindustrie genießt weltweit einen exzellenten Ruf und das gleiche gilt für die digitalen Geräte aus den USA. Glauben Sie, dass China eine Chance hat, sich einen Namen als innovative Industrienation zu machen?

Guanzhong Liu: Der Präsident des British Design Committee hat einmal gesagt, dass die Situation in China ziemlich einzigartig sei. Die Chinesen werden dann mehr Erfolg als andere haben, wenn China seine beispiellosen Schwierigkeiten überwinden kann.

Yang: Heute konzentrieren sich chinesische Designer stark auf traditionelle chinesische Elemente. Entspricht dieser seltsame Trend nicht einem ethischen Ego und einer gewissen Selbsterniedrigung in Sachen Design?

Guanzhong Liu: Ich glaube, die wirklich traditionellen Elemente und Stilarten müssen aus einer soliden Basis erwachsen. Geht man systematisch an die Dinge heran, dann ist die Struktur eines Produkts viel wichtiger als seine einzelnen Elemente. Der Ferrari von heute hat nicht viel mit den Säulen aus den Zeiten des alten Rom zu tun. Die Geschichte hat gezeigt, dass Tradition mehr sein sollte als eine Schöpfung und weniger als ein Erbe. Wenn man seine traditionelle Kultur respektiert, dann bedeutet das nicht, dass man auf ewig an einem überholten Stil kleben muss. Wie Sie sagten, dieser seltsame Trend ist nur ein Syndrom, das durch ein ethisches Ego und Selbsterniedrigung erzeugt wird.

Yang: Haben Sie einen Traum?

Guanzhong Liu: Ich hoffe, dass Industriedesign zu einer unabhängigen Form findet. Die menschliche Zivilisation hängt nicht allein von Wissenschaft und Kunst ab. Die Menschen versuchen, ein Problem zuerst durch Design zu lösen; deshalb sollte es zumindest eine eigenständige Existenzberechtigung haben. Die Reife eines Landes basiert auf dem Verständnis für Design.

Yang: Ich meine, dass das Verhältnis zwischen Objekt und Objekt durch Ingenieure und Wissenschaftler gelöst werden kann, das Verhältnis zwischen Menschen und Menschen von Politikern und Künstlern, und das Verhältnis zwischen Objekt und Menschen von Designern.

Guanzhong Liu: Da haben Sie Recht.

md-Korrespondent Jamy Yang berichtet aus Shanghai

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Der Designer an der Academy of Arts and Design, Tsinghua University 

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