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Wolfgang Zeh baut Wohnhaus mit Büro

Wohnhaus mit Büro von Wolfgang Zeh in Köln
Leben im Zwischenraum

Wer könnte besser über das „Anders Wohnen“ berichten als der Architekt Wolfgang Zeh. Der Kölner ist mit seiner inzwischen vierköpfigen Familie und seinem Büro in ein Gebäude gezogen, das auf einer nur 3 m breiten Baulücke entstand.

Kritik: Uta Winterhager

Wo kein Platz war, hat Wolfgang Zeh ihn geschaffen. Dabei hat er sich von Konventionen verabschiedet, hat sich Sehgewohnheiten zunutze gemacht und keinen Zentimeter verschenkt. Vor allem aber hat er sich Zeit für die richtige Lösung genommen. Wann immer es hakelig wurde – und das war häufig der Fall –, hat der gelernte Tischler selbst Hand angelegt.

Nachverdichtung par excellence

Wolfgang Zeh sitzt am Laptop im Büro. Durch das große Fenster schräg hinter ihm schaut man auf die Lärmschutzwand der Eisenbahntrasse Köln–Aachen, über seine linke Schulter auf die Ziegel der Brandschutzwand seines Hauses, davor reichen filigrane Stahlstreben bis zur Sichtbetondecke. Was sie tun, wird an späterer Stelle noch geklärt.

Gesucht hatten Wolfgang Zeh und seine Frau eigentlich nichts für sich selbst, als sie 2010 im Netz zufällig über das mit einer Garage bebaute 35 m² große Grundstück in der Hüttenstraße stolperten. „Das Ding war einfach erschwinglich“, sagt er und kaufte ohne Angst, damit etwas falsch zu machen. Dann begann das, was er Tüfteln nennt, nicht einfach Entwerfen. Dabei fragte er nicht, was wollen wir, was brauchen wir, sondern: Was geht hier überhaupt? Was für eine Zukunft plant man in einem solch engen Rahmen?

Wolfgang Zeh, Nachverdichtung, Baulücke
Das Gebäude, in dem Wolfgang Zeh mit seiner Familie wohnt und sein Büro betreibt, fand in einer nur 3 m breiten Baulücke Platz. Foto: Wolfgang Zeh

Was geht hier überhaupt?

Wolfgang Zeh kompensierte den knappen Raum – 3 m lichte Breite und 10 m Tiefe, von denen 7 bebaut werden durften – mit viel Zeit. Zwei Jahre tüfteln, dann acht Monate viel erklären und warten auf Genehmigungen. Nach drei Jahren schließlich wurde gebaut, zwei Jahre Rohbau, ein Jahr Fassade, bis er 2017 begann, das Haus als Büro zu nutzen. Inzwischen ist aus dem Paar eine Familie mit zwei kleinen Töchtern geworden, die auf knapp unter 80 m² Wohnfläche auf sechs Ebenen plus Dachterrasse, Keller und Hof lebt.

Ein Kompromiss macht alles andere einfacher

Vor allen anderen Entscheidungen musste der Weg nach oben so organisiert werden, dass durch die Treppe so wenig Raum wie möglich verloren ging. Bald war auch klar, dass die hintere Fassade, die wegen der notwendigen Abstandsflächen mit zunehmender Höhe weiter nach innen versetzt werden musste, ab der zweiten Etage geschlossen sein sollte und dass auch das Schlafzimmer auf der Straßenseite liegen muss.

Wolfgang Zeh, Nachverdichtung, Baulücke
Heute sitzt in den Bahnbögen ein Schrotthändler. Daneben befinden sich Shops und Künstlerateliers. Ein Hauch von Boheme am Rand von Köln-Ehrenfeld. Foto: Wolfgang Zeh

Nutzungen und Ebenen miteinander verschränkt

„Anders als sonst üblich beim vertikalen Wohnen entwickelten sich die Nutzungen in der Baulücke nicht von unten nach oben, von öffentlich zu privat, eine Erkenntnis, die Zeit brauchte. Wir sprechen hier auch nicht von Räumen, sondern von Nutzungen oder Ebenen, die miteinander verschränkt sind.“ Wolfgang Zeh dreht sich kurz um und entnimmt aus dem Regal hinter sich ein Schnittmodell, um daran die Organisation des Hauses zu erläutern: dreimal zwei Ebenen, die unteren beiden zum Ankommen und Arbeiten, in der Mitte liegen die privateren mit Schlafräumen für Eltern und Kinder sowie das Bad. Ganz oben befinden sich die Wohnküche und eine Wohnebene mit Ausstieg zur Dachterrasse.

Gespür für die Wirkung von Räumen

Baurechtlich verfügt das Haus über drei Etagen und drei Emporen, und da oberhalb und unterhalb von Emporen auch in Aufenthaltsräumen eine niedrigere Raumhöhe zulässig ist, beträgt die im ganzen Haus 2,20 m. Um das zu demonstrieren, steht Wolfgang Zeh kurz auf und fasst an die Sichtbetondecke. Hoch ist das nicht, wirkt aber durch die Lufträume und die großen Fensterflächen alles andere als bedrückend. Der Architekt nennt das eine „geschickte Auslegung der Vorschriften“. Dazu kommt auf seiner Seite aber auch ein enormes Gespür für die Wirkung und Wahrnehmung von Räumen.

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Das EG wirkt im hinteren Teil durch den Luftraum und die Verglasung hell und weit. Der Hof weist eine verspiegelte Rückwand auf. Foto: Wolfgang Zeh

Die Architektur ist auch die Innenarchitektur

Um die volle Grundstücksbreite auszunutzen zu können, wurden die mit den Nachbarn rechts und links geteilten Brandwände an sechs Stellen geschlitzt. Dort sitzen nun bündig Betonpfeiler für das Tragwerk und ein Schacht für die Haustechnik. Die Spannweite dazwischen entspricht genau der Länge von zwei Schaltafeln. Was und wie gebaut wurde, sieht man, nichts ist kaschiert, Altes neu verfugt oder geschlämmt, so konsequent wurde hier um jeden Zentimeter gefeilscht. Somit ist die Architektur auch die Innenarchitektur, eine Fensterbank aus Douglasie nie nur eine Fensterbank, sondern mit 60 cm Tiefe auch Sitzbank oder Kinderwerktisch.

Luftraum, Hof, Schuppen

Jetzt nimmt der Architekt den Laptop und geht nach unten in die Lobby, wie er das EG bezeichnet. Nur hier ist die Straßenseite geschlossen. Die Haustür und ein kleiner Lüftungsflügel sitzen in einer Zinkblechfassade, die ein wenig an die alte Garage erinnert. Sie bietet ein bisschen Privatsphäre in einer Straße, „in der noch viel mehr passieren kann“. Wer das schmale Haus von der Straße aus betritt, merkt, wie niedrig und dunkel der erste Raum ist. Hinten wird es mit dem Luftraum und der über die gesamte Breite gehenden Verglasung unerwartet hell und weit. Hinter der Schiebetür befindet sich der Hof, der eigentlich nur halb so groß ist, wie er erscheint. Als „Taschenspielertrick“ bezeichnet der Architekt die verspiegelte Rückwand, mit der er den Hof doppelt so groß erscheinen lässt. Gut versteckt dahinter ist ein Schuppen. Er wurde passgenau für Mülltonnen und Fahrradanhänger angefertigt.

Wolfgang Zeh, Nachverdichtung, Baulücke
Die Architektur ist zugleich die Innenarchitektur. So funktioniert zum Beispiel eine Fensterbank aus Douglasie mit ihrer Tiefe von 60 cm ebenso als Sitzbank. Foto: Wolfgang Zeh

Schall- und Sonnenschutz

Die oberen Ebenen orientieren sich nach vorne zur Straßenseite, die auch Süd- und Bahnseite ist. Die Fassade muss den dadurch notwendigen Schall- und Sonnenschutz leisten und einen zweiten Rettungsweg bieten. Zeh hätte hier auf eine Systemfassade zurückgreifen können, baute sie aber schließlich selbst. Wahnsinn, sagt er heute dazu, trotzdem ersparte es ihm erhebliche Kosten. Zeit sicher nicht. Denn entwickelt hat er die Fassade erst, als der Rohbau stand. Sie ist nicht einfach geschoss- oder ebenenweise gegliedert, sondern greift darüber hinweg, sitzt vor Brüstungen und Stürzen.

Wolfgang Zeh sieht Wohnen als Prozess

„Wenn die Werte jetzt nicht so sind, wie geplant, bin ich selbst schuld“, sagt Wolfgang Zeh. Inzwischen sitzt er wieder am Schreibtisch und hebt den Rechner in die Höhe, um durch einen Kameraschwenk den bündigen Anschluss des Holzfensterrahmens an die Decke zu zeigen. Auch hier wurde kein Zentimeter verschenkt, sogar die Vorhangschiene ist eingelassen. Zeh lacht und bemerkt: „Man hätte auch daran denken können, sie direkt in die Decke mit einzugießen.“ So lieh er sich eine Diamantfräse und schlitzte die Decke nachträglich ein. Er habe sich abgewöhnt, immer schon möglichst früh in der Planung wissen zu wollen, wie alles wird: „Für mich ist es völlig in Ordnung, wenn ein Haus nie fertig ist, auch wenn das jetzt vielleicht reißerisch klingt. Wohnen ist auch ein Prozess.“ Deshalb entschied sich Vieles auf der Baustelle.

Möblierung auf Maß

Der Arbeitsbereich alleine verfügt über 8 m² Fläche. Normalerweise sitzen Zeh und seine Kollegen ohne Weiteres zu dritt an dem langen Arbeitstisch. Der ist so tief wie ein Laptop und ein Blatt Papier. Dass die 66 cm ausreichen, sagte ihm die Erfahrung, die Norm sieht 14 cm mehr vor. Aber von Standards hatte sich der Architekt längst verabschiedet. Er arbeitete die Möblierung auf Maß. Das für diese Situation entwickelte Regalsystem mit den feinen Stahlstreben vom Boden bis zur Decke findet sich im ganzen Haus, als Bücherregal im Arbeitsbereich, in der Lobby, aber auch in der Küche. Es verkörpert „so etwas wie ein Geländer“.

Wolfgang Zeh, Nachverdichtung, Baulücke
Dort, wo es in den Keller geht, und rund um das Bad ist die Treppe jetzt mit Douglasie verkoffert. Foto: Wolfgang Zeh

Wolfgang Zeh schwenkt die Kamera und geht ein paar Stufen nach unten. Oben ein offenes Regal, unten so etwas wie eine Garderobe. Dabei fällt der Blick auf die Ansichtskante der Bodenplatte. Die erscheint fast unheimlich dünn. „14 cm Beton – mehr braucht es halt nicht.“ Auch keinen Belag oder Schallschutz. Die Heizung liegt in der unteren Bewehrungsebene.

Zeit und Lust zum Experimentieren

Dieses Haus, das so vielfach ausgezeichnet wurde, sei kein Prototyp und auch kein Allheilmittel für 3 m breite Baulücken, sagt der Architekt, dafür sei es zu stark vom Kontext geprägt. So ist es wohl seine Haltung, Einschränkungen als Chance zu begreifen, Wohnverhältnisse radikal zu überdenken, sich etwas zuzutrauen, die den Erfolg dieses Projekts begründet.

Dass das Haus anstrengend ist und sicher nichts zum Altwerden, wusste das Ehepaar Zeh. Dass es auch als Büro und als Werkstatt funktioniert, zeigt die Erfahrung. Und natürlich leistet dieses extrem ressourceneffiziente Gebäude auch einen Beitrag zur nachhaltigen Nachverdichtung dieser unaufhaltsam wachsenden Großstadt. Aber leider braucht man gerade für das Bauen auf Grundstücken wie diesem Zeit und Lust zu experimentieren – zwei Güter, die in der Stadt meist genau so knapp sind wie der Platz.

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Fakten

Projekt: Wohnhaus mit Büro
Standort: Hüttenstraße 22a, 50823 Köln
Bauherr: Wolfgang Zeh, Köln
Architekt: Wolfgang Zeh, Köln, Webseite des Architekten

Bauzeit: 2011–2018
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Jürgen Bernhardt, Köln
Bauphysik: Jürgen Bernhardt & Energiebüro vom Stein, Köln
Brandschutzplanung: Kölnbrandschutz, Corinna Laqua, Köln
BGF: 130 m²
Wohnfläche: 80 m²
Zusätzliche Nutzfläche: 25 m²
BRI: 394 m³
Baukosten: 175 000 Euro (gem. DIN 276 KG 300+400, inkl. MwSt.)
Heizwärmebedarf: 33,4 kWh/m²a
Primärenergiebedarf: 37,5 kWh/m²a
Heizung: Luft-Wärmepumpe
Beteiligte Firmen: Rohbau: Gebr. Cantavenera Bauunternehmung, Köln; Elektro: Brenne Elektrotechnik GmbH, Köln, www.brenne-elektrotechnik.de; Heizung/Sanitär: Dirk Kugelmeier, Bonn, www.dkugelmeier.de; Dach und Fassade: Dachdeckerei Herr, Kall; Haustür: Holzmanufaktur Bonn, Bonn, www.holzmanufaktur-bonn.de


Der Architekt Wolfgang Zeh

2002-08 Architekturstudium an der Bauhaus-Universität Weimar. 2008-10 Mitarbeit bei verschiedenen Architekturbüros. 2010-14 Arbeitsgemeinschaft mit Moritz Kaiser und Kai Beck. Seit 2011 eigenes Büro. 2012-13 Assistenz an der Bauhaus-Universität Weimar. Seit 2013 Assistenz an der RWTH Aachen.


Die Autorin Uta Winterhager

1992-95 Architekturstudium an der RWTH Aachen, Diplom. 1997 Architekturstudium an der London Bartlett School, Master. 1997-99 Mitarbeit bei Studio Two, London. Seit 2000 freie Autorin für verschiedene Fachzeitschriften und Plattformen, u. a. Bauwelt, db deutsche bauzeitung, Die Zeit und das UAA, Köln. Seit 2012 Redakteurin und heute Chefredakteurin beim Online-Magazin koelnarchitektur.de. Seit 2015 Buchautorin.

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