Autor: Rudolf Schricker
Der Einfluss räumlicher Umgebungen auf das Denken, Empfinden und soziale Verhalten im Bildungssektor ist unbestritten. Aber wie soll Freude am Lehren und Lernen in den bereits gebauten, jedoch oft rücksichtslosen Raumrealitäten entstehen?
Raumumgebung die Pädagogik
Gestalter und Planer von Bildungseinrichtungen suchen händeringend nach Raumkriterien, die den Veränderungen in der Bildungslandschaft Rechnung tragen. Nach wie vor fehlen Schnittstellen zwischen der Forschung einer architekturpsychologischen und einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Sie sollen fundiert argumentativ belegen, wie die Raumumgebung die Pädagogik unterstützen kann und aufzeigen, inwieweit Luft, Temperatur, Hygiene, Beleuchtung, Akustik und Personen im Raum auf Interaktionen und Verhalten Einfluss auf moderne Lernlandschaften nehmen können.
Konzepte im Bestand
Die meisten Bildungsräume entstanden nach Richtlinien früherer Zeiten. Nur vereinzelt ist bisher der Einfluss von Reformpädagogik und erziehungswissenschaftlichen Innovationen auf die Gestaltung von Bildungsbauten erkennbar. Der laufende Transformationsprozess in den Schulen stellt jedoch alle vor hohe Hürden. Viele Anforderungen müssen hier vereint werden: ansprechende Lernräume mit angebundenem Ganztagesbetrieb, Digitalisierung, Individualisierung, Inklusion, Migration und räumliche Organisationsmodelle. Zu prüfen gilt es auch, ob sich neue Konzepte im Bestand realisieren lassen oder die Abrissbirne droht.
Flexibilität von Bildungsräumen
Ein ideologiefreies Verständnis für den Arbeitsraum Lehrender und den Erlebnisraum Lernender wäre notwendig, sodass Interaktionen und Räume pädagogische Konzepte unterstützen und sicher argumentiert in Entwurf und Planung einfließen können. In der Folge gilt es zu prüfen, ob die geforderte Flexibilität von Bildungsräumen bezüglich ihrer Größe, Form und Funktion und die damit erhoffte Wechselwirkung im täglichen Bildungsauftrag gegeben ist.
Weitsicht in der Planung und Mut bei Entscheidungen können helfen, solche veränderbaren Prinzipien sowie offene Unterrichtsformen in bestehenden Gebäuden zu integrieren. Dabei sollten Lehrkräfte und Lernwillige einbezogen werden. Worauf also noch warten?
Akzente für zukünftige Lernumgebungen
Gebremst wird die Reformeuphorie häufig von komplexen und entmutigenden Bedenkenträgern. Bisher gibt es nur vereinzelt konzertierte Aktionen aller Beteiligten und Beispiele gelungener Revitalisierung sowie Umbauten. Sie setzen bedeutende Akzente für zukünftige Lernumgebungen und vereinen dabei viele Komponenten: Geborgenheit, Sicherheit, Wohlbefinden, Zusammenhalt, symbolische Identifikation sowie erfahrbare Unterstützung durch ein Wechselfeld von Konzentration und Entspannung. Jüngste Forschungsergebnisse im pädagogisch-wissenschaftlichen und architekturpsychologischen Kontext weisen der räumlichen Lehr-Lernunterstützung einen besonderen Stellenwert zu.
Moderne Lernlandschaften: praktische Umsetzung
Das betrifft den Grundriss, die Einrichtung und das Mobiliar, die Stimulation aller Sinne, gesunde raumklimatische Bedingungen – Licht, Akustik, Luftqualität, Temperatur, Farb- und Materialwirkung – und Zonen für Regeneration und Privatheit. Die Raumtheorie wartet auf eine praktische Umsetzung bei der Sanierung und im Neubau.
Moderne Lernlandschaften sollten mehr körperliche und geistige Bewegungsfreiheit zulassen. Proxemik – die räumliche Konstellation der Kommunikationspartner – und Interaktion gehören in jedes pädagogische Raumprogramm. Bildungsräume sollen eine evidente Wahrnehmungserfahrung bieten, die den Bezug zur Natur, zu Technik, zu Menschen und letztlich zu sich selbst fördern. Menschenzentriertes Design ist hier unabdingbar.
Das aktive Mitgestalten
Das Credo könnte lauten: Weniger Gestaltungsverordnung von oben, mehr Vertrauen in Gestaltungsverantwortung vor Ort. Eine größere Gestaltungsautonomie und ein wachsender Einfluss auf die Inszenierung generieren Selbstreflexion, Identifikation und Kommunikation. Das aktive Mitgestalten sorgt für einen bedachten Umgang mit anvertrauten Mitteln und führt zu weniger Vandalismus. Entsprechende Räume entstehen ja nicht nur in den Köpfen von Planern und mit den Händen von Ausführenden; sie werden nach Fertigstellung benutzt, gepflegt und neu konfiguriert durch das kreative Handeln der Akteure.
Bildungsbauten werden somit zu pädagogisch-architektonischen Chamäleons, mit Veränderungs- und Anpassungszielen. Die Metapher der „Bühne“ kann für die Bildung und ihre Ziele und Methoden wertvolle Anregung bieten. So könnten Lehrende und Lernende im Team und mit verteilter Verantwortung die Dramaturgie des Lernens im dafür gestalteten Raum mit wechselnder Szenografie umsetzen. Doch dafür ist Mut zum Experiment gefordert.
Wandel gesellschaftlicher Anforderungen
Moderne Lernlandschaften in einem Schulgebäude, einst für klassischen Frontalunterricht erstellt, lassen sich auch im Bestand realisieren. Das passiert, wenn man Grundrisse umstrukturiert, Technik und Statik optimiert, Alt und Neu verbindet und den Wandel gesellschaftlicher Anforderungen nach innen und außen erlebbar macht.
Technische Innovationen können unterstützende Begleiterscheinungen sein. Die KI verändert den Lehr- und Lernalltag. Gute Bildung funktioniert sogar in räumlicher Not, auch ohne Strom. Ideallösungen für „lernende“ statt „belehrende“ Bildungsbauten gibt es nicht. Der Raum steht nach den Lernenden und Lehrenden erst an dritter Stelle. Eins ist gewiss: Räume des Lernens bleiben unfertig und verändern sich permanent.
Rudolf Schricker
Kolumnist ist emeritierter Professor an der Hochschule Coburg, Dipl. Ing. Innenarchitekt BDIA mit Designbüros in Ditzingen und Coburg sowie Buchautor, Publizist und Gutachter.