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Frauen in der Gestaltung: Was wichtig ist

Wo sind die Frauen in der Gestaltung?
Was wichtig ist

Was wichtig ist
Wieso haben es Frauen in vielen Bereichen schwerer? Liegt es an unterschiedlichen Startbedingungen oder an ihnen selbst? Foto: Jozefmicic – stock.adobe.com
Ausstellungen, Bücher, Konferenzen: Auch im Design ist die Präsenz der Geschlechter ungleich verteilt. Wo sind die die Frauen in der Gestaltung? Woran das liegen könnte und über die vielfältigen Zusammenhänge reflektiert unser Kolumnist.

Autor: René Spitz

Ein neues Buch muss her! Unverzüglich. Die Menschheit wartet schließlich darauf. Denn Bilder, die noch nie gezeigt wurden, wollen gesehen werden. Und Aussagen, die noch nie verfasst wurden, wollen gelesen werden. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Dieses Buch wird eine wertvolle Bereicherung sein. Es wird die Lücke schließen, die im Regal der unendlichen Bibliothek schon so lange, allzu lange, klafft. Diese offene Wunde muss endlich geheilt werden, dann erst ist die Welt vollständig.

So ungefähr klingt es. Schon mal mit dem inneren Ohr gehört? Ein wenig Pathos, nicht zu wenig Selbstüberschätzung, dazu ein Schimmer Verblendung im Angesicht des gleißenden Schweinwerferlichts, in das wir uns imaginieren, wenn das Werk nur vollbracht ist: Das Buch veröffentlicht, der Vortrag gehalten, die Konferenz durchgeführt, der Podcast gesendet, die Story online.

Am Anfang steht oft eine charmante, spielerische Idee. Eine solche Mischung aus Hirngespinst und Gedankenblitz ereilte mich vor einigen Jahren: Ein neues Buch war unbedingt erforderlich, für das ich kurze Beiträge von 50 Frauen und 50 Männern aus der internationalen Designszene versammeln wollte. Ein Stegreif-Projekt, dachte ich: Personenliste aufstellen, Mails verschicken, Reaktionen editieren. Weit gefehlt. Um die Beiträge der 50 Männer zu erhalten, benötigte ich 53 Einladungen und wenige Wochen. Um aber 50 Beiträge von Frauen zu erhalten, benötigte ich 16 Monate und 108 Einladungen.

Frauen in der Gestaltung

Diese Differenz der Geschlechter zeichnete sich schon nach kurzer Zeit ab. Von den meisten Männern erhielt ich rasch eine Zusage (aber nicht genauso schnell die gewünschten Texte). Die meisten Frauen nahmen sich für ihre Antwort mehr Zeit. Ich musste oft nachfragen. Häufig erhielt ich von ihnen eine Absage mit dem Hinweis, dass sie zum Thema des Buchs nichts beizutragen hätten. Eine Designerin empörte sich, ich hätte sie nur deshalb angefragt, weil sie eine Frau ist, während ihr Büropartner kompetenter sei, aber seltener angefragt würde, nur weil er ein Mann ist.

Ratlos teilte ich meine Erfahrungen mit aktiven Netzwerkerinnen, die sich dafür engagieren, dass Frauen aus dem Design stärker präsent sind. Sie gaben mir lange Listen mit Namen von Designerinnen, die ich gründlich abarbeitete. An der Art der Reaktionen änderte sich dadurch nichts. Aus meinem Sprint-Projekt wurde ein Marathon.

Vergleichbare Erfahrungen habe ich mit der Besetzung von Podien und Panels gemacht. Aktuellste Beobachtung: Für eine Konferenz, die ich paritätisch mit je zwei Frauen und Männern besetzen wollte, habe ich zwei Männer und 23 Frauen eingeladen.

Vernetzung und gemeinsames Miteinander

Woran liegt es? Unstreitig sind die allgemeinen gesellschaftlichen Hindernisse für gleiche Präsenz, Position und Bezahlung, nicht nur im Design, wie gläserne Decken, Diskriminierung, Teilzeit als Anstellung zweiter Klasse. Übrigens versammelt Gerda Breuer in ihrem neuen Buch „HerStories in Graphic Design“ viele internationale Beispiele von Frauen, die sich unter noch stärker einschränkenden gesellschaftlichen Bedingungen im 19. Jahrhundert im Design durchgesetzt haben – das Erfolgsrezept der Frauen in der Gestaltung war Vernetzung und gemeinsames Miteinander. Dennoch wurde und wird über diese Designerinnen kaum gesprochen. Seit 150 Jahren stehen vor allem Männer im Rampenlicht.

Hinzu kommen gewiss auch spezifische Ursachen: Ich wähle unpassende Worte. Ich richte mich an die falschen Ansprechpartnerinnen. Die eingeladenen Designerinnen wissen ihre zeitlichen Ressourcen besser einzuschätzen. Sie sind bescheidener. Sie trauen sich weniger zu. Sie haben höhere Ansprüche an ihre Arbeit und an ihr Bild in der Öffentlichkeit. Sie sind durch Familienarbeit stärker belastet. Sie verdienen weniger und können sich deshalb Beteiligungen an Veranstaltungen und Veröffentlichungen nicht so oft leisten wie es Männer tun.

Andere Schwerpunkte

Die Erkenntnisse der ökonomischen Forschungsrichtung, die von der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Claudia Goldin begründet wurde, haben mit vielen Plattitüden aufgeräumt, die zur wirtschaftlichen Schieflage zwischen Männern und Frauen bestanden. Aus einer jüngst erschienenen Studie ergibt sich für meine Beobachtung eine weitere mögliche Erklärung: Im beruflichen Kontext vertreten Frauen teilweise andere Werte als Männer. Sie setzen zum Teil andere Schwerpunkte. Das Geldverdienen steht für sie nicht an oberster Stelle. So lautet zumindest das Ergebnis einer Studie unter Anwältinnen. Eine solche Untersuchung unter Designerinnen steht zwar noch aus. Aber der Verdacht liegt nahe: Männer, wir nehmen uns und unsere Arbeit zu wichtig. Und Frauen: Haltet zusammen! Zuletzt: Sollte es für die Gestaltung nicht egal sein, welchem Geschlecht jemand angehört?


Kolumnist

Prof. Dr. René Spitz lehrt an der RFH Köln Designwissenschaft. Seit 20 Jahren berichtet er als Designkritiker des WDR. Sein Interesse gilt der gesellschaftlichen Verantwortung der Gestalter.

Weitere Beiträge unseres Kolumnisten finden Sie hier

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