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Individuelle Maßnahmen für die Büroakustik

Individuelle Maßnahmen für die Büroakustik
Contra Störung

Contra Störung
In der von Kinzo Architekten gestalteten Firmenzentrale von Uhlmann Pac-Systeme korrespondiert der Kautschukboden ‚Noraplan uni‘ mit farbigen Einrichtungselementen. Sie bieten auch Rückzugsmöglichkeiten. Foto: Philip Kottlorz / Interface
Akustische Maßnahmen richten sich vor allem gegen die Sprachverständlichkeit. Sie beugen Störungen und damit Leistungseinbußen vor. Wer glaubt, Komplettlösungen in der Büroakustik seien das Allheilmittel, irrt. Individuelle Ansätze sind gefragt.

Autor Ahmet Çakir

Was lange währt, wird gut. Meistens. Wenn nicht, waren Stümper am Werk oder das Thema ist so komplex, dass es viele Lösungen gibt. Leider jeweils mit vielen Kompromissen.

Willkommen in der Büroakustik! Der amerikanische Akustikingenieur Paul Earls Sabine hat in seinem 1932 erschienenen Buch „Acoustics and Architecture“ fundamentale Prinzipien festgelegt. Er gab ihnen den Namen „ABC“ der Akustik der Architektur. Dabei steht „A“ für Absorption. wie heute auch. „B“ kommt aus dem Englischen und meint „blocking“ wie abschirmen, isolieren. „C“ steht für „control“, also die Beherrschung von Schallpegeln im umbauten Raum. Sein Onkel, der amerikanische Physiker Wallace Clement Sabine, hatte bereits zuvor, nämlich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, die Grundlagen der Raumakustik entwickelt.

Im Juli 2023 ist eine internationale Norm zum Thema erschienen, in der der Name Sabine über 100 Jahre nach dem Tod von Wallace wieder auftaucht. Die ISO/TS 9241–620 will mit einem ganzheitlichen Konzept das vervollständigen, was in den vorausgegangenen 100 Jahren an Fortschritten verzeichnet werden konnte. Diese waren zwar enorm, konnten aber nicht verhindern, dass „Lärm“ im Büro 2023 der störendste Umweltfaktor geblieben ist.

VDI 2569 „Schallschutz und akustische Gestaltung in Büros“

Man kann das in vielen Studien der letzten 50 Jahre nachlesen. Zudem gibt es eine Feststellung, deren Beweiskraft kaum zu wünschen übrig lässt. Die VDI 2569 „Schallschutz und akustische Gestaltung in Büros“, das ultimative Regelwerk für Büroakustik, führt in der jüngsten Ausgabe von 2019 aus: „Abschließend muss erwähnt werden, dass nur circa 30 bis 40 % der Belästigungswirkung aus Lärm durch technisch-akustische Faktoren erklärbar sind.“

Man kann also bei Ausschöpfung aller denkbaren Maßnahmen der technischen Akustik nie den größeren Teil der negativen Wirkungen angehen. Eigentlich ist das eine deprimierende Feststellung! Nicht so für die Ergonomie, weil zu deren Instrumentarium mehr als nur die technische Akustik gehört. Ergonomen dürfen und können das Verhalten von Menschen und von Organisationen beeinflussen. Genau das tut die neue Norm. Allerdings sind es die Betroffenen, die relevante Ziele erkennen und danach handeln müssen.

Dazu gehört zunächst, dass man nicht von Lärm im Büro spricht, sondern neutral vom Schall. Denn laut geht es in den meisten Büros hierzulande nicht zu, eher ist es zu leise. Und zwar so leise, dass man im Großraum Leute vom anderen Ende sprechen hört und versteht. Warum stören sich dann so viele daran?

Lärm besteht aus der menschlichen Sprache

Paradoxerweise, weil die Akustiker so erfolgreich waren. Praktisch alles, was einst laut war, existiert im Büro nicht mehr. Der heutige Lärm besteht aus der menschlichen Sprache, deren Störungen des Denkens und Handelns bei der Arbeit mit keinem anderen Faktor vergleichbar ist.

Fast alle Menschen lesen, schreiben und tippen, begleitet von der inneren Stimme, die fortwährend das Gesehene und Gedachte lautlos in Sprache umsetzt. Die fremde, von außen kommende Sprache stört die Menschen also mehr als lauter Lärm. Mittelbar wird das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt und damit die Arbeitsleistung.

Zusätzlich wirkt sich die gesprochene Sprache negativ auf die Arbeitsleistung aus, weil sie die Aufnahme der Information behindert, die heute in noch nie gekanntem Maß akustisch vermittelt wird. Das betrifft vor allem Gespräche, Telefonate und Videokonferenzen. Bemerkt jemand eine Störung, wird er automatisch selbst lauter. Das hat der französische Hals-Nasen-Ohren-Arzt Étienne Lombard vor über 100 Jahren entdeckt.

Doch der nach ihm benannte Lombard-Effekt ist nicht der einzige Faktor, den es zu kontrollieren gilt. So beschreibt der Irrelevant-speech-Effekt ein Phänomen des menschlichen Gedächtnisses. Demnach sinkt die Leistung während einer Gedächtnisaufgabe, wenn als Hintergrundgeräusch Sprache zu hören ist. Diesen Effekt der Büroakustik kennen insbesondere die Großraumbürobewohner bestens. Sie haben aber weniger schmeichelhafte Bezeichnungen dafür.

Sprechschall verhindern oder dessen Lautstärke mindern

Nicht verwunderlich, dass die neue Norm einerseits die Verständlichkeit von Sprache verbessern will, die zur Arbeit gehört. Andererseits will sie das Entstehen von Sprechschall verhindern oder zumindest dessen Lautstärke mindern. Da das alles erhebliche Eingriffe in die Büroumgebung bedeutet, ergeben Komplettlösungen keinen Sinn. Vielmehr besteht eine lange Reihe von Interventionsmöglichkeiten. Diese reichen vom schallschluckenden Teppichbelag bis hin zum Sprachtraining, durch das die Mitarbeiter leise sprechen lernen. Viele Eingriffe werden numerisch bewertet, sodass man sehen kann, ob diese in einem gegebenen Betrieb bedeutsam sein können.

Die Interventionsmöglichkeiten mit Blick auf die Büroakustik werden in Szenarien aufbereitet, die sich an der Informationstheorie orientieren. So bietet zum Beispiel die mittlerweile gut erprobte Videokonferenz sieben Punkte für eine Beeinflussung mit 21 Maßnahmen. Diese sind in technische, organisatorische und persönliche aufgeteilt. Mancher Eingriff ist mit hohen Kosten verbunden, etwa die Absenkung des Lärmpegels, während andere Maßnahmen nur Wissen erfordern, aber erhebliche Wirkungen entfalten. So kann man für eine Telefonkonferenz statt einer Telefonleitung mit 3,4 kHz ein Video-Codec benutzen. Es bietet Musikqualität und verursacht keine Mehrkosten.

Akustikbezogene Eingriffe können immer das Kommunikationsverhalten aller betreffen. Das gilt ebenso für das Licht und das Büroklima im Büro – meist im negativen Sinn.

Die Norm empfiehlt vor der Realisierung einer Aktion eine Analyse und eine Akzeptanzuntersuchung. Diese sollte man ohnehin immer vorsehen, weil viele den „Lärm“ nicht mehr geduldig ertragen, sondern sich ins Homeoffice flüchten können.


Kolumnist Dr. Ahmet Çakir ist Inhaber und wissenschaftlicher Leiter des Ergonomic Instituts für Arbeits- und Sozialforschung in Berlin und Gutachter.

Hier geht’s zu einer Kolumne von Ahmet Çakir über Firmenkultur

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