Autorin: Ute Laatz
An diesem fast 10 000 km vom Pariser Stammhaus entfernten Ort steht die besondere Verbindung von Christian Dior zur fernöstlichen Tradition im Mittelpunkt. Der gebürtige Japaner Shohei Shigematsu beruft sich dabei auf die nachweislich enge, symbiotische Beziehung, die der französische Modedesigner zu Japan zeitlebens wohl empfand und hielt.
So beschrieb der Nachfahre einer wohlhabenden Unternehmerfamilie in seiner Autobiografie „Dior und ich“, wie er bereits als Kind die japanischen Drucke im Treppenhaus seines Elternhauses stundenlang mit Bewunderung für deren zurückhaltende Eleganz und einzigartige Ästhetik betrachtete.
Und als wolle Shohei Shigematsu diesen kontemplativen Moment einfangen entführt er die Besucher der Retrospektive in Traumwelten, die dem Titel der Ausstellung mehr als gerecht werden. Das Schlüsselthema „Dior und Japan“ aufgreifend, lässt er die Besucher wie in einem japanischen Teegarten entlang gewundener Wege wandeln und dabei Kleider und Artefakte an sich vorbeiziehen. Als passender Hintergrund dient dabei ein Gewölbe aus zartem Reispapier, das sowohl als Referenz an die japanische Landschaft als auch an die raffinierten Strukturen der textilen Exponate gilt.
Hommage an die Tradition Japans
Shohei Shigematsu ist Partner von OMA New York, einer der Dependancen des legendären Rotterdamer „Office for Metropolitan Architecture“ der Architektenikone Rem Koolhaas. Seit mehr als zehn Jahren leitet der Wahlamerikaner Shigematsu das vielfältige Portfolio des Unternehmens in Nord- und Südamerika und zeichnet sich verantwortlich für eine ganze Reihe von Kulturprojekten.
Zu seinen derzeitigen Projekten zählen eine Museumserweiterung für das New Museum in New York City, eine Erweiterung der Albright Knox Gallery in Buffalo sowie ein Veranstaltungsraum für den Wilshire Boulevard Temple in Los Angeles. Aus seiner Feder stammten übrigens bereits die Inszenierungen der Dior-Exponate in Dallas und Denver.
Für die Tokioter Adaption der internationalen Wanderausstellung bediente sich Shohei Shigematsu der klassischen Mittel einer Theaterinszenierung. „Ausgangspunkt für jedes Bühnenbild war eine Gemeinsamkeit zwischen Dior und der japanischen Kultur, die sich in der Wertschätzung gegenüber allem Handwerklichen ausdrückt. Indem wir dieses gemeinsame Element in architektonische und zeitgenössische Formen übersetzen, schaffen wir eine gänzlich neue, dabei authentische Erzählung“, erläutert der Architekt.
Kleider sind Protagonisten
Die Dramaturgie fest im Blick beginnt für ihn in jedem Raum ein neuer Akt. Darin interagieren die Dior-Kreationen wie Schauspieler mit einem Bühnenbild. Florence Müller, Modehistorikerin und Fashion-Expertin, kuratierte die Ausstellung.
Die Roben des Couturiers sowie seiner kreativen Nachfolger erhielte eine adäquate Kulisse: ob gebettet in ein Meer aus papiernen Kirschblüten der Künstlerin Ayumi Shibata, begleitet und zauberhaft illuminiert von farbig gestalteten Reispapierleuchten oder auf einer sich über zwei Etagen erstreckenden meterhohen Pyramide thronend.
Unikate, einst für Heroinen wie Marilyn Monroe, Grace Kelly oder Natalie Portman entworfen und geschneidert, gerieren sich unter einem „Sternenhimmel“ selbst als Stars. Prototypen der Gewänder, die typischerweise im Schneideratelier aus weißer Baumwolle angefertigt werden, inspirierten den Architekten Shohei Shigematsu einer Inszenierung, die an feines Porzellan erinnert.
In weißen Regalen auf Büsten neben- und übereinander ausgestellt und jeweils mit Lichtspots zum Leuchten gebracht, faszinieren die Kreationen mit ihrem Detailreichtum.
Die ikonische Handtasche „Lady Dior“, die einst Lady Diana als authentisches Testimonial berühmt machte, erhält innerhalb der Ausstellung einen besonderen Auftritt. In einem tiefroten Tunnel füllen hunderte Versionen des Modells sogar kopfüber die geschaffenen Fächer und bezeugen einmal mehr die Gestaltungskraft des Modehauses – weit über den Tod des Gründers im Jahr 1957 hinaus.
Mode, Architektur und Kunst vereint
Werke der Fotografin Yuriko Takagi ergänzen die architektonische Szenografie. Überlebensgroße Abzüge ihrer poetischen Motive auf raumtrennende Paneele gebannt, erinnern an traditionelle japanische Trennwände.
Mit dieser von Dezember 2022 bis Ende Mai 2023 dauernden Schau hat Shohei Shigematsu dem Meister des „New Look“ ein besonderes Denkmal gesetzt. Er betont: „Als japanischer Architekt, der im Westen ausgebildet wurde und dort arbeitet, war es spannend, Diors Beziehung und Geschichte zu meinem Heimatland zu entdecken.“
Die Ausstellung war so konzipiert, dass sie die Besucher auf eine Entdeckungsreise mitnimmt und neue Synergien zwischen Japan und Frankreich, Architektur und Couture, Tradition und Innovation aufzeigt. Dabei ließ Shigematsu sein eigenes Metier – die Architektur – zu einem erzählerischen Medium werden.
Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur