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Karola Dierichs: Architektin, Forscherin, Hochschullehrerin

Hochschullehrerin im Porträt
Karola Dierichs

Als promovierte Architektin und Forscherin vereint Karola Dierichs Wissenschaft und Kunst. Sie schult und unterstützt an der Weißensee Kunsthochschule Berlin angehende Künstlerinnen und Designerinnen in kleinen Gruppen.

Autor Oliver Herwig

Was für eine wunderbare Spinnerei: Kokons schweben scheinbar schwerelos durch den Raum, zarteste Netze und Verschlingungen, die natürliche Prozesse abbilden und künstlerisch weiterdenken. Das Kursthema mag zunächst ein wenig trocken klingen: „Designing Matter“. Die Fragestellung im Studiengang Textil- und Flächendesign sprengt aber die Grenzen von Kunst und Wissenschaft: Das „Entwerfen von Materie“ fragt nicht einfach nach Web-, Filz- und Knüpftechniken oder nach bionischen Anwendungen aus dem Reich der Natur, es fragt nach dem, was hinter dem Greifbaren steckt. Es geht Karola Dierichs um Grundsätzliches: „Wir beschäftigen uns mit der Frage: Was ist Materie?“

Zukunftstechnologie Textil

Dazu müsse man erst wissen, was der Gegenstand denn eigentlich sei. Das Projekt zeigt den forschenden Ansatz von einer Wissenschaftlerin, die Textil- und Flächendesign unterrichtetet und zugleich Wissensnetze etwa zum MPI (Max Planck Institute of Colloids and Interfaces) initiiert, um angehende Künstlerinnen und Designerinnen in kleinen Gruppen auf ihrem Weg zu unterstützen. Die Schreibung stimmt. Denn immer noch ist Textildesign fast vollständig weiblich. „Aber einmal hatte ich sogar zwei männliche Studierende im Kurs“, erinnert sich Dierichs und lacht.

Dabei bedeutet Textil längst Zukunftstechnologie. Der Studiengang verdichtet eine zentrale Frage unserer Zeit: nachhaltige Produktion, eingebettet in Wirtschaft wie Gesellschaft. Insofern ist es verwunderlich, dass Textil- und Flächendesign manchen immer noch als künstlerisches Orchideenfach gilt, obwohl längst Forschungen etwa zu „Sensorischen Soft Interfaces“ laufen. Die Bedingungen jedenfalls klingen traumhaft an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. Statt überfüllter Hörsäle und anonymer Online-Seminare gibt es kleine Gruppen und intensive Betreuung. Die Spezialität von Karola Dierichs: Fragen stellen, zuhören, coachen.

Die promovierte Architektin nimmt sich Zeit und ermuntert Studierende zu eigenen Wegen. Es sei schließlich keine Technische Universität mit großen Hörsälen und Listen, in die sich alle eintrügen. Weißensee sei sehr familiär. „Wir fördern eher Personen als Ansätze“, sagt sie. Zuhören und Austauschen stehen im Zentrum. Anfangs habe sie „viel Technisches zurückgenommen“, aber jetzt führe sie technisch-wissenschaftliches Denken wieder ein, wenn auch in „homöopathischen Dosen.“ Ihr Kurs untersucht biologische Vorbilder: Kokons, Gürteltierschuppen oder Haihaut und Mückeneier beziehungsweise wasserleitende Flächen. Nachdem anfangs eher künstlerische Ansätze dominierten, machten sich die Studierenden ans Programmieren, mit Grashopper.

Kunst und Wissenschaft verbinden

Bereits im Wintersemester 2020/2021 untersuchte das Projekt „Designing Matter 1“ Fäden und Gewebe als architektonische Materialsysteme. Es ging darum, die „inhärenten Eigenschaften eines gegebenen Materials zu nutzen und zu verbessern, um letztendlich neue Eigenschaften zu erzeugen.“ Es entstanden komplexe Design-Filamente. Am Anfang denke man, das sei doch einfach, sagt Dierichs, aber das sei ganz und gar nicht der Fall. Es war eine echte Herausforderung, die Produktionsabläufe und Muster der Raupen zu identifizieren und in eigene Arbeiten umzusetzen. Seidenkokons sind eigentlich Vliesstoffe, also Faserschichten „jeglicher Art und jeglichen Ursprungs, die auf irgendeine Weise (…) zusammengefügt und auf irgendeine Weise miteinander verbunden worden sind“, erklärt Wikipedia in einer losen Definition. Der Kurs selbst ging systematisch und transdisziplinär vor. Zunächst wurden Ansätze aus Anthropologie, Biologie und Materialwissenschaft vorgestellt, dann die Struktur von Filamenten und Spinnmustern analysiert, die sich „für Materialsysteme im Architekturmaßstab eignen“. Sodann entwickelten die neun Teilnehmerinnen Gestaltungsprinzipien für eine Rauminstallation, die sie abschließend in eigene Arbeiten über- und umsetzten.

Persönlichkeiten entwickeln

An der Weißensee Kunsthochschule Berlin ist der Studiengang Textil- und Flächendesign organisiert als vierjähriger Bachelor und zweijähriger Master. Er befasst sich „sowohl mit der konstruktiv-technischen als auch mit der ästhetisch-sinnlichen Seite von Material.“ Genau an dieser Schnittstelle unterrichtet Karola Dierichs. Der Anspruch ist hoch. Durch „aktuelle technologische, kulturelle und sozioökonomische Fragestellungen“ werde „ein erweitertes Bezugsfeld geschaffen, das über das klassische Textildesign hinausweist.“ Grundlage bildet ein einjähriger fachübergreifender Kurs zu künstlerischen Grundlagen, darauf folgen drei Studienjahre im textilen Kontext, die erfreulich weit gefasst werden: von der Oberflächengestaltung bis hin zu Räumen und Körpern mit Schnittstellen zu Architektur und Bildender Kunst, Design, Medien und Mode.

Im Zentrum aber stehen klassisch gestalterische Kompetenzen: Entwurf und Konzeption. „Gefördert wird ein Gestaltungsansatz, der Professionalität, kritisches Denken, transdisziplinären Austausch und ästhetische Autonomie verbindet.“ Das Masterstudium soll all diese Fähigkeiten vertiefen, unterstützt durch verschiedene Partner und Forschungsplattformen wie etwa das „E Lab-Labor für Interaktive Technologien“. Aufgeteilt in die Schwerpunkte Material sowie Style geht es um Materialforschung und -gestaltung oder um die Wahrnehmung und Integration zeitgenössischer kultureller Strömungen.

Das große Ziel sind „visionäre, gestalterisch anspruchsvolle Konzepte“. Karola Dierichs sagt das treffender. Sie spricht von Persönlichkeiten, die sich souverän zwischen Wissenschaft und Kunst bewegen. Ab 2023 wird sie biomimetische und biogene Materialien in den Blick nehmen und untersuchen, wie ökologisch effizient sie wirklich sind. Sie wird also stillschweigende Annahmen quantifizieren und kritisch überprüfen – und somit wieder Kunst und Wissenschaft verbinden.


Foto: Heike Overberg

Weissensee KunsthochschuleBerlin

Bachelor Studiengang : Textil- und Flächendesign

Studienbeginn: Sommer- wie Wintersemester

Abschluss: Bachelor of Arts (B. A.)

Dauer: 8 Semester

Masterstudiengang

Studienbeginn: jeweils zum Wintersemester

Abschluss: Master of Arts (M. A.)

Dauer: 4 Semester

www.kh-berlin.de


Architektin Karola Dierichs wurde an der Universität Stuttgart mit Auszeichnung promoviert und arbeitete am dortigen Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) im Rahmen des Exzellenzclusters „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“. Seit 2020 hat sie an der Weißensee Kunsthochschule Berlin die Cluster-Professur „Material und Code“ inne.

www.karoladierichs.net

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