Eigene Bäder für alle Patienten, fugenlose und leicht zu reinigende Nachttische mit schmutzabweisenden Oberflächen und Desinfektionsmittelspender, die bei Benutzung einen Smiley zeigen: So könnte das Patientenzimmer der Zukunft aussehen.
Der begehbare Demonstrationsraum eines solchen Zweibettzimmers wurde im vergangenen Sommer auf dem Gelände des Städtischen Klinikums Braunschweig eröffnet. In dem Forschungs- und Studienlabor entwickeln Experten aus den Bereichen Architektur, Materialforschung und Medizin praxistaugliche Musterlösungen für die Krankenhaus-Architektur. Dafür haben sich die Technische Universität Braunschweig, das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST und das Städtische Klinikum Braunschweig zusammengeschlossen. Im Projekt eingebunden sind 19 Industriepartner, darunter der Bodenbelagshersteller Tarkett.
Direktes Feedback aus der Praxis
Dass das begehbare Modell hat einen großen Vorteil. Medizinisches Personal steht der Zugang für praxisnahe Untersuchungen frei und die Forschenden erhalten direktes Feedback von Ärzten, Pflegefachkräften und Auszubildenden.
„Wir betreiben gemeinsam Versorgungsforschung“, betont Dr. Thomas Bartkiewicz, Ärztlicher Direktor des Klinikums. „Wichtig ist hier für uns zum Beispiel die Frage: Wie können wir ein normales Zimmer in ein Intensivzimmer umwandeln?“ Im Forschungs- und Studienlabor ist es möglich den Klinikalltag nachzustellen und durch den Einsatz von Augmented Reality verschiedene Fallkonstellationen zu trainieren. „Zukunftsweisend und nachhaltig wollen wir translationale Forschung voranbringen und damit Voraussetzungen für weitere Aktivitäten der Ausbildung und Qualifizierung von medizinischem Personal setzen“, so Dr. Bartkiewicz.
Infektionen vermeiden
Auch wenn das Patientenzimmer schon immer im Zentrum des Krankenhausbaus und der Hygiene gestanden hat, ist seine Bedeutung in den vergangenen Jahren in den Vordergrund gerückt – durch die Zunahme von Krankenhausinfektionen mit multiresistenten Erregern und nicht zuletzt durch SARS-CoV-2. Hier soll jetzt unter anderem eine kluge Raumplanung helfen, die Übertragung gefährlicher Keime zu verhindern.
Deshalb sieht das neue Forschungslabor ‚Karmin‘ auch nur auf den ersten Blick aus wie ein ganz normales Zweibettzimmer im Krankenhaus: Denn im Patientenzimmer der Zukunft stehen die Betten gegenüber statt nebeneinander und es gibt zwei Bäder. Diese Aufteilung verhindert Kreuzkontaminationen und Kontaktinfektionen, wie sie passieren können, wenn zwei Personen dieselbe Nasszelle nutzen. Entlang der Arbeitsrouten des Pflegepersonals haben die Forschenden außerdem sechs Desinfektionsmittelspender platziert. Auch an eine besondere Lichtgestaltung haben die Wissenschaftler gedacht – von ganz hell bei der Visite, über warme Farben in Ruhezeiten bis hin zu einer Lichtleiste, die sensorgesteuert aktiviert wird, wenn die Patienten nachts aufstehen.
Infektionsprävention, Komfort oder Digitalisierung
„In Zukunft werden sich Architekten bei der Planung von Gesundheitsbauten mit der zentralen Frage beschäftigen, wie optimale Bedingungen für Patienten sowie das Krankenhauspersonal geschaffen werden können und gleichzeitig Flexibilität im Betrieb gewährleistet werden kann“, sagt Dr. Wolfgang Sunder, Projektleiter vom Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig. „Dabei müssen wir relevante Themen wie Infektionsprävention, Komfort oder Digitalisierung interdisziplinär betrachten. Es reicht also bei weitem nicht aus, dass medizinisches Fachpersonal das Thema nur aus seiner Perspektive oder wir es nur aus dem architektonischen Blickwinkel beleuchten.“
Automatisierte Reinigungsprozesse
Neben der Architektur stehen im Forschungslabor ‚Karmin‘ funktionelle Oberflächen und Materialien im Fokus. Biobasierte Oberflächen, die leicht zu reinigen sind, minimieren das Risiko einer hohen Keimbelastung. Eingesetzt werden könnten auch Oberflächen, die sich verfärben, sobald sie mit Keimen belastet sind.
„Analyse, Anpassung und Optimierung von Oberflächen sowie Einsatz und Entwicklung neuer nachhaltiger Materialien sind zentrale Ansatzpunkte, um die Übertragung von Keimen im Krankenhaus zu verhindern und die Patient*innen vor Infektionen zu schützen“, erklärt Dr. Kristina Lachmann, Projektleiterin vom Fraunhofer IST. „Dabei verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, indem wir zum Beispiel Hotspots identifizieren und unter Einsatz digitaler Methoden effiziente umweltfreundliche Reinigungsprozesse entwickeln und anpassen.“ Durch Automatisierung und die Integration moderner Sensorik können Abläufe und Prozesse effektiver und wirtschaftlicher gestaltet und das Personal entlastet werden.
Entwicklung des Patientenzimmer
Das Projekt ‚Karmin‘ ist auf fünf Jahre mit Option auf Verlängerung angelegt und wird dem stetigen Wandel in der medizinischen Versorgung Rechnung tragen. Eingebunden in die Entwicklung des Patientenzimmers sind auch Industriepartnern aus dem Gesundheitsbereich. So können die Erkenntnisse aus dem Forschungs- und Studienlabor direkt in Planungs- und Bauprozesse von Gesundheitsbauten einfließen, in die Berufspraxis von Kliniken transferiert sowie in die Entwicklung von entsprechenden Produkten übertragen werden.