English translation below
Die Bauaufgabe scheint auf den ersten Blick bescheiden. Ein bestehender Anbau in dem nach Norden ausgerichteten Garten eines Londoner Wohnhauses sollte ersetzt werden, wobei den Architekten freie Hand im Entwurf gewährt wurde. Eine kluge Entscheidung, denn das von Taro Tsuruta 2006 gegründete Büro ist darauf spezialisiert, mit modernen Techniken wie digitaler Fabrikation Raumkonzepte von hohem ästhetischen und funktionalen Anspruch zu entwickeln, die darüber hinaus kostengünstig sind. So offenbaren sich erst auf den zweiten Blick die Komplexität und das Zusammenspiel von überlegter Planung, Materialwahl und Ausführung.

Die Grundidee für den Wintergarten basiert in der Inszenierung des im englischen Klima raren Sonnenlichts. Ein großflächiges Glasdach sollte eine freie Sicht in die Natur ermöglichen. Zugleich galt es, witterungsbedingte Verschmutzungen zu minimieren, da das Dach nicht nur den darunter geplanten Essraum überspannt, sondern auch vom Wohnraum des bestehenden Gebäudes aus gut sichtbar ist.
Tsuruta Architects entwickelten geometrische Rasterung
Für eine bei Wintergärten übliche Schrägdachausführung war allerdings aufgrund der baulichen Situation kein Platz. Stattdessen entwickelten Tsuruta Architects ein System einzelner, schräggestellter Flächen aus Glas, die durch ihre starke Neigung Regenwasser direkt und schnell in die langen Senken zwischen den Segmenten und von dort in das Entwässerungssystem ableiten. Dadurch konnte die Aufbauhöhe des Dachs auf ein Minimum reduziert werden.

Foto: Ståle Eriksen
Die geometrische Rasterung des Dachs passt sich den bescheidenen Maßen des Grundstücks an. Dazu tragen auch die der rautenförmigen Flächenteilung folgenden Holzträger bei. Sie weisen einen schlanken, hohen Querschnitt auf, der bei Sonneneinfall zu einem Spiel von Licht und Schatten im Raum führt und den Wechsel von Jahres- und Tageszeiten in Szene setzt. Form und Funktion bilden eine sinnvolle Einheit.
Acetyliertes Holz
Der Wintergarten wurde in enger Beziehung zum eigentlichen Garten entwickelt. Da dessen Niveau über dem Boden des Anbaus liegt, musste ein topologischer Übergang geschaffen werden. Es entstand ein vorgelagerter, steinerner „Frei-Raum“, der, einer leeren Bühne gleich, zwischen dem Esszimmer und dem Garten vermittelt. Diese bauliche Distanz inszeniert den Blick in die Natur und verknüpft innen mit außen. Doch bietet der im Garten „versunken“ wirkende Anbau mehr als ein geschütztes Raumgefühl. Seine abgesenkte Lage trägt auch dazu bei, das Innenklima durch die thermische Masse des Erdbodens im Sommer kühl zu halten.

Zur hellen und freundlichen Atmosphäre des Innenraums tragen wesentlich die Oberflächen der Möbel und der Verkleidungen aus europäischer Esche bei.
Auch für die Dachträger sowie für die Wand- und Fensterkonstruktion wurde helles Holz verwendet, acetyliertes Holz, um genau zu sein. Hierbei wird das Holz durch ein chemisches Verfahren unter Druck und Wärme auf molekularer Ebene zur Reaktion gebracht. Man spricht von Zellmodifikation, die die Wasseraufnahmefähigkeit reduziert. Dadurch wird der Naturwerkstoff wesentlich dimensionsstabiler und sehr widerstandsfähig gegen Pilz- und Insektenbefall. Auf eine zusätzliche Beschichtung kann verzichtet werden.

Dachkonstruktion mit lösbaren Steckverbindungen
Gefügt ist die Dachkonstruktion mit lösbaren Steckverbindungen. So kommt sie ganz ohne mechanische Befestigungen oder Klebstoffe aus.
Ihre komplexe dreidimensionale Struktur entwarfen Architekt und Tragwerksplaner gemeinsam und ließen sie auf einer 5-achsigen CNC-Fräse fertigen. Diese maßgenaue Produktion ermöglichte eine einfache Montage und minimierte den Verschnitt. Auch digital aus MDF gefräste Mock-ups der Dachflächen sparten Kosten ein, da die Verglasung aufgrund der genauen Vorfertigung vom Schreiner angebracht werden konnte und keine spezialisierte Verglasungsfirma beauftragt werden musste.

Auch die Außenfassade wurde aus acetyliertem Holz gefertigt und von Hand durch Verkohlen geschwärzt, um sie beständiger gegen Witterung zu machen. Die Holzflächen im Innenraum sind geölt. Beide Oberflächenbehandlungen schützen das Natur- material dauerhaft, ohne die Oberfläche zu versiegeln.
Massgenaue Steckverbindungen
In diesem Projekt sind nicht nur der Raum, sondern auch Materialität, Herstellungs- und Fügeprozesse wesentlicher Teil des Entwurfs. Hier wird Holz als traditioneller Baustoff mit neuen Technologien kombiniert, um Materialverbrauch und Verschnitt zu minimieren. Die Architekten hatten durch digitale 3D-Modelle nicht nur den Entwurf, sondern auch die Genauigkeit der Ausführung in ihrer Hand. Die hochwertige Oberflächenästhetik und die umgebende Natur ergänzen die minimalistische Formensprache.

Der relativ kleine bauliche Eingriff entfaltet als neue Schnittstelle zwischen Licht und Schatten, zwischen außen und innen, zwischen Alt und Neu eine dichte atmosphärische Wirkung und setzt über sich selbst hinaus weisend Wohnhaus und Garten in eine neue, spannungsvolle Beziehung.
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Factsheet
Projekt: Wooden Roof
Ort: London
Architektur: Tsuruta Architects, London, Webseite des Architekturbüros
Fertigstellung: Mai 2019
Auftraggeber: Privat
Bauausführende Firmen:
Tragwerk: Webb and Yates
Ausführung: JK London Construction Ltd.
Digitale Fabrikation: Tomasz Barszcz, Tsuruta Architects
Grünplanung Garten: 1moku
Materialien: Holz: Acetyliertes Holz, Accoya (Träger und Aussenhaut), Europäische Esche (Verkleidungen Innenraum, Möblierung), Birkensperrholz (Leuchtenschirme); Sonnen- und Wärmeschutzglas: Sunguard super neutral 70/35
Holzbehandlung Innenraum: Osmo Polyx oil
Autorin Christiane Sauer
Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Textil- und Flächendesign an der Weissensee Kunsthochschule Berlin. www.formade.com www.luelingsauer.com
Conservatory extension in London by Tsuruta Architects
In dialog with nature
At first glance the construction task seems modest. The aim was to replace an existing extension to this north-facing garden of a residential property in London as part of which architects were given free rein in terms of the design.
A clever decision as the office established in 2006 by Taro Tsuruta has specialized in using cutting-edge technologies, such as digital production to create spatial conceptswith a very high aesthetic and functional demand that are also not very expensive. Consequently, the complexity and correlation of sophisticated planning, material choice and implementation only become evident at second glance.
The basic idea for the conservatory is based on staging sunlight, something that is quite rare in British climates. An ample glass roof is intended to grant an unobstructed view of nature. At the same time the aim was to minimize dirt ingress caused by weather as the roof not only covers the dining area below, but also lets light into the living space within the existing building.
However, as a result of the construction-based situation there was no space to build an inclined roof as would be usual for conservatories. Instead, architects developed a system of individual, angled surfaces made of glass that directly and quickly route rainwater into the long downward stretches between segments thanks to their steep angles before introducing it to the drainage system. Consequently, it was possible to reduce the roof height to a minimum.
Interaction between light and shadows
The geometrical shape of the roof adapts to the humble dimensions of the property. This is also benefited by the diamond-shaped division of surfacesthat follow the timber beams.
They demonstrate a slim, high diameter that leads to an interaction between light and shadows within the space whenever the sun shines and stages the change of seasons and times of day. Form and function form a sophisticated unit.The conservatory was developed in close relation to the actual garden. As the garden lies above the foundations of the extension , it was necessary to create a topological transition. The result is a free space in front that resembles an empty stage between the dining room and the garden. This construction-based distance stages the view of nature and links the inside to the outside. However, the extension that seems dropped into the garden offers more than a protective feeling of space.
Its lowered position also contributes to the fact that the internal temperaturesare kept down in summer thanks to the thermal mass of the earth surrounding it.
Acetylated timber
Furniture surfaces and trim panels made of European ash essentially contribute to the bright and friendly atmosphere on the inside. Light wood was also used for the roof beams as well as wall and window structures. Acetylated timber to be precise. In this process, a chemical reaction at molecular level is triggered in the timber by applying pressure and heat. This is known as cell modification which cuts the ability to absorb water. Consequently, this natural material becomes significantly more dimensionally stable and very resistant to mold and insect infestation. There is no need to apply an additional coat.
Customized connections
The roof design has been joined by connections that could technically be disengaged at any time. As a result, there is no need to use mechanical fasteners or adhesives.
Architects and structural engineers developed the complex, three-dimensional structure together and had it produced on a 5-axis CNC milling machine. This highly accurate production method enabled simple assembly and minimized offcuts. Mock-ups, digitally milled from MDF also helped cut costs as glass panels could be produced on the basis of panels that had been accurately produced by joiners and there was no need to commission a specialist glazing company.
The outside facade has also been produced from acetylated timber which was manually stained black by carbonization to make it resistant to weather influences . Internal timber surfaces have been oiled. Both surface treatments permanently protect the natural material without sealing the surfaces.
In this project, not just the space, but also the material characteristics, production and joining processes form an essential part of the design. Here, timber as a traditional building material has been combined with new technologies to minimize material consumption and offcuts. Thanks to 3D models architects not only controlled the design, but also the accuracy of its implementation. The high-grade surface aesthetics and surrounding nature complement the minimalistic styling. The relatively minor construction stage unleashes a dense atmospheric effect as a new interface between light and shadows, outside and inside, old and new to establish a new, exciting relationship beyond the mere design itself.
Christiane Sauer
Author
She is an architect and material specialist and teaches as professor of textile and surface design at Weissensee Kunsthochschule Berlin. www.formade.com www.luelingsauer.com