Trotz der Pandemie muss man nicht allein sein. Zukunftsforscherin und Wohnexpertin Oona Horx-Strathern zeigt zu Beginn ihrer knapp einstündigen Live-Stream-Präsentation ihres Home Reports 2021 drei ältere Damen, die zusammengezogen sind.
Mit dabei: ganz viel Essen, Puzzle, Alkohol und gute Laune. Sie machen das Beste aus der Pandemie. Und es funktioniert so gut, dass aus der Notlösung eine dauerhafte Wohnsituation werden soll.
Shared Spaces
Menschen zusammenzubringen und einen Gegentrend zu den vielen Single-Haushalten zu setzen, besonders in den Städten, daran arbeitet man auch in Schweden im Projekt ‚Sällbo Living‘.
„Die Schweden sind da sehr progressiv“, erklärt Horx-Strathern. „Unterschiedliche Religionen und Hintergründe kommen zusammen. Alt und jung dürfen sich nur einbringen, wenn sie zwei Stunden in der Woche gemeinsam Zeit verbringen.
Das Motto: Individualität in Gemeinschaft leben.“ In Shared Spaces sind nicht die geteilten m2 entscheidend, sondern die Art des Zusammenlebens.
Home + Office + Hoffnung = Hoffice
Die Zukunftsforscherin fasst auf 118 Seiten ihre Beobachtungen zusammen und setzt Benchmarks mit Themen wie die resiliente Stadt, dem Megatrend Konnektivität, Home Suite Home, Balkonien, Hero Materials, modulares Bauen und dem Hoffice. Hoffice ist eine Wortkreation aus Home und Office. Darin schwingt auch Hoffnung mit. Das Hoffice ist ein Platz zu Hause zum Arbeiten.
Dabei geht es nicht nur um Gesetze. Eine Umfrage in der Schweiz zeigt, dass viele Menschen aller Altersgruppen mehr zu Hause arbeiten wollen – auch in Zukunft. „Wie sieht unsere Wohnung dann aus?“
Horx-Strathern sieht Verbesserungsbedarf bei Möbeln, Licht, Gemütlichkeit und der Akustik. Können Innenarchitekten dazu beitragen? Für Horx-Strathern ist auch ein ‚Temporary Hoffice‘ im Badezimmer denkbar.
Konnektivität
Im Megatrend Konnektivität sieht die Forscherin das Ziel, innerhalb eines Zeitradius von 15 Geh-Radfahr-Minuten alle alltäglichen Bedarfe abzudecken. Dazu gehören: Arzt, Supermarkt, Sport, Einrichtungen, Nachbarschaft. Doch oft fehlt der Park in der Nähe. Leute lieben die Lebendigkeit und Möglichkeiten der Städte.
Balkonien
„Wer nur in einer kleinen Wohnung lebt, der findet über Balkone die Möglichkeit vor der Enge und oft klaustrophobischen Wirkung zu fliehen. Balkone kann man nachrüsten. Sie geben in der Coronakrise den Menschen ein Stück Freiheit, auch mentale Freiheit.“
Es gibt das Sprichwort aus Italien: „Balcony makes a home free“. Zu spüren sei das zur Zeit bei der Immobiliensuche: Terrassen, Gärten, Balkonen sind gefragt. Ein Beispiel fügt Horx-Strathern aus dem Home Report 2021 an: die Hochhäuser Genee Gang in Chicago. „Alle Balkone waren besetzt. Die Leute haben sich kennengelernt.“
Hero Materials
Je mehr Zeit man in seiner Wohnung verbringe, desto mehr setze man sich mit den Materialien auseinander. „Ist das echt oder Plastik? Woher kommen die Materialien? Sind die gut für uns? Wir haben Zeit, darüber nachzudenken. Damit einher gehen auch Luftqualität, Farben, Oberflächen.“
Modulares Bauen
Charmant rutschen der gebürtigen Britin immer wieder kernige, zentrale Sätze auf Englisch heraus: „Everyone deserves great Design“. Teil des Home Reports 2021 ist auch das Thema modulares Bauen. Es muss keine langweilige Kiste sein oder die Containerbauweise. Und es sieht auch nicht irgendwann alles gleich aus, da ist sich die Zukunftsforscherin sicher.
„Es gibt so viele verschiedene Ansätze. Dystopisch. Verschiedene Farben, unterschiedliche Module.“ Es gehe um bezahlbaren Wohnraum, besonders in der Stadt.
„Viele von uns haben ihre Wohnungen vernachlässigt.“ Durch die Intimität in der Lockdown-Phase komme langsam ein Umdenken. Man kann etwas bauen oder reparieren. Wir haben eine neue Sensibilität entdeckt: Luft, Lärm, Liebe, Licht = (4x L).
Broken Plan
Der Trend zu offenen Wohnraum sei nicht geeignet für das Hoffice (Great House Spaces). Ein Raum (shed) im Garten kann Freiheit geben, wieder in Ruhe zu arbeiten. Wer das aber nicht hat, dem empfiehlt die Expertin: „Weg vom Open Plan, hin zum Broken Plan. Wir brauchen wieder diese Adaptilität und Flexibilität.“ Horx-Strathern hofft: „Vielleicht geben die Firmen finanzielle Unterstützung?“
Stadt versus Land
Ziehen die Menschen in ein anderes Umfeld? Raus aus der Stadt? Man braucht mit der neuen Situation, wohnen und arbeiten zu Hause unter einen Hut zu bekommen, mehr Platz und kann außerhalb der Stadt wohnen und arbeiten. Die Homeoffice-Revolution – kann sie die Landflucht beenden?
Frauen in der Branche
Warum sind Frauen und weibliche Rednerinnen in der Architektur- und Designbranche so selten? Frau Oona Horx-Strathern, warum sind Sie ein Einhorn? „Verlierer des Homeoffice sind die Frauen. Also lautet die Frage folgerichtig: Was braucht es, damit die Ungleichheit nicht größer wird? Wenn Schulen und Kindergärten weiterhin offen blieben, dann passt das schon. Wir haben genug Erfahrung, aber wir brauchen neue Systeme. Skandinavier haben uns da schon einiges voraus. Ein anderes Mindset.“
Ein Interview mit der Zukunftsforscherin finden Sie hier