Gesundheit ist ein großes Thema bei Unstudio und Unsense. Wie gehen Sie konkret vor?
Ben van Berkel: Wir können unsere Umgebungen erheblich gesünder gestalten als uns bewusst ist. Wir reden dauernd über Gesundheit im Außenbereich. Etwa über eine Verbesserung der CO2-Reduktion zugunsten der Umweltbedingungen. Dabei vergessen wir manchmal die Qualität von Innenräumen, die in einigen Fällen erschreckend ist.
Die Qualität der Luft, der verwendeten Materialien, der Art und Weise, wie Gebäude organisiert sind. Ich habe in Harvard etwa sieben Jahre lang im Bereich Gesundheit geforscht und sehe für meine Arbeit drei Schwerpunkte. Die Gestaltung eines Bürogebäudes kann die Menschen beispielsweise stimulieren, mehr zu Fuß zu gehen, statt sich automatisch in den Aufzug spülen zu lassen.
Neben diesem physischen Gesundheitsaspekt gibt es einen sozialen. Seit der Covid-Pandemie ist uns allen bewusst, wie unglaublich wichtig soziale Gesundheit für unser Wohlbefinden ist. Das Fehlen sozialer Nähe hat die Menschen sehr stark belastet. Für die gebaute Umwelt heißt das, dass wir attraktive Orte der Begegnung schaffen müssen.
Als drittes sehe ich den mentalen Gesundheitsaspekt, der wiederum ein reibungslos funktionierendes Umfeld voraussetzt. Stressvermeidung ist insbesondere in der Büroarbeitswelt ein wichtiges Stichwort. Eine unzulängliche Raumakustik beispielsweise wirkt ablenkend und erzeugt Stress. Um solche vermeidbaren Dinge müssen wir uns mehr denn je kümmern.
Haben Sie in der Vergangenheit schon einmal ein umfassendes Gesundheitskonzept innerhalb einer gebauten Umgebung realisiert? Oder planen Sie ein solches für Ihre aktuellen Projekte?
Ben van Berkel: Es ist unglaublich schwierig, Bauherren von einem holistischen Gesundheitskonzept zu überzeugen. Das gleiche gilt für Nachhaltigkeit. In den Niederlanden muss seit diesem Jahr energieneutral gebaut werden. Das wurde jetzt gesetzlich festgelegt. Gesundes Bauen ist noch nicht gesetzlich geregelt. Ich denke, das wird in fünf Jahren passieren.
Doch natürlich können wir schon jetzt eine Menge tun. Beispielsweise mit dem Hybridprodukt ‚Soliscape‘, das wir gemeinsam mit Delta Light entwickelt haben.
In welcher Art und Weise können Leuchten zu einem gesünderen Umfeld beitragen?
Ben van Berkel: Licht und Akustik sind zwei Faktoren, die für stressfreie Büroarbeit wesentlich sind. Aktivitätsbasierte Systeme eignen sich für die konzentrierte Einzelarbeit bis hin zu Konzernpräsentationen. All das erfüllt unser neuer Entwurf.
Ein sensorgesteuertes Umfeld erfasst die jeweils aktuell stattfindende Aktivität und erzeugt von sich aus die dafür optimalen Bedingungen. Somit können digital ertüchtigte Umgebungen geschaffen werden, in denen der Mensch dank sensorisch gesteuerter Anpassungsfähigkeit der Technologie im Mittelpunkt steht.
Sind smarte Umgebungen nicht manchmal übertrieben? Welchen Sinn macht es beispielsweise, dass sich in manchen Büros das Licht automatisch einschaltet, sobald jemand den Raum betritt?
Ben van Berkel: Mit dem Begriff smart habe ich ein Problem. Das ist so ein inhaltsleeres Modewort. Ich spreche lieber von intelligenten Gebäuden, Umgebungen oder Produkten. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass sich das Licht nicht automatisch einschalten muss. Das ist technische Spielerei ohne Nutzen. Wir setzen Technologie ein, um neue nutzbringende Möglichkeiten für ein besseres Umfeld zu schaffen.
So kombiniert ‚Soliscape‘ beispielsweise hocheffiziente Reflektoren mit Human-Centric-Lighting-Technologie, denn die verwendeten Strahler und Linearmodule für direktes und indirektes Licht arbeiten auf der Grundlae von Delta Lights ‚Melanopic Light Technology‘ (MLT).
Die Hochqualitäts-LEDs unterstützen den circadianen Rhythmus des Menschen durch ihre natürlich weiße, mit höherem Cyan-Anteil versehene Lichtfarbe. Ihr Licht wirkt am Tag leistungsunterstützend und bereitet am Abend auf die Ruhephase und das Einschlafen vor.
Derzeit arbeiten wir an der Entwicklung von Microsensoren, die an dem Profil befestigt werden, um verschiedene Messungen wie beispielsweise die der Raumtemperatur vorzunehmen. Sie können auch die Beleuchtung an die Belegung der Arbeitsplätze anpassen. Außerdem forschen wir an einer Soundübertragung durch Lautsprecher, welche in die Akustikpaneele integriert werden sollen.
Damit ließe sich die Sprachqualität bei Online-Meetings, die in Zukunft nicht mehr wegzudenken sind, optimieren. Das wäre ein großer Nutzen, denn die Sprachqualität aus dem Computer ist alles andere als gut.
In welche Richtung werden sich Büroarbeitsplätze aufgrund von Covid verändern? Wird es einen konzeptionellen Wandel geben?
Ben van Berkel: Wichtig ist, dass die Menschen überhaupt wieder ins Büro gehen werden. Dazu muss es attraktiver sein als das Homeoffice. Bürogestaltung ist ein wesentliches Element für die Rekrutierung von Mitarbeitern.
Was motiviert einen Architekten, der weltweit große Konzernzentralen baut, sich mit Produktdesign zu beschäftigen?
Ben van Berkel: Das habe ich im Blut. Vor meinem Architekturstudium war ich an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam eingeschrieben. An dieser Hochschule für angewandte Kunst und Design habe ich mich mit Grafik, Kunst und Produktdesign beschäftigt. Die Leute denken oft, Produktdesign könne man an einem Sonntagnachmittag erledigen.
Doch ein gutes Produkt zu entwickeln ist genauso schwierig wie die Planung eines Gebäudes. Für ‚Soliscape‘ haben wir tatsächlich ein Jahr gebraucht und jetzt entwickeln wir das System Schritt für Schritt weiter.
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