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Wohn- und Ateliergebäude von Brandlhuber + Emde, Burlon

Wohn- und Ateliergebäude von Brandlhuber + Emde, Burlon
Die Antivilla

Gulaschkanone, ein paar Kästen Bier, elektrische Vorschlaghämmer und ein paar Freunde: Die groben Fensteröffnungen der Antivilla entstanden nach dem Motto „hands on!“ Brandlhuber + Emde, Burlon verwandelten ein ehemaliges Lagergebäude in ein unkonventionelles Wohn- und Ateliergebäude. Ein nachhaltiges Zukunftsmodell, das viel Raum zum Experimentieren lässt.

Autorin Lucie Tamborini

Eine knappe Autostunde von Berlin entfernt, mitten im beschaulichen Potsdam-Krampnitz steht sie: die ‘Antivilla’. Neben den feinsäuberlich verputzten Fassaden der gutbürgerlichen Häuser, die sie umgeben, wirkt sie gelassen-trotzig in ihrer Einfachheit. Der grobe graue DDR-Putz verweist auf ihre Vergangenheit als Lagergebäude, durch die roh ausgebrochenen Fensteröffnungen bietet sich dem Besucher ein herrlicher Panoramablick auf den nah gelegenen See auf der einen und den Wald auf der anderen Seite.

‚Antivilla‘ von Brandlhuber + Emde, Schneider Archichtekten, nennt sich die Umnutzung eines Lagerhauses in ein Wohn- und Ateliergebäude. Dafür gab es eine Anerkennung. Foto: Erica Overmeer

Erdgeschoss dient als Atelier

Die Eingriffe am Bestand sind so einfach wie spektakulär. So wurde das Satteldach aus Wellasbest durch ein simples Flachdach aus Beton ersetzt, dank dessen leichter Neigung das Regenwasser über einen zweieinhalb Meter langen Wasserspeier abgeleitet wird. Das mit 270 m² großzügig bemessene Gebäude ist im Obergeschoss mit einer Küchenzeile, einer Sauna und einem Bad ausgestattet, das Erdgeschoss dient Künstlern als Atelier.

Wenn es im Winter kalt wird und die zugeführte Wärme nicht mehr ausreicht, um das gesamte Obergeschoss auf eine angenehme Temperatur zu bringen, kann ein dünner transluzenter Vorhang zugezogen werden, der ein 70 m² großes Kompartiment abteilt und verhindert, dass sich kalte und warme Luft austauschen. So bleibt es auch bei frostigen Außentemperaturen angenehm warm, ohne dass die raue Weitläufigkeit verloren geht.

“Das Gebäude ist eine Fragestellung, um Standards zu hinterfragen”

Arno Brandlhuber ist bekannt für seine unkonventionelle Ästhetik, seine aneignungsoffenen Gebäude und seine Vorliebe dafür, lieber nachzunutzen als einfach abzureißen und neu zu bauen. Das hat ökonomische und ökologische Gründe, denn “alles, was man nachnutzt, verschwendet erstmal nicht mit einem Abriss die Energie und das Kapital, die bereits in dem Objekt stecken”.

Brandlhuber
Nord- und Westansicht: die Rück- und Längsfassade. Foto: Noshe

Herausforderung in der Nachnutzung

Man könnte sagen: Brandlhuber findet Vergnügen an den besonderen Herausforderungen, die mit der Nachnutzung einhergehen. “Ich liebe Situationen, in denen relativ viele Informationen schon vorhanden sind – der Bestand umfasst für mich sowohl das Gebäude als auch die Umgebung und die sozialen Bindungen. Wenn Architektur glaubt, dass sie nur für sich isoliert operieren kann, dann ist sie in meinen Augen irrelevant”, so der Architekt.

Brandlhuber
Die Antivilla war einst Lagergebäude des VEB Obertrikotagen Ernst Lück. Der Umbau ist ein Statement: Nachnutzung statt Abriss und Neubau. Foto: Erica Overmeer

Mit dem Vorschlaghammer

Seine Projekte zeichnen sich durch ihre flexiblen Nutzungsmöglichkeiten aus, wie zum Beispiel die jüngst fertiggestellte Transformation des von Werner Düttmann Ende der 1960er-Jahre im Stil des Brutalismus errichteten Kirchenraums und Gemeindezentrums St. Agnes für die Galerie Johann König in Berlin. Die Grenzen zwischen Wohn- und Arbeitsraum verschmelzen.

So auch in der ‘Antivilla’. 1980 wurde der Bau von einem DDR-Ausbildungsbetrieb für den VEB Obertrikotagen Ernst Lück erstellt. Jeder Lehrling der Brigade musste zur Übung ein Fenster bauen – so entstanden sehr viele kleine Fenster auf allen vier Seiten des Gebäudes. Für den Architekten und zugleich Bauherrn war schnell klar, dass eine andere Öffnung her muss – eine, die mehr Licht und mehr Blick bietet.

Brandlhuber
In der raffinierten Montage spiegelt sich im rechten Schiebefenster zwar der Raum, der Blick zum See jedoch ist original. Ein Teil des Bodens ist mit “Parkett” aus Kassettentonband belegt, die Plexiglasleuchten kommen aus einer Kirche. Foto: Erica Overmeer

Performativer Charakter

Inspiriert von Claude Faraldo’s Film ‘Themroc’ aus dem Jahr 1973 entschied sich Brandlhuber für eine direkte Vorgehensweise mit performativem Charakter: Kurzerhand stellte er eine Gulaschkanone, ein paar Kästen Bier sowie elektrische Vorschlaghämmer zur Verfügung und lud Freunde ein, um an einem Nachmittag gemeinsam nach Gusto die groben Fensteröffnungen zu schaffen.

“Die ‘Antivilla’ ist ein aneignungsoffener Experimentalbau”

“Das hat viel Vergnügen bereitet – und zu viel Muskelkater am nächsten Tag geführt, weil die meisten sich nicht zurückhalten konnten”, erzählt der Architekt und lacht. Die so entstandenen Panoramafenster wurden roh belassen und verglast. Auch innen ist alles schlicht gehalten. “Jede Form von Verkleidung finde ich überflüssig. Ich möchte gerne die Materialoberflächen sehen, damit man auch begreift, worin man lebt. Direkt und wenig geschminkt. Alles, was Ausstattung ist – Kunst, Möbel –, das ist die Schminke, aber es wird kein Material als ein anderes, als es ist, gezeigt.”

Brandlhuber
Bei Bedarf verschwindet auch die Küchenzeile … Foto: Erica Overmeer

Antivilla = Experimentalbau

Diese Materialehrlichkeit hat natürlich auch den Vorteil, dass die pur belassenen Materialien vollständig recycelt werden können. Schminke ist im Fall der ‘Antivilla’ der offene Blick auf die Landschaft, die sie umgibt, Möbel von Matti Braun und Muller van Severen, die Kirchenleuchten aus Plexiglas und Messing von Rudolf Schwarz sowie Kunst von Karin Sander, Anselm Reyle, Björn Dahlem und Gregor Hildebrandt, der im OG einen Teil des Bodens mit Holzimitationsparkett aus Kassettentonband ausgestattet hat.

Die ‘Antivilla’ ist ein “Experimentalbau”, wie Brandlhuber sagt. “In der Architektur kann man mit einem Bauherrn weniger experimentieren, ausprobieren und testen. Man müsste eigentlich bei einem hochkomplexen Projekt wie einem Gebäude auch mal sagen können: ’Oh, da müssen wir noch nachjustieren’. Es ist aber nicht vorgesehen, ein vielleicht günstigeres Verfahren auszuprobieren, von dem man halt nicht hundertprozentig weiß, ob es dann sofort funktioniert.”

Brandlhuber
Die Fensteröffnungen wurden mit dem Vorschlaghammer vergrößert und mit Schiebeglaswänden hinterfasst. Foto: Erica Overmeer

Standards hinterfragen

Genau für dieses Testen, Überprüfen und Nachjustieren bietet die ‘Antivilla’ Raum, macht Neues erlebbar. Sie vereint die großzügige Grundfläche einer Villa mit den einfachen Standards eines Einfamilienhauses und zeigt, dass dieses Mischprodukt durchaus eine qualitativ hochwertige Alternative sein kann, um günstigen Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen.

Arno Brandlhuber versteht das Gebäude als Fragestellung, um Verfahren auszuloten und Standards zu hinterfragen. Denn: “Wenn man weggeht vom ‘Entweder-oder’ hin zum ‘Sowohl-als- auch’ merkt man, was das ermöglicht.” Ein gutes Haus verträgt da viel.


Brandlhuber + Emde, Burlon

Mit seinem unkonventionellen Umgang mit dem Bestand und der expliziten Priorisierung von Nachnutzen anstelle von Abriss und Neubau erfährt das Berliner Büro große Aufmerksamkeit im In- und Ausland.

Büro: Brandlhuber + Emde, Burlon, Webseite des Büros

Ein Interview mit den Architekten finden Sie hier


Fakten

Projekt: Antivilla

Standort: Potsdam-Krampnitz

Bauherr: Arno Brandlhuber

Bauaufgabe: Umnutzung eines Lagergebäudes zum Wohn- und Ateliergebäude

Baubeginn: 2012

Fertigstellung: 2014

Grundstücksgröße: 1466 m²

Anzahl Geschosse: 2

Geschossfläche: 270 m²

Nutzfläche gesamt: 440 m²

Materialien (Decke, Wand, Boden): Beton, Grauputz; Boden OG: Gregor Hildebrandt Holzimitationsparkett, 2009/2012, Kassettentonband, Epoxi auf MDF, 417 x 331 cm

Möblierung: ‘Seat bleu/green’ von Muller van Severen, 2011; Möbelskulptur von Olaf Nikolai nach Donald Judd, 2000; Teppicheinzelanfertigung von Reuber Henning, 2015; Fiberglasmöbel von Matti Braun, 1996

Kunst innen: Karin Sander – Tapetenstück ‘Prestige’, 2014; Anselm Reyle – Untitled, 2014; Björn Dahlem – Sonnen, 2011

Leuchten: ‘Plexiglass and Brass Church Pendants’ von Rudolf Schwarz


The Brandlhuber + Emde, Burlon office has transformed a former storehouse into an unconventional home and studio. As a perceptible case study it skillfully questions our viewing habits and building standards. A sustainable model for the future that leaves much leeway for experimenting.

It stands in the middle of placid Potsdam-Krampnitz, less than an hour’s drive by car from Berlin – the ‘Antivilla’. Next to the neatly plastered facades of the surrounding bourgeois houses it looks defiantly relaxed in its simplicity. The coarse, grey plaster, typical of the former GDR, refers to its past as a storehouse; through the roughly broken out window apertures visitors have a magnificent panoramic view of the nearby lake on the one side and the forest on the other.

The interferences with the existing building are both simple and spectacular. The pitched roof of corrugated asbestos, for instance, was replaced by a simple flat roof of concrete; thanks to its slight tilt rainwater is drained through a two-and-a-half meter long gargoyle. The generously dimensioned building with its 270 m² area is equipped with a kitchenette, a sauna and a bathroom on the upper floor, the ground floor is used by artists as a studio. When it’s cold outside in winter and the supplied heat is no longer enough to bring the whole upper floor up to a comfortable temperature, a thin translucent curtain can be pulled to close off a 70 m² compartment that prevents cold and warm air exchange. In this way is stays pleasantly warm even when temperatures outside are frosty, without the rough vastness of the space getting lost.

Follow-up use is a priority

Arno Brandlhuber is known for his unconventional work, his buildings, which are open to appropriation, and his preference to rather convey a follow-up use to buildings than to simply demolish them and build new ones. The reasons for this are both of an economical and an ecological nature, because “everything you still use will first and foremost not waste the energy and cost needed for demolition, which are already present in the object in hand”.

One could say that Brandlhuber delights in special challenges that come in combination with a follow-up use. “I love situations where a relatively large amount of information is already there – to me, building stock comprises not only the buildings as such but also the environment and the social fabric. When architecture believes that it can operate in isolation only for its own purposes, then in my opinion it is irrelevant”, says the architect. His projects are characterized by their multitude of flexible uses, like the recently finished transformation of the St Agnes church and parish centre for Johann König gallery in Berlin, which had been erected by Werner Düttmann at the end of the 1960s in the style of brutalism. The borders between living and working area merge.

With the sledgehammer

The same applies to ‘Antivilla‘. The building was erected in 1980 by a GDR company that tooks on trainees for Obertrikotagen Ernst Lück, a publicly-owned company. Each apprentice in the brigade had to build one window for practice – that’s how a lot of small windows on all the four sides of the building came into being. The architect and builder-owner soon realized that a different kind of opening had to be created – one that provides more light and more view. Inspired by Claude Faraldo’s1973 movie ‘Themroc‘, Brandlhuber decided in favor of a direct approach with a performative character. Without further ado, he set up a field kitchen, several cases of beer and electric sledgehammers and invited friends to spend an afternoon with him creating rough window apertures according to their liking. “This was a lot of fun and led to aching muscles on the next day because many of us just couldn’t restrain themselves”, tells Brandlhuber and laughs. The panoramic windows thus created were left in their rough state and glazed. Inside, too, everything is kept simple.

“I think that any kind of cladding is superfluous. I prefer to see the surfaces of materials so that people understand the surroundings they live in. In a direct and not very made-up way. All kinds of decor – art, furniture –are makeup, but no material is presented here in a way that camouflages its true nature.” Of course this material authenticity also has the advantage that these materials left in their natural state can be completely recycled. In the case of ‘Antivilla‘, the makeup is provided by the open view of the surrounding landscape, the furniture by Matti Braun and Muller van Severen, the church lamps of plexiglass and brass by Rudolf Schwarz, and art by Karin Sander, Anselm Reyle, Björn Dahlem and Gregor Hildebrandt, who fitted part of the floor on the upper level with wood-imitating parquet made of cassette tape.

An experimental building

As Brandlhuber says, ‘Antivilla’ is an “experimental building“. “In the field of architecture, you do not have much leeway to experiment, try things out and test them with your client. Actually, in the case of a highly complex project like a building you should sometimes be able to say, ’oh, we’ll just adjust this a little bit’. But circumstances do not allow you to try out a process that is maybe a bit more cost-efficient but of which you are not one hundred percent sure that it will work immediately.” ‘Antivilla‘ provides space for exactly that kind of testing, checking and adjusting and makes new processes perceptible. It combines the generous floor area of a villa with the simple standards of a family home and demonstrates that this “blended product” may well be a high-quality alternative for creating low-cost living and working space.
Arno Brandlhuber sees the building as a question posed to fathom procedures and scrutinize standards. He says: ”When you depart from the ‘either-or’ and approach the ‘both-and’ principle, you will realize the opportunities this offers.” In this respect, a good house can stand a lot.

Author: Lucie Tamborini

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