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Publikumsmagnet von Snøhetta

Calgary Public Library/Kanada
Publikumsmagnet von Snøhetta

Snøhetta bauten eine Bibliothek im kanadischen Calgary mitten auf die Tunneleinfahrt einer Stadtbahnlinie. Das Architekturbüro erkannte das Potenzial dieses Ortes und schuf ein verbindendes Element zwischen vormals städtebaulich getrennten Stadtteilen.

Autor Rolf Mauer

Wie eine Bibliothek städtische Brennpunktquartiere aufwerten soll und kann, das ist im kanadischen Calgary zu beobachten. Die 2018 eröffnete Public Library steht im Downtown East Village, einem vom Rest der Innenstadt abgeschnittenen Viertel mit jahrealten sozialen Problemen und einer hohen Kriminalitätsrate.

Die Gegend, die umgangssprachlich schlicht als East Village firmiert, war mit ihrer Mischung aus Hochhaus-, Gewerbe- und Industrieprojekten wenig attraktiv und gewann erst, als der Stadtrat sich dazu entschloss, den Ort zu revitalisieren und neu zu entwickeln. Mittlerweile wurden dort Investitionen im Wert von annähernd 3 Mrd. CAD getätigt.

Wer sich hier die Frage stellt, ob diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die architektonische Betrachtung dieses Gebäudes relevant sind, dem sei geantwortet: Unbedingt, denn die Historie des Ortes definiert das neue Haus bis hinein in die Gestaltung der Innenarchitektur. Den zweistufigen Architekturwettbewerb gewannen das norwegische Architekturbüro Snøhetta und das kanadische Architektur- und Bauplanungsunternehmen Dialog.

Ziel der Ausschreibung war es, die städtebauliche Trennung des East Village von der Innenstadt zu überwinden, zugleich galt es, eine weitere örtliche Beeinträchtigung architekto- nisch zu gestalten: Die künftige Calgary Public Library sollte mitten auf einer Tunneleinfahrt der Stadtbahn Light Rail Transit Line zu stehen kommen. Man hätte sich viele Orte denken können, die bessere Voraussetzungen für eine Bibliothek bieten.

Vorbild aus der Antike

Snøhetta und Dialog antworteten auf diese kniffligen Anforderungen jedoch mit einer klugen Idee: Sie hoben das Gebäude an, um die Tunneleinfahrt der Stadtbahnlinie zu egalisieren. Die Stadtbahn tangiert das Gelände mit einer Kurve, die sich auch in der Fassade ablesen lässt. Städtebaulich terrassierte Außenbereiche führen die Besucher von allen Seiten hinauf zum Haupteingang. Dieser Eingangsbereich ist zugleich der Versuch, die vorgenannte Trennung der Stadtteile zu überwinden. Die dynamische, dreifach verglaste Fassade weist ein modulares, sechseckiges, vielfach variiertes Muster auf. Von diesem Muster wird das gesamte Gebäudevolumen umschlossen, sodass alle Seiten als „Vorderseite“ des Gebäudes gelesen werden können. Das grafische Vokabular der Fassade setzt sich im Inneren fort und prägt die visuelle Identität der Bibliothek.

Gleichzeitig spielt die Fassade auf besondere Wolkenformationen an, wie sie durch einen regionalen, warmen Fallwind, den Chinook, entstehen. Dieser Wind verursachte bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary über Nacht einen extremen Temperaturanstieg von –30 auf +12 °C mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h. Damals mussten viele Sportwettkämpfe abgesagt werden.

Wer die Bibliothek betritt, dessen Aufmerksamkeit konzentriert sich ganz automatisch auf das gebäudehohe Treppenhaus mit seiner Holzverschalung aus roter Zeder, geschlagen im nahen British Columbia: Atemberaubend präsentiert sich die Erschließung als Doppelkurve – und als eine der größten Freiform-Holzschalen der Welt. Ihre tragenden Sichtbetonstützen erinnern in ihrem rhythmischen Wechsel von Durchsicht und Geschlossenheit an die Stoa, die öffentlichen Kolonaden der antiken griechischen Architektur. Der rohe Materialcharakter ist beabsichtigt und soll den Eindruck vermitteln, dass die Bibliothek eher ein Ort des persönlichen Engagements ist und kein sakrosanktes Repositorium für Bücher.

Das offene Atrium ist im Grundriss wie eine spitze Ellipse geformt und dient als Orientierungshilfe. Durch die großzügige, raumgreifende Bauweise lässt sich die Organisationslogik der Bibliothek schnell erfassen.

Im Mezzanin des Erdgeschosses bietet eine Kinderbibliothek den ganz jungen Besuchern viel Raum für handwerkliche und zeichnerische Aktivitäten. Frühkindliche Alphabetisierungs- programme ergänzen das Indoor-Spielerlebnis. In den sechs Etagen darüber stehen verschiedene Räume zur Verfügung für digitale und analoge Gruppeninteraktionen.

Auf der obersten Ebene befindet sich der große Lesesaal. Er ist das „Schmuckkästchen“ der Bibliothek und ermöglicht ein fokussiertes Studium ohne äußere Ablenkung. Sein Inneres säumen vertikale Holzlatten, die aufgrund ihrer Transparenz sowohl Privatsphäre als auch eine soziale Kontrolle ermöglichen. So entsteht der Eindruck eines Innenraums ohne feste Wände. Durch die Holzlamellen fällt natürliches Licht, zugleich lebt dieser zentrale Ort von spannenden Blickachsen.

Wer tiefer in die Calgary Public Library vordringt, findet mit dem nördlichsten Punkt einen Ort, an dem das Gebäude auf die umliegende Stadt verweist. Dieser offene und nur leicht möblierte Raum zeigt die beiden Stadtteile, die mit der Bibliothek verbunden werden sollen. Hier kann man in die Stadthistorie eintauchen und ist gleichzeitig Teil einer Kulisse für die, die im Außenraum stehen. Mit ihrer „sichtbaren“ Anwesenheit sollen Bibliotheksbesucher die Passanten animieren, das Innere des Hauses zu betreten. Eine schöne Geste, die einiges über die vielschichtige Art und Weise erzählt, mit der Snøhetta und Dialog über Architektur nachdenken.

Mehr als nur Bibliothek

Um die Größenordnung des neuen Baus einschätzen zu können, sollte man wissen, dass die Calgary Public Library die größte öffentliche Investition der Stadt seit den Olympischen Spielen 1988 ist. Wie stark das Bibliothekswesen in der Bevölkerung verankert ist, kann man an der Tatsache erkennen, dass nahezu die halbe Einwohnerschaft einen Bibliotheksausweis besitzt. Im Detail ist die Calgary Public Library (CPL) ein dezentrales Bibliothekssystem mit 18 Zweigstellen, einschließlich der neu gebauten Zentralbibliothek. Es handelt sich nach der Bibliothek in Toronto um das erfolgreichste Bibliothekssystem in Kanada.

Eine so etablierte Institution ist daher mehr als nur eine schnöde Bücherei und tatsächlich bietet das Haus Räume für die unterschiedlichen Interessen der Besucher und ihre Aktivitäten. In dieser Bibliothek ist Raum für soziale Interaktion, für den kommunikativen Austausch und zum Lernen. Die Wissensdurstigen sind ebenso willkommen wie die stillen Genießer eines Ortes ohne Stress und Hektik.

Hier finden Sie noch ein andere spannende Projekte


Architekturbüro Snøhetta

Gegründet 1989 in Oslo/Norwegen.

Niederlassungen in New York, San Francisco, Innsbruck.

Mitarbeiter: ca. 240.

Arbeitsgebiete: Architektur, Landschaftsplanung, Interior, Produkt- und Grafikdesign

www.snohetta.com


Factsheet

Projekt: New Central Library

Standort: Calgary/CA

Bauherr: Calgary Municipal Land Corporation

Bauaufgabe: Bibliothek

Fertigstellung: November 2018

Nutzfläche: 22300 m²

Materialien (Decke, Wand, Boden):
Atrium Holzarbeiten: Executive Millwork; Sonnensegel: Sefar; Fußboden: Alberta Hardwood Flooring; Fliesen- und Doppelboden: RGO

Beleuchtung: Canem

Beschilderung: WSI

Innenverglasung: Ferguson

Grafiken im Kinderbereich: 3M Controltac

Möblierung:

Bücherregale: BCI; Tische Lesesaal: Möbius; Möbel: Arper, Artek, Artifort, Benson, Buzzispace, Coalesse, Davis, Geiger, Hay, Haworth, Herman Miller, High Tower, KI, Knoll, Naughtone, Nienkamper, Steelcase, Teknion, Vitra, Watson

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