Der gebürtige Südtiroler Matteo Thun hat sich eine unbestritten hohe Profession im Bau von Hotels angeeignet. Mittlerweile, so schätzt Thun selbst, hat er ca. 80 Hotelbauten realisiert.
Zudem ist der international tätige Planer auch als Designer und Innenarchitekt sehr bekannt. Zwar hat er große Erfahrung in der Planung von Hotelbauten, aber für die Realisierung einer Klinik sah er sich nach einem – wie er sich im persönlichen Gespräch ausdrückt – „Professionisten“ um, der Planung und Bauleitung übernehmen sollte.
Klinik als Patientenhotel
So begleitete bereits sehr früh das deutsche Architekturbüro HDR die Weiterführung von Thuns Entwurf des Klinik-/Patientenhotels in Eisenberg. HDR ist auf die Planung von Bauten für Gesundheit, Forschung und Lehre spezialisiert.
Die Zusammenarbeit der beiden Architekturbüros hat sich als sehr fruchtbar herausgestellt; was man nicht nur am überzeugenden Bau des neuen Hauses für die Waldkliniken Eisenberg unter der Leitung des Geschäftsführers David-Ruben Thies erkennt, sondern wird auch von allen Beteiligten offen ausgesprochen.
Gastfreundschaft des Waldes
In der Grundphilosophie des Bauherrn sollen der Patient und seine „Reise“ durch das Patientenhotel in den Mittelpunkt gestellt werden. Beginnend beim Concierge, der den Patienten persönlich durch die Zeit in Eisenberg führt, bis hin zum digitalen Patienteninformationssystem auf den Flachbildschirmen in den Patientenzimmern.
Die Philosophie folgt dem Ansatz des Design Thinkings. Das heißt, es macht Betroffene zu Gestaltern ihrer Situation und will die Informationsbarrieren zwischen Patienten, Mitarbeitern und Gästen auflösen.
Gastfreundschaft des Waldes
Die Waldkliniken Eisenberg sind das größte orthopädische Zentrum Europas und liegen – der Name deutet es bereits an – inmitten des Thüringer Waldes. Auch Matteo Thun zeigte sich nach eigener Aussage vom Standort und seinem umstehenden, „gesunden“ Gehölz beeindruckt und so entstand die Idee, die „Gastfreundschaft des Waldes“ (O-Ton Thun) in den neuen Bau einzubinden.
Krankenhausatmosphäre wird vermieden
Nicht jeder Patient, der stationäre ärztliche Behandlung braucht, ist bettlägerig und auf das umfangreiche technische Equipment angewiesen, das ein normales Krankenhausbett als Standard vorhält. Im Patientenhotel sind Wohnen und Behandlung voneinander getrennt; eine typische Krankenhausatmosphäre wird bewusst vermieden.
Hotelkomfort und Aufenthaltsqualität
Menschen in der stationären Rekonvaleszenz können die Zeit außerhalb ihrer Behandlung in Räumen mit Hotelkomfort verbringen und somit deutlich mehr Aufenthaltsqualität genießen, als ein normales Krankenzimmer bieten könnte.
Mit dem runden Bau setzen Matteo Thun und HDR Maßstäbe im Klinikalltag. Das Konzept des Patientenhotels steht für eine Entwicklung im Krankenhausbau, die sich nicht nur stark am Wohlbefinden des Patienten orientiert, sondern ihn tatsächlich als Gast sieht. Alle Zimmer haben einen gleichberechtigten Blick ins Grüne.
Viel natürliches Tageslicht
Gerade, ellenlange Flure werden vermieden, die Übersicht und Orientierung im Gebäude ist jederzeit gegeben. Die Wege sind im Allgemeinen kurz. Die Aussicht in den nahen Wald und viel natürliches Tageslicht sind die besten Voraussetzungen für die Genesung.
Die Patienten tragen in Eisenberg ihre eigene Kleidung und nehmen die Mahlzeiten im Patientenrestaurant „Piazza“ bzw. nach Wunsch in einem zweiten Restaurant im vierten Obergeschoss ein.
Rückzugsort Patientenzimmer
Der Fokus von Matteo Thun lag in der Entwicklung des Patientenzimmers. Die Waldkliniken sind ein kommunales Haus und gehören der öffentlichen Hand, daher waren nur Zwei-Bett-Zimmer als Mindestbelegung möglich. Hier setzte der Architekt an: Die Betten stehen nicht parallel, sondern versetzt in unterschiedlichen Zonen des Raumes.
Der direkte Dialog der Patienten ist möglich, ergibt sich aber nicht zwingend. Das Bereitstellen einer privaten Zone für den genesenden „hospes“ (latein.), also den Gast, ist eines der zentralen Themen dieser Klinik. Durch die räumliche Verschränkung des Raumes mit Bad und Veranda hat jedes Bett seine eigene Zone, die bei Bedarf über einen Vorhang abgetrennt werden kann.
Die hygienischen Anforderungen des Klinikalltages werden durch Vinyltapeten als desinfizierbare Wandoberflächen erreicht. Daher wirken die Räume deutlich wohnlicher als klassische Krankenzimmer, auch wenn das Bett immer noch die typischen Rollen hat.
Klimapuffer und Rückzugsort
Von großer Bedeutung ist die verglaste Veranda, um die sich jeweils zwei Patientenzimmer gruppieren. Diese wirkt als auch als Klimapuffer für die erholungssuchenden Genesenden und ist gleichzeitig Rückzugsort, in dem auch der ungestörte akustische Kontakt zum Besucher möglich ist. Gleichzeitig kann dort ein anderes Temperaturniveau gehalten werden, das für Patient und Besucher gegebenenfalls behaglicher wirkt.
In den Patientenzimmern ist das sichtbare Konstruktionsholz an den Rahmenkonstruktionen von Außenfenstern und Verandatüren präsent.
Lärchenholz für die Fassade
Generell ist das Lärchenholz der Außenfassade über die großen Fensteröffnungen in den Zimmern und Veranden jederzeit erlebbar. Herausragende Innenarchitektur entsteht im Dialog zwischen dem Innen- und dem Außenraum.
Natürlich ist die optische Verbindung die am stärksten beachtete Größe. Wir bauen ja, weil wir uns vom Außen und seinen jahreszeitlichen Launen abgrenzen wollen, zeitgleich möchten wir uns aber vom Erlebnisraum vor dem Fenster nicht absentieren.
Healing Environment
Im Patientenhotel lassen sich die Fenster großzügig öffnen, sodass man im Inneren des Hauses auch dem Rauschen des Windes lauschen und bei ausreichend olfaktorischem Talent auch den feuchten Waldboden riechen kann. Zugleich kommt sehr viel Tageslicht in die Patientenzimmer, was den Genesungsprozess unterstützt.
Beleuchtungsobjekte
Großes Engagement wurde auch auf die Gestaltung der künstlichen Beleuchtung gelegt, sowohl bei Lichtfarbe, den Beleuchtungsobjekten als auch bei der individuellen Steuerung im Bettbereich.
Insgesamt wird mit diesem Ansatz das deutsche Gesundheitswesen verändert, nicht nur durch die kreisförmige, holzbetonte Bau-Ästhetik und das Konzept des Healing Environment, sondern vor allem auch durch die Zimmer mit Privatbereichen, gemeinsamen Wintergärten für jeweils vier Patienten, Boarding-Bereichen und einem Unit-Pflegekonzept.
Die Raumgestaltung gewährleistet die Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit des Personals. So ergibt sich also nicht nur eine Transparenz zur Natur außen, sondern auch Transparenz nach innen. Das alles wirkt sich auch auf die Arbeitsbedingungen des Personals positiv aus.
Mit dem Ergebnis ist der Bauherr sehr zufrieden, die beteiligten Architekturbüros Matteo Thun und HDR sind es ebenfalls. Nicht ganz zufrieden sind Matteo Thun & Partners mit der Namensgebung „Patientenhotel“.
Mattheo Thun hadert mit Namen
Diese trockene Bezeichnung, so meint er nicht zu Unrecht, gilt es noch zu optimieren. Wir von der Redaktion haben ihm versprochen, im Leserkreis nach Namensalternativen zu fragen. Wenn sie also, liebe Leser, wissen, mit welchem Begriff dieses tolle Haus am besten zu beschreiben ist, erzählen Sie es uns. Wir geben Ihre Idee gerne an Matteo Thun weiter.
Daniel Ferchland (im Bild), Michael Keitel, Stefan Opitz von HDR GmbH verantworten Planung und Bauleitung des Patientenhotels.
Geschäftsführer: Norbert Schachtner, Johannes Kresimon
Gründungsjahr: 1959
Mitarbeiter: 300
Arbeitsgebiete: Architektur und Consulting in den Bereichen Healthcare, Education, Science, Technology, Civic.
Matteo Thun zeichnet für den Entwurf der Architektur und des Interiors des Patientenhotels verantwortlich.
Büro: Matteo Thun & Partners
Gründungsjahr: 1984
Mitarbeiter: 70
Arbeitsgebiete: Architektur, Interiordesign, Styling, Produktdesign in den Bereichen Healthcare, Hospitality, Residential, Office und Retail.
www.matteothun.com
Factsheet
Projekt: Neubau Bettenhaus Waldkliniken Eisenberg (WKE)
Standort: Eisenberg/Thüringen
Bauherr: Waldkliniken Eisenberg
Bauaufgabe: Bettenhaus
Fertigstellung: September 2020
Grundstücksgröße insgesamt: 114 700 m² Campus Waldkliniken Eisenberg
Nutz-/Wohnfläche: NuF: 8 800 m² /
BGF: 16 550 m²
Geschosse: EG, 4 OG, 1 UG und Technikzentralen auf dem Dach
Bettenanzahl: 246 Betten in 128 Zimmern (10 Privatzimmer)
Materialien (Decke, Wand, Boden): Boden: Parkett, Feinsteinzeug, PVC Holzoptik, Kautschuk;
Wand: Vinyltapeten Vescom; Decke: Anstrich, Holzlamellen, Akustikdecken
Möblierung/Sanitär/Beleuchtung/Hauskommunikation: Möblierung: lose Möbel Cassina Contract; feste Möbel: lokale Lieferanten; Beleuchtung: Mawa Design, Sanitär: Keuco