Rund um den Kölner Klingelpützpark sind acht Bildungseinrichtungen entstanden: Fünf Schulen mit einem Studienhaus und einer Mensa, zwei Jugendeinrichtungen und eine Kindertagesstätte haben sich hier zu einem Bildungsverbund zusammengeschlossen. Die Bildungslandschaft Altstadt Nord (BAN) in der rheinischen Metropole ist ein Pilotprojekt für ein pädagogisches Reformkonzept. Dahinter stehen die Montag-Stiftung Jugend und Gesellschaft und das Amt für Schulentwicklung der Stadt Köln. In gemeinsamer Anstrengung soll ein stadtweit erreichbares, lokal orientiertes Bildungsangebot für Lernende aller Begabungen geschaffen und so langfristig auf die Verbesserung der Bildungschancen im Viertel und darüber hinaus hingewirkt werden.
Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen
Nun, nach 14 Jahren Planungs- und Bauzeit ist das ambitionierte Projekt im nördlichen Teil der Kölner Altstadt fertiggestellt. 2006 beschloss der Rat der Stadt Köln mit Unterstützung der Montag-Stiftungen das in Nordrhein-Westfalen einmalige Modellprojekt eines Bildungsverbunds aus benachbarten Institutionen.
2013 konnte das Architekturbüro Gernot Schulz : Architektur gemeinsam mit dem Berliner Landschaftsarchitekturbüro Topotek 1 den Architekturwettbewerb für sich entscheiden.
Die Grundgedanken des Gewinnerentwurfs sind so rasch umrissen wie bemerkenswert: Fünfeckige Gebäudeformen zur Schaffung einer lebendigen Lernlandschaft, ein zentrales und von allen Seiten begehbares Studienhaus, fließende Übergänge zum Park durch abgestufte Bauhöhen sowie eine dynamische Raumnutzung durch Entfall der Flure zugunsten von sogenannten Lernorten. Kurzum: Es entstand ein Ensemble mit hohem Innovationswert für das Bildungssystem.
Pädagogische Architektur
Das Modellprojekt entwickelte sich Schritt für Schritt im Dialog und im Ringen mit allen Beteiligten – den Bildungs- und Jugendeinrichtungen, der Stadt, den Anwohnern, den Architekten und der Stiftung. „Es galt, die Idee der pädagogischen Architektur in einem Campus umzusetzen“, erklärt Projektleiterin Raphaella Burhenne de Cayres von Gernot Schulz : Architektur.
Darin klingt an, dass Architektur und Städtebau neben den gestalterischen auch hohe inhaltliche Anforderungen erfüllen müssen. Der Raum als dritter Pädagoge gewissermaßen. Statt klassischem Frontalunterricht herrschen partnerschaftliche Lernformen vor. Wichtig ist kooperatives Arbeiten, über allem steht der Gedanke der Inklusion.
Fünfeck als ideale Form
Ein starres Architekturkonzept wurde verworfen. Stattdessen experimentierten die Fachleute von Gernot Schulz : Architektur mit mehreren geometrischen Figuren, bis sie sich für das Pentagon als ideale Form für das offene Cluster-System entschieden. „Damit lassen sich unterschiedliche Raumanforderungen sehr gut darstellen“, sagt Burhenne de Cayres.
Variantenreiche Raumbildungen
Dabei folgt die innere Struktur der Häuser dem partizipativ mit Pädagogen entwickelten architektonischen Konzept. Fast alle Gruppen- und Klassenräume sind trotz der fünfeckigen Wabenstruktur der architektonischen Hülle als orthogonale Räume oder Raumfolgen konzipiert. Da sie nahezu immer an zwei Außenwände stoßen, verändert sich zumeist ihre Raumform in ein unregelmäßiges Trapez. Hierdurch entstehen variantenreiche Raumbildungen und komplexe Figuren, die sich als unregelmäßige Vielecke im Grundriss abbilden.
Farben geben Orientierung und Identität
Die Zugehörigkeit unterschiedlicher Räume zum selben Spiel- oder Lerncluster klärten die Experten von Gernot Schulz : Architektur durch farbige Flächen. So sind die vier Gruppen des Kindergartens mit hellen Farben gekennzeichnet, die nicht nur Orientierung, sondern auch Identität geben. Jede Raumeinheit verfügt über Aufbewahrungsschränke, Garderoben und Sitzecken in starkfarbigen Fassungen, die von Blau über Hellgrün, Orange bis Brombeere reichen.
Die Öffnungen der Gebäude rahmen gezielt Szenen des Lebens draußen. Gleichzeitig lassen sie Einblicke von außen in das Gebäude zu, und vermitteln damit absichtsvoll Eindrücke vom Leben im Inneren.
Reformunterricht in Clustern
Dieses Konzept trifft auch auf die „Lernorte“ im Erweiterungsbau der Grundschule und der Realschule zu, die der klassenübergreifend in Clustern stattfindende Reformunterricht erfordert. Die Einheiten für die einzelnen Jahrgangsstufen sorgen für zeitgemäßes Lernen in wechselnden Unterrichtsformen und -methoden. Der Unterricht kann und soll variiert werden.
Diese Flexibilität spiegeln gleichfalls die Räume wider. „Der Cluster steht auch für Heimat“, erklärt die Architektin. „Das große System Schule teilt sich in kleine, autarke Einheiten auf.“ Zur Identitätsstiftung trägt ebenso das Farbkonzept bei: Jede Etage der Schulen schmücken andere Farben, die sich an der Klaviatur Le Corbusiers orientieren.
Stadtentwicklung
Die unparallelen Fassaden der Gebäude erzeugen eine städtische Dichte, die Bildungsinstitutionen und öffentlichen Raum zusammenbringt. Denn über das anspruchsvolle Bildungskonzept hinaus erhofft sich die Stadt Köln Anstöße für die Entwicklung des Viertels rund um den Klingelpützpark.
Die BAN soll keine Insellage in der Stadt bilden, sondern ein Teil von ihr sein. So setzte Gernot Schulz : Architektur die einzelnen schulischen Institutionen an die Ränder, das öffentliche Studienhaus dagegen wurde in der Mitte der Bildungslandschaft platziert.
Es übernimmt in dieser dichten, kleinteiligen Struktur die zentrale Rolle – umringt vom denkmalgeschützten Altbau der Grundschule, seiner Erweiterung sowie den Neubauten für die Kindertagesstätte und die Realschule. Zwischen den ein- bis viergeschossigen Gebäuden liegen Gassen und Aufweitungen, die die Schulbauten untereinander und die Stadt mit dem Park verbinden.
Keine Zäune und Mauern
Durch die Lage und Anordnung der Gebäude konnten die Planer auf Zäune und Mauern verzichten. Lediglich die Kita und die Grundschule verfügen über geschützte Außenräume, die Realschule benutzt den Park als Schulhof mit.
Werden Pädagogik, (Innen-)Architektur, Landschafts- und Stadtplanung zusammengedacht, können Lernorte von besonderer Qualität entstehen. Dass dieses Zusammenspiel in der Bildungslandschaft Altstadt Nord geglückt ist, zeigt die Auszeichnung mit dem Kölner Architekturpreis 2021.
Auszeichnung mit Kölner Architekturpreis 2021
Im Protokoll der Jury heißt es: „Sie ist auf vielen Ebenen bemerkenswert, diese neue Bildungslandschaft, ein Campus für Schüler aller Altersstufen im Norden der Kölner Altstadt. Es wurde ein Gebäudeensemble geschaffen, das eine starke eigene Identität entwickelt und sich gleichzeitig hervorragend in den städtebaulichen Kontext einbettet.“ Ein spektakulär geglücktes Vorhaben unter Beteiligung von platziert, dem man möglichst viele Nachahmer wünscht.
Fakten
Projekt: Bildungslandschaft Altstadt Nord BAN
Standort: Gereonswall 57, 50670 Köln (Realschule)
Bauherr: Gebäudewirtschaft der Stadt Köln mit dem Amt für Schulentwicklung
Architekturbüro: Gernot Schulz : Architektur GmbH, Köln
Planungs- und Bauzeit: 2013 bis 2020
Landschaftsarchitektur: Topotek1, Berlin
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, Bonn
BGF: 12 899 m² gesamt
Ausstattung (Auswahl): Bodenbeläge: Linoleum von Forbo Flooring und DLW, Teppichboden ‚Madra‘, ‚Poodle‘ von Object Carpet; Akustikdecken ‚Heradesign‘ von Knauf AMF; Leuchten von XAL; Möblierung: Schreinerarbeit mit Seekiefer, HPL, Lärche nach dem Entwurf von Gernot Schulz : Architektur
Zur Website von Gernot Schulz : Architektur
Zu einer Grundschule von Public Atelier und Studio FUUZE
Architekt Gernot Schulz
startete mit einem eigenen Büro 1994. Seitdem liegt der Fokus auf Bildungs- und Kulturbauten. 2001 gründete er das Büro Gernot Schulz : Architektur mit heute 25 Beschäftigten. Porträt: Studio Lichtschacht