Erinnern Sie sich noch an den Kunstunterricht in der Schule? Eines der Themen, etwa in der siebten Klasse, lautete Perspektive. Es galt, einen schlichten Blick in den Raum zu inszenieren, diesen collageartig mit Einrichtungsgegenständen zu bestücken, sprich einzurichten. In meiner Klasse geschah das Anfang der 1980er-Jahre mit unverrückbaren Schrankwänden, Eiche furniert, und eigentlich immer mit diesem typischen, furchtbar künstlich wirkenden, erdig-braunen Farbton der Beize. Die nannte sich schlicht „rustikal“.
Rückkehr der Vielfalt der Hölzer
Heute ist es wieder Eiche, auch wenn „rustikal“ nun etwas ganz anderes bedeutet. Man könnte aber auch sagen, noch ist es die Eiche. Denn wir erleben aktuell ein langsames Abklingen dieser intensiven zweiten Welle. Und weil es lange hieß, „Jedes Holz ist recht, solange es Eiche ist“, kann man sagen, dass am Ende das Eichen-Revival dazu beigetragen hat, den Blick auf den Holzwerkstoff zu schärfen.
Mit dem Sinnbild von Heimat in Gestalt der Eiche wurden astige, rissige, teils farbenfrohe und allerhand haptisch fühlbare Varianten des Holzes salonfähig. Durchaus aus einer gewissen Schwierigkeit heraus – weil irgendwann keine „guten Qualitäten“ mehr zu bekommen waren – hat man aus dieser Not eine Tugend gemacht.
So ist bei vielen Ausstattungsmaterialien wie Böden und Möbeln der Ast oder der Riss im Holzwerkstoff nicht länger Anlass zur Reklamation, sondern im Gegenteil: Das „Natürliche“ ist geradezu kaufentscheidend.
„Lange war der „Holzfehler“ ein Grund zur Reklamation. Heute kaufen die Leute gerne Holzmerkmale“
Echtheit bis hin zur Patina durch das Leben sind Aspekte, die wieder gefallen. Ein Pionier auf diesem Gebiet ist der italienische Möbelhersteller Riva 1920. Seit Jahren fertigt das Unternehmen Möbel und Inneneinrichtungen, die unter anderem aus massiven Zedernholz-Blöcken mittels CNC-Maschinen herausgearbeitet werden.
Besonderer Publikumsmagnet sind die Tische aus dem in Neuseeland konservierten Kauri-Holz, das bis zu 50 000 Jahre alt ist. Selbst das Holz von ausgedienten und mit Bohrlöchern übersäten Eichenholz-Pfählen aus der Lagune Venedigs wird dort zu Unikaten verarbeitet.
Generell ist altes Holz gesucht wie nie zuvor. Darin spiegeln sich existenzielle Bedürfnisse des Menschen, beispielsweise nach einem Altern in Würde. Das Alte wertschätzen und bewahren, statt es wegzuwerfen oder auszutauschen.
Holzwerkstoff dient als Identifikationsfläche
„Holz gönnt dem Auge eine Verschnaufpause, weil es den Blick zum Verweilen einlädt“, weiß der Engadiner Schreiner Ramon Zangger. Jede Holzart hat ihre Besonderheiten, dient zugleich als Identifikationsfläche. So kommt mit der Sehnsucht nach Heimat das Regionaltypische wieder zurück. Galten die Arvenholzstuben lange als Relikt vergangener Zeiten und typisch für die Bergregionen, ist heute der ökologische und gestalterische Wert lokaler Gepflogenheiten in der Innenarchitektur wieder präsent.
Die Vielfalt an eingesetzten Hölzern wächst enorm. Auch der baukonstruktive Einsatz von Laubhölzern wie Buche oder Esche regt dazu an, in der Innenraumgestaltung im jeweiligen Material fortzufahren.
Dabei verbessert die Rückbesinnung auf Regionalität die Ökobilanz des ohnehin nachhaltigen Holzwerkstoffs noch zusätzlich. Das alte Ziel vom „Holz der kurzen Wege“ rückt wieder näher. So wird im Schwarzwald verstärkt mit Tanne gearbeitet, in Nordspanien mit den Hölzern der Kastanienwälder und in Südfrankreich kreiert man fleißig Zeitgemäßes aus der massenhaft vorhandenen Seekiefer.
„Die haptische Erlebbarkeit hat den Holzwerkstoff im Innenraum auf eine neue Ebene gehoben“
Holz können wir fühlen, seine Beschaffenheit tastend erkunden. Kaum jemand, der nicht von der Wärme und Haptik des Holzwerkstoffs angezogen wird. Sägeraue und gebürstete Oberflächen sind längst Standard und dort, wo das Material vor den Spuren der Benutzung geschützt werden soll, wie etwa beim Boden, kehren alte Techniken zurück.
Die geseifte Oberfläche vereint die Ansprüche in besonderer Weise. Sie schützt und pflegt, belässt aber dem Holz seine sinnlichen Eigenschaften. Generell entwickelt sich die haptische und optische Wahrnehmbarkeit zur neuen Grundlage von Oberflächenbehandlung. Dazu dienen neue Verfahren wie das Lasern. Aber auch mit herkömmlichen Verfahren wie im Battersea Arts Centre mit gefrästen Elementen entstehen reliefartige Oberflächen.
Holzwerkstoff: ökologischer und gestalterischer Nutzen
Die ursprünglichste Struktur jedoch ist die gespaltene Oberfläche. Inzwischen breitenwirksam etabliert, hatte der Schreiner Klaus Wangen aus der Eifel das Verfahren als erster handwerklich in die gute Stube gebracht. Er wollte das Holz zeigen, wie es ist: „Holz hat den Menschen immer begleitet, weshalb es uns im Hier und Jetzt erdet.“ Sowohl als Baustoff als auch im Raum ist Holz durch die Ideen kluger Köpfe wieder ins Blickfeld gerückt.
„Jede Holzart hat ihre Besonderheiten und dient auch als Identifikationsfläche. Ihr ökologischer und gestalterischer Nutzen erfährt eine neue Wertschätzung.“
Als einziger Bau- und Werkstoff kann es in großen Mengen nachhaltig erzeugt werden. Seine Verwendung entzieht der Luft Kohlendioxid und bremst so den Klimawandel. Holz ist ein emotionaler Anker in einer „emotionsbefreiten“ Architektur aus Beton und Glas.
Ironischerweise trifft ein jahrelang gepflegter Werbespruch der Betonbranche in besonderer Art auf den Holzwerkstoff zu: „Es kommt darauf an, was man daraus macht“. Jedes Stück kann eine Geschichte erzählen, von der wir ein Teil sind.
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