Manhattans viel diskutiertes und landesweit teuerstes privat finanziertes Immobilienprojekt, das neue Hochhausviertel Hudson Yards in Chelsea, ist ein Luxus-Spielfeld für Investoren auf der Westseite des New Yorker Bezirks.
Neben exklusiven Wohn- und Bürohochhäusern von Foster + Partners, SOM und KPF finden sich in zentraler Lage auch ungewöhnliche Architekturen wie das „Treppen-Haus“ – ‚The Vessel‘ von Thomas Heatherwick, und das vom New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro in Zusammenarbeit mit der Rockwell Group umgesetzte und im April 2019 eröffnete Kunst- und Kulturzentrum ‚The Shed‘.
Dieser aus privaten Spenden finanzierte „Schuppen“ für die Kunst ist Teil der Basis eines der Hochhäuser, das ebenso wie die angrenzende, zum Park umgewandelte Bahnstrecke Highline vom New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro geplant wurde. Auf acht Stockwerken bietet das Gebäude 18 500 m² für Ausstellungen, Theateraufführungen sowie Veranstaltungs- und Proberäume.
Räumliches Spektakel
Die 37 m hohe Konstruktion passt sich den wechselnden Bedürfnissen zeitgenössischer Kunst an und ist wortwörtlich transformierbar: Die Architektur wird mobil, der Stadtraum wird zum Gebäude und umgekehrt.
Die beweglich konstruierte Außenhülle kann die Grundfläche des Gebäudes verdoppeln, indem sie über den angrenzenden öffentlichen Platz gefahren wird. So entsteht zusätzlich eine 1 600 m² große Fläche für Performances, Installationen und Veranstaltungen, ausgelegt für ein Publikum von über 2 000 Personen.
Neupositionieren der Schale dauert etwa fünf Minuten
Über senkrecht und horizontal verschiebbare Tore lässt sich die Außenhaut zum Hauptbau und zum Außenraum hin öffnen. Wird der Extraraum nicht benötigt, fährt die Konstruktion zurück und umhüllt wieder das bestehende, feste Gebäude, der Vorplatz ist dann öffentlich. Die insgesamt 4 110 m² große Hüllfläche fährt auf einer Doppelschiene, die auf der Technologie von Portalkränen basiert, wie sie in Häfen oder bei Eisenbahnanlagen üblich ist.
Ein Zahnstangenantrieb bewegt die Gebäudeschale mittels eines 15-PS-Motors auf vier einachsigen und zwei zweiachsigen mannshohen Stahlrädern. Das Neupositionieren der Schale dauert etwa fünf Minuten.
Dieses räumliche Spektakel benötigte eine Konstruktion, die leicht und zugleich stabil ist. Die Wahl fiel auf Stahl, Folie und Luft: ein Stahl-Diagonalrahmen ist mit 148 luftgefüllten und lichtdurchlässigen Kissen aus langlebigem und leichtem teflon-basiertem Polymer ETFE – Ethylen-Tetrafluorethylen – verkleidet.
Stahl, ETFE-Folie und Luft
Die transluzente ETFE Folie besitzt die thermischen Eigenschaften von Isolierglas bei einem Bruchteil des Gewichts und hält durch Mehrlagigkeit der verbauten Folien sogar Orkanwinden stand.
Mit 21 m Länge in einigen Bereichen gehören die ETFE-Paneele von ‚The Shed‘ zu den größten, die je produziert wurden. Die Kissen werden über Gebläse, die in der Dachebene des Stahltragwerkes untergebracht sind, unter Überdruck gehalten.
Je nach baulicher Anforderung können ETFE-Kissen maßgefertigt werden: Optische Transparenz, solare Einstrahlung, thermische Dämmung und mechanische Belastbarkeit lassen sich durch die Folienstärke, die Anzahl der Lagen, durch Bedruckung, Beschichtung oder Pigmentierung der Fläche exakt auf den Einsatzzweck anpassen.
Die UV- und bewitterungsstabile ETFE-Folie lässt laut Hersteller eine Lebensdauer von rund 50 Jahren erwarten.
ETFE-Konstruktion: technische Herausforderung
Die optischen Details der Kissen stellten eine technische Herausforderung dar: Alle Nähte verlaufen in einer über die Fassade durchgehenden Linie, am Übergang von Fassade zu Dach sind die Kissen in einem 90°-Winkel konfektioniert und wölben sich als Polster um die Kante.
Die technischen Parameter wurden von der ausführenden Firma Vector Foiltec, Spezialist auf dem Gebiet von ETFE-Konstruktionen, durch rechnerische Modelle und in einem Mock-Up vorab getestet. Die Zuschnitte der Folienlagen wurden so konzipiert, dass schließlich ein faltenfreies Ergebnis erzielt werden konnte.
Art und Farbgebung der Folienbedruckungen wurden gemeinsam mit den Architekten in einem intensiven Designprozess festgelegt.
Eine auf der Kissenoberfolie gedruckte Punktmatrix schirmt zu starke Solarstrahlung ab, die ETFE-Hülle erreicht so einen Energiedurchlassgrad (g-Wert) von 0,40, was Sonnenschutzglas entspricht. Zudem schützt sie in Parkposition auch das Hauptgebäude als strahlungsreflektierende Second Skin.
Second Skin aus Luftkissen
Da die Bedruckung auf den Oberfolien der ETFE-Kissen im Innenraum keine Schatten werfen sollte, wurden die Mittelfolien in den Kissen transluzent gestaltet. Um die Verdunklung der Halle und gleichzeitig den Schallschutz zu gewährleisten, nutzt ‚The Shed‘ mehrlagige, auf der Innenseite der stählernen Tragkonstruktion angebrachte Stoff- und Textilmembranbahnen.
Offene Architektur will Öffentlichkeit anziehen
Inmitten des neuen Investorenviertels ist ‚The Shed‘ ein programmatischer Versuch, durch eine offene Architektur Öffentlichkeit aus der gesamten Stadt anzuziehen.
Die Art der Veranstaltungen von Street Dance, Hip-Hop bis zu klassischer Musik, von Malerei, Skulptur bis zu zeitgenössischer Literatur, Film, Theater und Tanz sollen Menschen aus der ganzen Stadt ansprechen und unter der transluzenten Hülle versammeln.
Ganz im Sinne des Fun Palace von Cedric Price kann hier ein Gebäude Wirklichkeit werden, das als bewegliche Maschine auf Ideen, Wünsche und Aktionen der Menschen regagiert und performativ neue Freiräume schafft – ganz so, wie die industriell anmutende, fahrbare Hülle, die künfig immer wieder einen Teil Manhattans einfangen und zur Bühne wandeln wird.
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Factsheet
Projekt: The Shed
Standort: Bloomberg Building, West 30th Street zwischen 10th und 11th Avenue, New York, NY, USA
Fläche: 18 500 m² Gebäude plus 1.600 m² überfahrbarer Außenraum
Architektur: Diller Scofidio + Renfro, Webseite der leitenden Architekten/ Rockwell Group, Webseite, kollaborierende Architekten
Auftraggeber: The Shed
Bauzeit: 2015–2019
Eröffnung: 5. April 2019
Material Folienfassade: Texlon-ETFE von Vector Foiltec, drei- bzw. vierlagig, Folienstärke 300 µm
Beteiligte Fachplaner und Firmen: Planung, Entwicklung, Fertigung Folienkissen: Vector Foiltec
Tragwerksplanung: Thornton Tomasetti
Beratung Kinetische Systeme: Hardesty & Hanover
Brandschutzberatung: Jaros Baum & Bolles
Energieplanung: Vidaris
Licht- und Akustikberatung: Tillotson Design Associates
Theaterberatung: Fisher Dachs
Stahlbau: Cimolai
Baukonstruktion: Sciame Construction, Llc.
Fotos: Iwan Baan
Autorin Christiane Sauer
Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Textil- und Flächendesign an der Weissensee Kunsthochschule Berlin. www.formade.com www.luelingsauer.com