Neubauten sind bei Jugendherbergen eher die Ausnahmen, normalerweise modernisiert man im Bestand, wie die Architekturschmiede LAVA – Laboratory for Visionary Architecture aus eigener Erfahrung weiß.
Mit einer umfassenden Modernisierung der 2011 eröffneten Jugendherberge Berchtesgaden hatten die Architekten bereits großen Erfolg. Auch dort arbeitete LAVA mit sehr viel Farbe und Mut zu einer modernen und bunten Innenarchitektur.
„Der Neubau in Bayreuth ist”, so haben es uns die Architekten erklärt, “ein Zeichen für die grundlegende Erneuerung der Jugendherbergen und ihre Attraktivität. Das Konzept wird durch drei „I“ gekennzeichnet: Internationalität, Integration und Innovation.”
Gute Architektur beginnt in der Regel mit einer guten Idee. Im Idealfall kommt diese gute Idee nicht vom Architekten, sondern entsteht viel früher, bereits beim Bauherrn. So war es auch bei der hier vorgestellten Jugendherberge Bayreuth. Das neue Haus des Jugendherbergswerks Bayern ist die erste Inklusions-Jugendherberge im Freistaat.
Menschen mit Handicap sollten hier nicht nur problemlos wohnen können, sondern auch Arbeit finden. Die Architekten von LAVA erklären: „Die Jugendherberge Bayreuth ist der Prototyp eines behindertenfreundlichen Gebäudes, in dem nicht zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen, sondern zwischen hilfsbedürftigen und nicht hilfsbedürftigen Nutzern unterschieden wird.“ Von Inklusion spricht man, wenn der Mensch – trotz Handicap – uneingeschränkt akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang am täglichen Leben und Arbeiten teilzunehmen. Unterschiede und Abweichungen des Einzelnen, zum Beispiel in der Leistungsfähigkeit, bleiben bestehen und werden nicht als Nachteil angesehen.
Kommunikatives Zentrum
Jugendherbergen werden, im Unterschied zu Pensionen oder Hotels, in der Regel pädagogisch geführt. Lehrer und Jugendgruppenleiter unterstützen Schulklassen und Jugendgruppen mithilfe von Programmangeboten beim sozialen Lernen.
Architektur hat in der kulturellen Bildung eine wichtige Funktion, denn das Erleben von Raum, Farbe, Oberfläche und Material gehört zu den grundlegenden und frühesten Erfahrungen junger Menschen.
Die dreiflügelige Anlage ist im Zentrum über ein gemeinsames Atrium verbunden. Es bildet das kommunikative Herz und ist damit ein wichtiger Freiraum für Begegnung, Unterhaltung und Interaktion.
Ihre 180 Betten verteilen sich auf 45 Zimmer in den beiden rund 30 m langen Gebäudeflügeln, welche sich nach Nord- und Südosten ausrichten. Der dritte Flügel nimmt die offene Küche mit Essraum sowie im Obergeschoss den Seminar- und Event- bereich auf. Hier ist auch ein direkter Zugang zu den Sport- und Grünflächen der Erdgeschossebene.
LAVA entschied sich für eine niedrige, zweigeschossige Bauweise, um nicht zu stark in die Topografie des Orts einzugreifen. Die grün changierende Fassade und die Holzoberflächen nehmen den angrenzenden Baumbestand gestalterisch auf. Der sternförmige Grundriss unterstützt die verschiedenen Nutzungen der Außenbereiche, die völlig unabhängig voneinander funktionieren.
Der Neubau ist behindertenfreundlich geplant. Im Erdgeschoss finden sich 14 rollstuhlgerechte Zimmer mit ebenerdigen Duschen, unterfahrbaren Waschbecken und einem erhöhten Platzangebot. Die Erschließung im Innen- und Außenraum ist schwellenlos und mit entsprechenden Leitsystemen ausgestattet.
Mobiliar = Teil der Architektur
Tragende Innenwände und Decken sind überwiegend aus Sichtbeton, flankiert von holzverschalten Wandoberflächen. In den Bereichen der Zimmer wird die akustische Wirkung der schallharten Betonwände durch lärmreduzierende Deckenplatten gemindert. Wenn jedoch Farben ins Spiel kommen, gibt LAVA jegliche Zurückhaltung auf. Das Büro setzt auf leuchtend helle, sehr intensive Töne. Etwas Unruhe bringt die offene und unverkleidete, hölzerne Dachkonstruktion in das Gebäude und man darf sich (hoffentlich) vorstellen, wie sich der eine oder andere Jugendliche über dieses „Durcheinander“ wundert und überlegt, wie denn das alles funktionieren und halten kann. Mit Sicherheit wird die Architektur dieses Hauses die jungen Gäste, ob bewusst oder unbewusst, für die Kultur des Bauens sensibilisieren.
LAVA hat die Zimmer bis ins Detail gestaltet. Die Möbel sind wesentlicher Teil der Innenarchitektur. Mit der Kubatur des Raumes wird gespielt. Unter den Matratzen nehmen große Schubladen die Habseligkeiten der Gäste auf. Ausschnitte werden zu Schränken, Nischen zu Waschplätzen. Die Oberflächen zeigen die Maserung der Seekiefer-Platten unverfälscht und ehrlich. Helle Grüntöne wirken anregend und frisch.
Dass die Innenarchitektur der Zimmer als monolithischer Block erscheint, hat sicher auch Vorteile, wenn jugendlicher Übermut die Gäste zur „Umgestaltung“ verführt. Man darf aber auch hoffen, dass die Besucher der Jugendherberge erkennen, dass hier eine Architektur entstanden ist, die gezielt auf ihre Bedürfnisse eingeht.
Diese Jugendherberge ist kein „Beherbergungsbetrieb“, wie man das aus früheren Zeiten kennt, sondern ein Ort des kulturellen (Architektur-)Erlebens.
Lesen Sie das Interview mit den Architekten
Auch eine Art Jugendherberge – das Hostel in Peking
Die Architekten Chris Bose, Alexander Rieck, Tobias Wallisser (v.l.n.r.) gründeten im Jahr 2007 LAVA – Laboratory for Visionary Architecture.
Ihre Büros in Deutschland, Shanghai, Australien sind spezialisiert auf Office- und Wohngebäude, Forschung, Innenarchitektur, Sport und Freizeit.
Factsheet
Projekt: Jugendherberge Bayreuth
Standort: Bayreuth
Bauherr: DJH Deutsches Jugendherbergswerk LV Bayern, München
Bauaufgabe: Jugendherberge
Fertigstellung: 2018
Geschosse: 2
Nutzfläche: 3600 m²
Materialien (Decke, Wand, Boden): Gastzimmertüren: System ‚Die Hoteltür‘ von Herholz, Pfleiderer, Häfele (mit Dialock-Türterminals); Tür- und Möbelbeschläge: Häfele; Stühle: Brunner; Lichtschalter: Jung; WC-Keramik: VitrA; Sanitärzubehör: Normbau; Teppich: Forbo; Dachabdeckung: Alwitra