Das Glasmacher- und Designunternehmen Lasvit errichtete 2019 im nordtschechischen Nový Bor nahe der deutschen Grenze seinen neuen Firmensitz. Dafür erstand die Firma, die handgearbeitete Objekte und skulpturale Leuchten mit modernem Gestaltungsanspruch herstellt, am zentralen Palackého-Platz zwei historische Gebäude.
Diese wurden bereits vor rund 200 Jahren von Glasmachern genutzt und gelten heute als Kulturdenkmal.
Architektursprache mit starker Identität
Für die Aufgabe, daraus einen zeitgemäßen Firmensitz zu kreieren, wurde eine Architektursprache mit starker Identität gesucht, die sich in die Geschichte des Ortes einfindet und zugleich Glas und Architektur verbindet.
Das Unternehmen fand im Prager Architekturbüro OV-A von Jiří Opočenský und Štěpán Valouch die idealen Partner. Die beiden Architekten gründeten ihr Studio 2007 und sind auf alle Bauphasen vom Entwurf bis zur Ausführung spezialisiert.

Die ursprünglichen Häuser aus dem frühen 19. Jh. wurden von OV-A durch zwei weitere Volumen zu einem räumlich verbundenen Ensemble ergänzt: durch einen lichten, gläsernen Showroom und ein dunkles, abgeschlossenes Testgebäude.

Respekt vor dem Bestand
Zum einen wurden die beiden historischen Gebäude renoviert, von unerwünschten Eingriffen aus den letzten Jahrzehnten gesäubert und durch geringe, aber gezielte Maßnahmen für den Bürobetrieb des Unternehmens nutzbar gemacht. Es sollten möglichst großzügige Räume entstehen, weshalb die historische Holzkonstruktion und Dachsparren freigelegt wurden.

So bildet der Bestand heute ein einladendes Arbeitsambiente.
Zum anderen erfolgten Ergänzungen: Das zentrale Gebäude, das von außen komplett aus durchscheinendem Glas zu bestehen scheint, markiert den Hauptzugang. Es dient im Erdgeschoss als Firmencafé und im darüber liegenden Stockwerk als Showroom und Musterlager mit umlaufenden Regalen.

Tageslicht hinterleuchtet Glasobjekte
Die in den Regalen ausgestellten Glasobjekte werden vom Tageslicht hinterleuchtet und so auf natürliche Weise inszeniert. Nachts kehrt sich der Effekt bei künstlicher Beleuchtung zum Straßenraum hin um. Der lichtdurchflutete Raum mit seiner gitterartigen Kuppeldecke kann, wenn er geschlossen ist, auch als Konferenzraum genutzt werden.

Das zweite neue Gebäude des Ensembles, das mit schwarzen Blechschindeln verkleidet ist, bietet einen hohen, vierstöckigen Raum, dessen Boden unter Terrain liegt und für Tests und Präsentationen der Produkte in Originalgröße – Kronleuchter und Lichtskulpturen mit einem Gewicht von bis zu 5 t – genutzt wird.
Die modernen Fassaden lehnen sich farblich bzw. in ihrer Textur an die traditionellen Strukturen von Schieferschindeln der Region an.

Glas – in Papier gegossen
Das Glashaus ist mit einer frei stehenden, selbsttragenden Metallkonstruktion ausgestattet, die die sichtbare Gebäudeform bestimmt. Großformatige Glasschindeln sind an jeweils nur einem Punkt an der Unterkonstruktion befestigt und werden überlappend mit den angrenzenden Schindeln an die Metallkonstruktion gedrückt.

Durch diese Aufhängung können sich Glaselemente und Metallkonstruktion frei ausdehnen, ohne dass es zu Spannungsbrüchen kommt. Ein Spalt von ca. 6 mm zwischen den Modulen lässt eine gute Reinigung mit Wasser zu. Insgesamt 1 400 Segmente mit einer Größe von 60 x 60 cm an der Fassade bzw. 60 x 120 cm am Dach bilden die transparente Hülle.
Ein Leichtbau ist es allerdings nicht: Die 8 mm starken Sicherheitsglaselemente addieren sich über die gesamte Fassadenfläche auf etwa 14 t.
Jede Glaskachel ein Unikat
Die aus gebrochenen Glasstücken geschmolzenen Schindeln sollen in ihrer Textur an die unregelmäßige Oberfläche gespaltenen Schiefers erinnern. Monatelange Experimente mit einer lokalen Firma führten zu einem ungewöhnlichen Ergebnis: Papierformen waren am besten geeignet, um die Unregelmäßigkeit der Oberfläche im Gussglas zu erzeugen.

Jede für das Gebäude verwendete Kachel ist somit ein Unikat mit leicht unterschiedlichem Finish – ebenso wie bei den traditionellen, schiefergedeckten Häusern der Umgebung.

Neue Identität
Durch diese aufwendige Gestaltung findet die neue Architektur zu einem spannungsvollen Dialog mit der Vergangenheit und zu einer ganz individuellen Identität. Das Material Glas wird dabei zum Vermittler zwischen den Zeiten und deren unterschiedlichen Technologien.
Es ist nicht mehr nur Produkt, sondern definiert eine neue Identität – sowohl für die auftraggebende Firma als auch für den gesamten Ort: Corporate Architecture in ihrer besten Form.
Fakten
Projekt: Lasvit Firmensitz, www.lasvit.com
Ort: Palackého Square, Nový Bor/CZ
Fertigstellung: Juni 2019
Architektur: OV-A architectural studio, Jiří Opočenský, Štěpán Valouch, www.ov-a.cz
Beteiligte Firmen
Baufirma: BAK stavební společnost
Renovierungsarbeiten: Stavební firma Tomáš Hlaváček, Úštěk
Betonbau: DNA Design, Břetislav Eichler
Stahlbau: Excon
Entwicklung Glasfassade: TGK – Technology & Art Glass
Akustik: Aveton
Material: Glasschindeln, selbstreinigend nanobeschichtet, 60 x 60 cm, Gewicht 7,5 kg und 60 x 120 cm, Gewicht 12 kg, Sonderanfertigung Gussglas 8 mm, in Papierformen gegossen
Autorin Christiane Sauer
Die Architektin und Materialspezialistin lehrt als Professorin für Materialentwurf an der Weissensee Kunsthochschule Berlin.
www.formade.comwww.dxm-berlin.de