Im Jahr 1991 hatte die Gruppe Pentagon die Botschaft „Nicht die richtige Zeit für Geschäfte“ an die Wände ihres ansonsten leeren Standes auf der Kölner Möbelmesse geschrieben. Nur ein Militärtelefon stellte den Kontext zum damals laufenden Irak-Krieg her.
30 Jahre später ist im Nahen Osten das Konfliktpotential ähnlich hoch, aktuelle gesellschaftspolitische Statements findet man zum Jahresauftakt der Designszene allerdings nicht. „Nicht die richtige Zeit für Geschäfte“ – in der Werkschau zur Gruppe Pentagon im Museum für Angewandte Kunst Köln wird im Rückblick aber deutlich, dass deren Protagonisten sehr wohl Business im Sinn hatten.
Arbeiten auf individuelle Nachfrage
Die pragmatischen Gestalter aus Köln hatten sich bei der Arbeit an ihren Objekten eng an den Bedingungen des Marktes orientiert. Gebaut wurden hauptsächlich Einzelobjekte auf Nachfrage. Ein Geschäftsmodell, das heute wieder gut funktioniert. Zum Einsatz kamen Materialien – Stahl, Plexiglas –, mit denen man sich auskannte oder experimentierte. Im Design herrschte Anfang der 1980er Jahre Aufbruchstimmung.
Neues Deutsches Design wurde als Antwortversuch auf die italienischen Anti-Design-Strömungen verstanden, war es vielleicht auch. Den Begriff Design hat Pentagon im aktuellen Ausstellungstitel gestrichen, eher sei eine konzeptionelle Nähe zur Arte Povera gewesen, so die Gestalter.
Die Arbeiten von Pentagon waren eine Reaktion auf die Stimmungen der Zeit, der direkte Einfluss von Musik und Kunst ist in vielen Details belegt. Wenn cool als Kategorie für Gestaltungsperspektiven taugt, waren die Objekte und Projekte von Pentagon – allen voran das „Café Casino“ zur Documenta 8 – dort einzuordnen.
Breite Auswahl, geringe Differenzierung
Heute, 2020, haben die nationalen Sortierungen im Design an Bedeutung verloren, bisweilen tauchen sie als rubriziertes Mißverständnis noch in den Medien auf. Design, Produkte und Märkte sind längst international ausgerichtet, entstanden ist eine grenzenlose Melange. Eine Unübersichtlichkeit, die auch auf der imm zu besichtigen war. Immer wieder wechselnde Designer-Hersteller-Kombinationen verhindern klare Differenzierungen.
Ehemals spezialisierte Hersteller suchen ihr wirtschaftliches Glück im Vollsortiment. Designer werden eher zu Marken als Unternehmen. Die Gründe für diese in anderen Bereichen (Mode) undenkbaren Anomalien bleiben unklar.
Vertrauen die Unternehmen mehr auf Marketingeffekte denn auf zukunftsfähige Konzepte? Ist bei den Endkunden so sehr die Auswahl aus dem Einerlei gewünscht? Oder haben wir verlernt, Unterschiede zu erkennen und zu würdigen?
Wo ist die Idee vom Morgen?
Dabei bot die diesjährige imm cologne eher Gelegenheit zum Innehalten, von simplen „Innovationen“ kaum eine Spur. Neue Formensprachen? Fehlanzeige. Neue Farben? Liegen gerne im gleichen Trend – Olivgrün, Aubergine, dunkle Rot- und Blautöne waren zu sehen.
Andere Wohnideen und zukünftige Einrichtungskonzepte? Da müßte es eine Idee vom Morgen geben, jenseits der Möbelwelt zuallererst.
Auf der Kölner Möbelmesse war zu beobachten, dass bestehende Entwicklungen zaghaft fortgeschrieben werden. Die Hersteller betreiben Produktpflege, die Arbeit an den Portfolios zur Schärfung des Profils steht bei vielen Unternehmen aber aus, wohlmöglich weil die größeren Fragen an die Zukunft der Branche unbeantwortet sind.
Nachhaltigkeit als komplexe Aufgabenstellung
Nachhaltigkeit ist ein viel besprochenes Thema und sollte doch eigentlich selbstverständlich sein. Der Begriff ist ein nachvollziehbares Beispiel, mit welcher Komplexität die Einrichtungsbranche zu kämpfen hat.
Heute reicht es nicht mehr eine feine Form zu finden und beispielsweise einen Stuhl zu produzieren. Das verwendete Material sollte aus nachhaltigen Quellen stammen und ressourcenschonend verarbeitet sein. Lagerung und Transport sind klimaneutral optimiert.
Die Fertigungsqualität garantiert eine lange Gebrauchsfähigkeit, der Entwurf ordnet sich mühelos in einen klassischen Kanon ein. Die Kunden sind informiert und durchaus anspruchsvoll, mit MeeTo-Konzepten kommt man als Hersteller nicht dauerhaft voran.
Vermittlungsweg für Qualität
Digitalisierung und Online werden diskutiert und an vielen Stellen endlich umgesetzt, die Zahl der Einkaufsquellen steigt. Gut abzulesen auch an der Tatsache, dass digitale Marktplätze wie beispielsweise otto.de plötzlich auf der Kölner Möbelmesse vertreten sind.
Hersteller antworten mit eigenen Online-Shops und treten damit auf den ersten Blick in Konkurrenz zum über Jahrzehnte geliebten Fachhandel. Der wird aber – hoffentlich – auch in Zukunft eine Rolle spielen. Möbel wollen direkt wahrgenommen werden. Proportionen, Materialien und Oberflächen lassen sich live am besten erfahren. Die Haptik von Stoffen vermittelt sich im Zugriff, das 3D-Modell ersetzt die Sitzprobe nicht.
Auch wenn vermeintliche Trends es bisweilen anders suggerieren: Möbel unterscheiden sich von modischer Kleidung, Wohneinrichtungen weisen hoffentlich über den Tag hinaus. Gute Möbel punkten mit vielschichtiger Qualität und die will im Gespräch verständlich vermittelt und wahrgenommen werden.
Nicht nur der Fachhandel steht hier vor einer enormen Herausforderung. Auch Messegesellschaften sollten ihre Rolle als Marktplatz neu bedenken und den sichtbaren Erosionsbewegungen mit intelligenten Konzepten jenseits von Flächenvermietung begegnen.
Impluse von den Rändern
Noch drängen allerdings Hersteller aus den nordischen Ländern neu auf den zentraleuropäischen Markt, alteingesessene, in ihren nationalen Märkten verankerte Unternehmen ebenso wie hippe Neugründungen, die hemmungslos, aber kommerziell geschickt unterschiedlichste Stilelemente mixen.
Heraus kommt beispielsweise ein „internationaler“ Style, der zumindest oberflächlich skandinavische Wurzeln zitiert. Helle Hölzer kontrastieren mit dunklen oder glänzenden Metallen, natürlich anmutende Stoffe und Leder liefern einen Hauch von Zeitgeist, der mindestens eine Spur Luxus und Exklusivität im Sinn hat.
Doch Vorsicht, vordergründiges Design und Fertigungsqualität spielen nicht immer in der gleichen Liga.
Zeitlose Formen und klassische Produktkategorien bleiben bei den renommierten Unternehmen angesagt. Unsere Lebenswelten werden kleinteiliger, mobiler, die Möbelangebote auch. Beistelltische, handliche Leuchte, modulare Aufbewahrungssysteme, Polstermöbel, die in großzügigen Lofts genauso passen wie in begrenzten Mietwohnungen.
Die beauftragten Designer – interessanterweise auch die jüngeren Generationen – berufen sich auf handwerkliche Traditionen, die den aktuellen Entwürfen schon bei der Veröffentlichung den Anschein von Beständigkeit verleihen. Verarbeitungsdetails werden wichtiger, Polsterungen werden tiefer, bequemer, und auch das Dinner fällt dank komfortabler Stuhlvarianten gerne wieder länger aus.
Designer setzen auf Traditon
Nachwuchsdesigner – beispielsweise im Passagen-Projekt Generation Köln x Werkraum Bregenzer Wald – suchen die Kooperation mit dem Handwerk. An Fertigung in hoher Auflage ist hier erstmal nicht gedacht. Die Nachfrage soll mögliche Geschäftsmodelle bestimmen. Hochwertige Einzelfertigung scheint den Entwerfern und ihren Handwerkspartnern ebenso denkbar wie eine Weiterentwicklung der Entwürfe zur industriellen Serienreife.
Auch Experimente an der Schnittstelle zur Kunst tauchen vereinzelt auf. Berührungsängste gibt es kaum, doch welche Klientel in Editionen gefaßte Design-Kunst-Kollaborationen ansprechen wollen, ist unklar.
Noch fehlen Radikalität und Kraft. So wird große Unübersichtlichkeit zum Begleiter der andauernden Individualisierung. Es bleibt kompliziert im Interior-Design, aber das macht vermutlich den Reiz der Branche aus.
Summary
Zum Auftakt des neuen Jahrzehnts präsentiert sich die Möbelbranche auf der imm cologne unübersichtlich. Digitalisierung, damit verbunden eine Verschiebung der traditionellen Geschäftsmodelle und zunehmend anspruchsvolle, weil breit informierte Kunden stellen die Unternehmen vor enorme Herausforderungen.
Weitere Messereviews finden Sie hier
Museum für Angewandte Kunst Köln MAKK
Design Gruppe Pentagon
bis 26. April 2020
An der Rechtschule, 50667 Köln
makk.de